Spitze Feder

Feudalismus mit demokratischem Antlitz

Ein Bistro, vor dem einige Gäste sitzen und in der Seitenstraße ist ein Panzer geparkt

Im Frühjahr 1968 wagte Alexander Dubček, der Generalsekretär der KP in der Tschechoslowakischen Republik, über einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ nachzudenken.

Diesem Affront, der nicht weniger, als die sowjetische Deutungshoheit zu Disposition stellte, schoben die Truppen des Warschauer Paktes unverzüglich einen Riegel vor. Die Niederschlagung dieser sogenannten Konterrevolution kostete über 100 Menschen das Leben. Heute sprechen Historikerinnen und Historiker, sowie geladene Gäste bei Lanz & Co, mit geknödelter Stimme immer wieder beseelt vom „Prager Frühling“, den man als leuchtendes Vorbild für…ja was eigentlich?

Das Ende der Sowjetunion und das vermeintliche Scheitern des Sozialismus als Gesellschaftsform, war der größtmögliche, der ultimative Schluck aus der Pulle namens Wahrheit, den sich die Wirtschaftsform namens Kapitalismus jemals gönnen durfte. Darauf, dass jede Wahrheit immer nur eine in Worte gefasste Meinung über die Wirklichkeit ist, wies einst Hermann Hesse hin. Leider ohne Erfolg.

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Die fatale Folge des Kreierens dienlicher Narrative, kann man daran erkennen, dass die westliche Wertegemeinschaft heute Gesellschaftsform und Wirtschaftsform zu einer obskuren Schicksalsmelange verklappt und ihr das Etikett „Demokratie“ ans Revers anheftet. Die Nachfahren der geistigen Väter dieser Gesellschaftsform, genauer gesagt, die „kleinen Leute“ unter den Nachfahren, wie Geringverdiener, Alleinerziehende, Rentnerinnen und Rentner, konnten unter der tatkräftigen Mitwirkung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, des IWF, der EU und der Weltbank in Echtzeit erfahren, welch angenehme Wohltaten die Demokratie den hellenischen Eliten angedeihen vermochte.

Demokratie ist heute ein geradezu sakrosankter Freibrief, den die globalen Eliten vor sich hertragen, wie eine Monstranz. Orchestriert von mächtigen Lobbyorganisationen, flankiert von embedded Medien, die jede Kritik und jeden Hinweis auf offensichtliche Unzulänglichkeiten der Demokratie, sofort als Häresie brandmarken und wahlweise dem extrem linken, oder dem extrem rechten politischen Rand zuordnen…je nachdem, welche geschwätzigen Gäste gerade bei Lanz & Co ihre Ismen ausgasen.

Ich sitze hier im Frühjahr 2024 und denke darüber nach, ob wir hierzulande nicht allmählich auch ein Analogon zum „Prager Frühling“ brauchen. Ich denke dabei an eine Art „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“, und bin mir jedoch sogleich bewusst, dass dies, nach all dem, was diese Wirtschaftsform bisher weltweit an Elend und Verderben herbeigeführt hat und noch immer herbeiführt, ein Widerspruch in sich ist, eine Contradictio in Adiecto, wie das gehobene Bildungsbürgertum es ausdrücken würde.

Eine Wirtschaftsform, die auf unendlichem Wachstum basiert und damit die Endlichkeit sämtlicher Ressourcen grundlegend ignoriert, kann per se nicht die Bedürfnisse aller decken. Eine Wirtschaftsform, deren Nutznießer die Verklappung von Gesellschaftsform und Wirtschaftsform mit dem Wort „Demokratie“ etikettieren und dies als Begründung vorschieben, um ihren Reichtum und ihre schiere Macht als quasi schicksalhaft und alternativlos darzustellen, basiert auf völliger Ungleichheit…dem exakten Gegenteil von Demokratie in der klassischen Bedeutung nach Platon und Aristoteles.

Wir erleben in diesen Tagen mutmaßlich eine Wirtschaftskrise, sofern man geneigt ist, dem dystopischen Plärren der Medien Glauben zu schenken, ohne die Frage „Qui Bono?“ zu stellen. Mutmaßlich, weil niemand das Narrativ hinterfragt, worin Bitteschön die Krise denn tatsächlich liegen soll, wenn „die Wirtschaft“ nur um 0,2%, statt um 3%, 4%, oder mehr wächst, oder wenn sie mal überhaupt nicht wächst. Apropos Wirtschaftskrise: Während „die Wirtschaft“ im Corona-Jahr eingebrochen ist, haben in der gleichen Zeit die 226 Milliardäre in Deutschland ihr Vermögen um 60 % gesteigert. Finde den Fehler!

Rund 17 Millionen Menschen, oder gut 21 % der Bevölkerung hierzulande sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Sie würden sich überglücklich schätzen, wüchse ihr „Vermögen“ im Verhältnis zu ihren Lebenshaltungskosten um jene 0,2%. Fakt ist jedoch, dass die Mieten, die Lebensmittelpreise und die Energiekosten geradezu explodiert sind, während die homöopathischen Lohnzuwächse nicht einmal reichen, um sie sprichwörtlich zu verfrühstücken. Von einem Mindestlohn, der aus einem parlamentarischen Würfelbecher kompletter Realitätsferne zu stammen scheint, ganz zu schweigen.

