Spitze Feder

Immer noch Strich-Achter?

Mercedes

Für viele meiner Generation, der heutzutage so verhassten Babyboomer, war es Mitte der Achtziger quasi ein Muss, einen Strich-Achter zu fahren. Das waren Mercedes-Benz Limousinen und Coupés der Baureihe W 114 und W 115, die von 1968 bis 1973 vom Band liefen.

Sie genossen Kultstatus, denn sie waren gebraucht recht günstig zu bekommen, nahezu unkaputtbar, und man freute sich diebisch über die Empörung der Elterngeneration, dass die langhaarigen, linken Rotzlöffel heutzutage einen Benz fahren konnten, währen Vater und Mutter in dem Alter noch mit dem 28er Drahtesel, oder sogar zu Fuß ihres Weges, so in der Art.

Mein Strich-Achter war ein 200er-Benziner, Baujahr 1971. Ich hatte ihn für 2.500 DM gekauft und zwei Wochen Urlaub damit verbracht, neue Schweller einzuschweißen, Roststellen zu entfernen, den Wagen zu lackieren und auf Hochglanz zu polieren. Ich gestehe, dass ich die Arbeiten auch locker in einer Woche hätte erledigen können, denn das alles hört sich nach deutlicher mehr an, als es tatsächlich war. Aber in der Werkstatt meines Freundes tummelten sich neben mir, noch weitere tiefenentspannte Strich-Achter-Enthusiasten, und es wurde deshalb nur zur Hälfte geschraubt und die restliche Zeit über Kaffee getrunken, gefachsimpelt, oder einfach nur Blödsinn gequatscht und gelacht. An der Karre konnte man nämlich tatsächlich noch selbst „schrauben“. Außer Gabelschlüsseln, Ratschen-Kasten, Schraubendrehern, etwas Geschick und dem Support der anderen Strich-Achter-Verrückten, brauchte es weiter nichts.

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Im 21. Jahrhundert gibt es längst keine ölverschmierte Autoschlosser-Artefakte mit Gabelschlüsseln, Ratschen-Kästen, Schraubendrehern und ähnlich archaischen Tools mehr. Die Virtuosen im weißen Gerichtsmediziner-Overall, nennen sich heutzutage mit coolem Understatement Kfz-Mechatroniker, und sie rücken den Fahrzeugen bei jeder Malaise vorab mit dem Notebook auf die Pelle. Ein obligatorisches Software-Update kann schließlich nie schaden und macht mächtig was her, oder?

Echt jetzt, werden sich manche Leserinnen und Leser nun vielleicht fragen? Gibt das jetzt wieder so ein debiles Früher-war-alles-besser-Immimi? Die von Euch Babyboomern heute immer noch so nostalgisch verklärten Strich-Achter, sind doch in Wahrheit nichts, als qualmende Dinosaurier aus zwei Tonnen Blech, oder? Sie saufen Sprit, wie die Löcher, sie haben weder ABS noch Airbag, keine Klimaanlage, keine elektrischen Fensterheber, kein Apple-Carplay, keine Sitzheizung, kein Navi …nix, null, nada! Also, was soll das Geheule?

Danke an alle Millennials da draußen für den von Mitleid erfüllten Hinweis; ist aber nicht nötig. Denn auch ich fahre heute einen modernen Wagen mit ABS, Klimaanlage, elektrischen Fensterhebern, und, und, und, der sich durch ein asketisches 1,2 Liter Nähmaschinen-Motörchen mit gerade mal 5 Liter Sprit auf 100 km begnügt und trotzdem abgeht, wie Schmidts Katze. Gleichwohl könnte ich mir heute noch in den Arsch beißen, meinen Strich-Achter verkauft zu haben. Denn mit unserer Denke und unserer Art zu wirtschaften, dümpeln wir gefühlt immer noch im drögen Ludwig-Erhardt-Modus vor uns hin. Wie Mitte der Achtziger, als ich mir den Strich-Achter zulegte. Heute, im Verhältnis zu jenem Denken und Wirtschaften, könnte man nämlich meinen qualmenden Dinosaurier aus zwei Tonnen Blech, durchaus als State-of-the-Art bezeichnen.

Kein Autohersteller des sogenannten Volumenmarktes würde mit dem technischen Minimalismus eines Strich-Achters heute noch einen Blumentopf gewinnen. Kannste knicken. Es gibt zwar noch ein paar kleine, feine Manufakturen, die mit sündhaft teuren und puristischen Old-School-Roadstern ihre wohlhabende Kundschaft beglücken. Aber diese Boliden sind allesamt Exoten. Für den alltäglichen Gebrauch setzen Micheline und Michel bei ihrem heiligs Blechle dann doch lieber auf modernste Technik und den ganzen kollateralen digitalen Schnickschnack.

