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Spitze Feder

Subtext

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Ein Subtext ist etwas Okkultes, auf jeden Fall aber etwas Ungeschriebenes, das man jedoch zwischen den geschriebenen Zeilen lesen und deuten, oder auch interpretieren kann …

… wenn man zum Deuten und/oder Interpretieren neigt. Vorausgesetzt natürlich, es sind überhaupt Zeilen geschrieben, und man hat jenes Etwas zur Hand, auf dem das Geschriebene steht. Ansonsten gäbe je ja keinen Subtext … also ohne besagten Text. Noch Fragen?

Wer diese Einleitung gelesen hat und sich nun fragt, ob sie überhaupt etwas aussagt, oder neudeutsch, ob sie eine Message adressiert, oder ob sie einfach nur ein Artefakt aus Zeiten längst vergangener Dada-Dichtkunst ist, hat anscheinend wenig Erfahrung mit Subtexten. Oder er erkennt Subtexte nicht einmal, wenn er sie vor der Nase hat.

Es gibt allerdings auch Zeitgenossen, geradezu manisch auf der Jagd nach Subtexten, die allein wegen der unschuldigen Verwendung des Maskulinums in „er erkennt“, sofort auf Krawall gebürstet sind und im Subtext eine erzreaktionäre Schreibweise erkennen, wenn nicht gar eine verabscheuungswürdig frauenfeindliche Gesinnung.

OK, ich hätte ja auch „sie erkennt“ schreiben können. Dann hätte ich jedoch erneut die Arschkarte gezogen. Denn besagte Zeitgenossen könnten dann wiederum aus ihrem persönlich interpretierten Subtext mutmaßen, dass ich Frauen grundsätzlich den Intellekt abspräche, Subtexte zu erkennen. Ob es jemandem aufgefallen ist, dass ich „Zeitgenossen“ nicht korrekt gegendert habe?

In Zeiten, wie diesen, in denen das Geschriebene und das Gesprochene beinahe ausschließlich von Dilemmata dominiert wird, in denen eine Orwellsche Dystopie tonangebend erscheint, ist es da nicht verständlich, wenn manche Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ihr Seelenheil in Subtexten suchen und sich sogar daran laben, dass ich diesen Absatz korrekt gegendert abgeschlossen habe?

Wer früher beispielsweise im Winterschlussverkauf auf Schnäppchenjagd ging, dem eröffnete sich geradezu eine phantastische Welt von glücklich-machenden Subtexten auf den Preisschildern. Der Hammer: Der gleiche Armani-Anzug, den George Clooney in … wie hieß der Streifen nochmal? Egal. Der gleiche Armani-Anzug kostet im WSV, statt 999 €, nur noch 199 €. Der Schnäppchenjäger sonnt sich innerlich geradezu über den Subtext des Preisschildes. Liest er doch daraus, dass zig Idioten affektiert durch die Gegend stolzieren, die jenen Zwirn völlig überteuert gekauft haben.

Ob der ursprüngliche Preis tatsächlich bei 999 € lag, spielt beim Erlangen solch inneren Frohlockens keine Rolle. Auf den Subtext kommt es an. Und nur auf den Subtext. Schließlich ist er ja kein Text im eigentlichen Sinne, sondern die Interpretation desjenigen, der aus ihm liest.

Das ist bei Preisschildern und Aussagen auf Wahlplakaten übrigens ein und dasselbe.

Bildquellen

  • export-pexels-polina zimmerman-small: pexels

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Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 3 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Grohmüller 23. Februar 2023

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