Auf der anderen Seite der Nahrungskette, eine raffgierige Selbstbedienungsmentalität, die an die dunkelsten Zeiten des Feudalismus erinnert, in denen sich der Adel einfach nahm, was er sich nehmen wollte, und in denen er ab und zu mal generös ein paar Almosen für das Lumpenproletariat gab.

In Grünheide in Brandenburg erwarb der US-Konzern Tesla Inc. ein Gelände von 300 Hektar Gelände zum Schnäppchenpreis von 43 Millionen €, oder umgerechnet knapp 14 € pro Quadratmeter, um dort eine Fabrik für E-Autos zu bauen. 2⁄3 dieser 300 Hektar liegen im Wasserschutzgebiet Erkner-Neu-Zittau. Für die erste Ausbaustufe der Fabrik wurden über 90 Hektar Wald gerodet. Diese lagen sogar komplett im Trinkwasserschutzgebiet! Die Planungen für eine Erweiterung des Werks um eine gigantische Batteriefertigung liegen momentan „auf Eis“, weil sich seitens der Politik gerade niemand vorstellen kann, womit man die Bürgerinnen und Bürger denn diesmal sedieren könnte, um ihren Protest zum Verstummen zu bringen.

Während des Corona-Lockdowns erhielt ein bekannter bayrischer Autobauer von der Bundesagentur für Arbeit hunderte Millionen € an Corona-Kurzarbeitergeld, damit dieser seine Angestellten nicht entlassen musste. Sprich: Die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern sprangen für die Zahlung der Gehälter in die Bresche! Im selben Jahr erhielten die Firmenerben, Susanne Klatten und Stefan Quandt, 1 Milliarde € an Dividende aus ihrem Aktienpaket…zu ihren 40,5 Milliarden €, die sie bereits besaßen. Finde den Fehler!

Knapp 10 Milliarden € Subventionen kostet die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die „Ansiedlung“ einer Intel-Chipfabrik in Magdeburg. Oder anders ausgedrückt: Ein US-Konzern, der für das Geschäftsjahr 2024 heute schon einen Gewinn von satten 8 Milliarden US-$ prognostiziert und sich mit dubiosen Steuersparmodellen in dubiosen Steueroasen einen schlanken Fuß macht, bekommt aus dem deutschen Steuersäckel mal eben 10 Milliarden € geschenkt! Gleichzeitig denkt der liberale Bundesfinanzminister laut darüber nach, die Sozialausgaben für drei Jahre einzufrieren, um die eingesparten Milliarden für die Rüstung einzusetzen. Finde den Fehler!

Am 29.02.2024, genehmigten sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier des Deutschen Bundestags mal wieder einen kräftigen Schluck aus der Pulle, in Form einer Diätenerhöhung von satten 6,2%. Als Bundesfinanzminister streicht Christian Lindner aktuell rund 18.000 € pro Monat ein. Ab dem 1. Juli 2024 kann er sich dann also an einem Plus von 1.100 € erfreuen. Das reicht locker, um seinen Neunelfer 10-mal vollzutanken. Wie geil ist das denn? Ob von dem entzückenden Mehr, auch die steuerfreie Pauschale in Höhe von monatlich rund 5.051,54 Euro betroffen ist, weiß ich leider nicht. Aber wundern würde es mich nicht.

Dass die Diätenerhöhung aufgrund bestehender Gesetze nun mal ein Automatismus ist, und die Parlamentarierinnen und Parlamentarier deshalb daran keine Schuld tragen, ist mal wieder das übliche Schulterzucken jener Eliten, die an den Fleischtöpfen sitzen und über ihr Salär selbst entscheiden. Es wäre allerdings ein starkes Zeichen von Empathie und Respekt gegenüber den 21% der Bürgerinnen und Bürgern gewesen, die nicht wissen, wovon sie am Ende des Monats ihren Kühlschrank füllen sollen, hätten alle 736 Abgeordneten Coram Publico geschlossen auf ihre Diätenerhöhung verzichtet. OK, es wäre zwar nur ein symbolisches Zeichen, aber immerhin ein Zeichen. Leider obsiegt jedoch die harte Realität immer gegen (mein) naives Wunschdenken, denn die Eliten zeichneten sich bekanntermaßen noch nie durch ein Übermaß an Respekt und Empathie aus. Manchmal habe ich den Eindruck, in Berlin wird seit Jahrzehnten eher selbstherrlich Hof gehalten, statt regiert.

Ich schätze deshalb, dass der Kapitalismus mit menschlichem Antlitz m/eine Illusion bleibt, denn offensichtlich leben wir in einem Feudalismus mit demokratischem Antlitz.

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Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 2. März 2024 | Peter Grohmüller 2. März 2024

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