Aber, weshalb zum Geier, vertrauen… Pardon, ich korrigiere: Weshalb zum Geier, bestehen (!!!) Micheline und Michel dann immer noch auf dem drögen Ludwig-Erhardt-Modus, auf dem Old-School-Prinzip, auf einem immer mehr, immer schneller, immer größer, immer billiger? Immer das neuste Smartphone, immer das neuste Tablet, immer den neusten Fernseher, immer haben wollen, immer ich, ich, ich?

Kann es sein, dass sich das Augen-zu-und-durch-Mantra längst irreversibel in unsere DNA eingefressen hat? Dass wir gar nicht mehr anders können, als uns das letale Dilemma zwischen endlichen Ressourcen, versiffter Umwelt und kopfkranker Völlerei, mit „immer mehr haben wollen“ schönsaufen müssen? Weil wir die Vorstellung einfach nicht ertragen, unseren Way-of-Life ändern zu müssen? Denn eines ist Fakt: Wir haben nun mal nur diese eine Welt, aber „Wir gehen mit dieser Welt um, als hätten wir noch eine zweite im Kofferraum“. Jane Fonda.

Heute würde Hollywoods Grand Dame ihr sinnbildliches Statement aus dem Jahre 2016 wohl aktualisieren und von vier Welten im Kofferraum sprechen. Aktuell geben sich nämlich bei der UN-Klimakonferenz COP 28 in Dubai gerade 88.000 (!) Politikerinnen und Politiker, Managerinnen und Manager die Klinke in die Hand, um…öhm…nun ja, ich nehme an, eine sechste Welt zu beschließen, weil das mit der Fünften diesmal wohl leider auch wieder nichts wird. Wenn man ehrlich ist, war das von vornherein ohnehin klar, oder etwa nicht?

Unter besagten Politikerinnen und Politikern, Managerinnen und Managern, sind nämlich, neben dem Gastgeber und Ölmilliardär, Muhammad bin Raschid Al Maktum, seines Zeichens Herrscher des Emirats Dubai, Vizepräsident, Premierminister und Verteidigungsminister der Vereinigten Arabischen Emirate in Personalunion, mehr als 2.400 weitere, knallharte Hardcore-Lobbyistinnen und Hardcore-Lobbyisten der globalen Öl-, Gas- und Kohleindustrie akkreditiert. Deutlich mehr, als die bescheidenen 1.509 Vertreter jener Staaten, die durch die Erderwärmung am übelsten betroffen sind und denen das Wasser heute schon bis zu Hals steht, respektive vor der Haustür.

Dass die emsig fossilen Klimaretter aus aller Welt zu diesem außerordentlich wichtigen Event in Hunderten Jets angereist sind, versteht sich von selbst. Dubai is ja nicht gerade um die Ecke. Und dass die 250 deutschen Delegierte nicht mit der Bahn…wegen Klimaschutz, oder so. Mit der Bahn? Hallo? Geht´s noch? Ich sag nur: Winter und Weselsky! Aber dass sich die 88.000 Politikerinnen und Politiker, Managerinnen und Manager, nach ihrem aufreibenden Tagwerk, in den noblen Hotels des Emirats zuerst ein wenig Entspannung im Hammam gönnen und danach ein schönes Rahmenprogramm mit feinen Speisen und so, versteht wohl jeder. Deshalb jetzt bloß keine Neiddebatte. Das bringt dem Klima nämlich auch nix.

Daher: Schluss mit dieser blöden Miesepetrigkeit! Ist ja schließlich bald Weihnachten, oder? Das Fest der Liebe, mit Geschenken, mit Zimtsternen, mit Christmette nebst Weihrauch, mit einem besinnlichen Posaunenchor, mit Stille Nacht und Orangenschalen auf dem schwedischen Bollerofen, mit einer Bio-Nordmann-Tanne, mit nachhaltigem Holzschmuck aus Thüringen und einem Hauch von Lametta, mit einer mächtigen, goldbraunen Weihnachtsgans vom freilaufenden Züchter, mit einem edlen 2017er Château Lafite-Rothschild…und als Sahnehäubchen: Frische Erdbeeren aus Patagonien! An Weihnachten können uns nämlich die ganzen Heulsusen allesamt kreuzweise.

Immer noch Strich-Achter?

Bildquellen:
  • Mercedes-Benz_W115_front_20080816: Von Rudolf Stricker - Eigenes Werk, Attribution, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4570328

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Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Grohmüller 11. Dezember 2023

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