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Spitze Feder

Einmal viel von allem bitte

Kuehlschrank Pixabay

Es gibt ja mittlerweile Myriaden von Magnet-Schildchen, die man sich beispielsweise an den Kühlschrank kleistern kann. Kennt Ihr sicher. Auch unseren ziert ein knappes Dutzend davon.

Darunter selbstredend solche, mit politischen Statements, wie „Free Tibet“, ein Bild von Karl Marx, oder „Nachplapperer“. Ein Magnet-Schildchen, das meine Frau und ich 2015 von einem Kurztrip aus Wien mitbrachten. Es bezieht sich auf die damals hyperventilierend, bis wutschnaubend geführte Diskussion um das TTIP-Abkommen. Apropos: Was wurde eigentlich aus diesem dubiosen Bullshit-Bingo, für das sich klein Siggi aus Goslar aber dermaßen sowas von…? Öhm, ich fürchte, ich schweife mal wieder vom Thema ab. Sorry! Also zurück zu den Magnet-Schildchen.

Die meisten an unserem Kühlschrank sind eher lustiger Natur und bewegen sich somit im Genre kurzweiliger Unterhaltung. Einer meiner Favoriten darunter: „Unsere Nachbarn hören gute Musik. Ob sie wollen, oder nicht“. Bei mir läuft da jedes Mal ein Film von vor vielen, vielen Jahren ab, in dem meine Nachbarin klingelt und mich bittet, doch möglichst keine E-Gitarre zu spielen, während ihr Mann schlafe. Er war nämlich Schichtarbeiter, wenn ihr versteht, was ich meine.

Als ich heute im Supermarkt war und mal wieder die Regalreihen mit ihrem uferlosen Angebot betrachtete…zehn Sorten linksdrehendes Cherimoya-Joghurt, Currywurst aus Erbsengedöns, laktosefreie Rhabarber-Stachelbeer-Limonade und vegane Adventskalender, erinnerte mich das an ein Magnet-Schildchen, das ebenfalls unseren Kühlschrank ziert. Darauf steht: „Einmal viel von allem bitte“.

Das passt zu einer Aktion, die ein Reseller in Sachen Glasfaseranschluss gerade in unserem Dorf promotet, und das wiederum passt zu einem Hype, der seit Äonen die ganze Republik sediert und hinterfragendem Denken umgehend den Status „Spaßbremse“ verpasst: Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine Sau namens „Digitalisierung“ durchs Dorf getrieben wird. Digitalisierung in der Verwaltung, im Gesundheitswesen, bei der Polizei, in den Schulen, bei den Gerichten, in der weltweiten Landesverteidigung, in den Kitas, in den Universitäten, bei Brieftaubenzüchtern, bei queeren Numismatikern, und, und, und. Wenn es etwas gibt, das unsere Republik zum nackten Überleben sofort und zwingend braucht, ist es definitiv eine vollumfängliche Digitalisierung…ohne Wenn und Aber!

Dazu gesellen sich Xillionen E-Autos. Ein absolutes Muss für alle jene, die sich demnächst noch erhobenen Hauptes in den Individualverkehr wagen wollen. Wie, Du fährst echt einen Verbrenner? Hallo? Geht´s noch? Zudem noch smarte Waschmaschinen und smarte Wäschetrockner, die man mit dem IPhone von unterwegs…, oder gleich ein komplettes Smart-Home, an das man sein Denken von A bis Z outsourcen kann, Millionen von Must-Have-Apps auf den Smartphones, von sozialen Medien und Messengerdiensten, wie TikTok, Facebook, X, Instagram, WhatsApp, Telegram, Signal, Tinder…habe ich noch etwas vergessen? Richtig: Elektrische Zahnbürsten, elektrische Mäh- und Saugroboter, elektrische Jalousien, elektrische Dosenöffner, elektrische Laubbläser, smarte Kaffeevollautomaten mit Kegelmahlwerk, ein 60-Zoll-Oled-Smart-TV mit Dolby-Digital-Sorround-Firlefanz in sämtlichen Räumen und natürlich Kryptowährungen! Ganz wichtig! Ohne Bitcoin, Ethereum, Ripple & Co, kann sich kein ernstzunehmender Hipster in Chafik´s Barbershop in Berlin Mitte den Bart trimmen lassen, oder bei Starbucks auf dem Prenzlauer Berg mit abgespreiztem kleinen Finger die szenetypische Latte Macchiato mit Hafermilch süffeln. Einmal viel von allem bitte!

Blöd nur, dass all die kleinen und großen Helferlein, die unser Leben erst lebenswert erscheinen lassen, Energie benötigen, sprich: Strom. Unmengen von Strom! Mehr Strom, als zehn Milliarden Kühltheken, in denen zehn Sorten linksdrehendes Cherimoya-Joghurt rumstehen. Viel, viel mehr! Und komme mir jetzt keiner mit der ollen Kamelle, dass der Strom ja aus der Steckdose kommt. Die ist sowas von abgelutscht. Die Gretchen-Frage ist nämlich eher, wie er da hinein kommt und, vor allen Dingen, wieviel davon! Gretchen kann zwar nix dafür, aber es ist nun mal so, dass wir, wie gesagt, immer mehr Strom brauchen. Tendenz, steigend, und zwar rasant steigend. Nicht zuletzt durch eine völlig aus dem Ruder gelaufene Elektrifizierung unseres kompletten Daseins.

Ich höre jetzt schon EIKE & Co pöbeln, dass es dieses Problem nicht gäbe, hätte man die Atomkraftwerke in unserem Hochtechnologieland nicht abgeschaltet, sondern, im Gegenteil, noch ein paar Dutzend neue gebaut. Schließlich waren die deutschen Atomkraftwerke ja die sichersten der Welt…bla, bla, Rhabarber.

OK, unter einem Aspekt, waren sie das in der Tat: Für die Portemonnaies der Betreiber und ihrer Anteilseigner! Für alle anderen, also die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, war das Abenteuer der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“, kein Fass ohne Boden, sondern ein Boden ohne Fass. Man könnte auch sagen: Die größte Fehlinvestition der Nachkriegsgeschichte. Denn besagtes Abenteuer wurde laut Bundesregierung bisher mit über 300 Milliarden € subventioniert…die Kosten für ein per se unmögliches Endlager nicht eingerechnet.

Aber ich fürchte, ich schweife schon wieder vom Thema ab. Also zurück der Tatsache, dass wir immer mehr Strom brauchen. Wie der in Gretchens Steckdose kommt, ist erst mal Wurscht. Denn wenn die Devise weiterhin lautet „Einmal viel von allem bitte“, geht es nur noch um die schiere Menge, nicht um die Art der Erzeugung. Durch den Umstand, dass immer schneller, immer mehr, immer neue Verbraucher, wie die Pilze aus dem Boden, oder so ähnlich, könnte unsere Energieversorgung nämlich schon sehr bald die Grätsche machen. Das kann die auf Dauer nicht wuppen.

Sicherlich könnt Ihr Euch noch daran erinnern, als Anchorman Christian Sievers allabendlich Punkt 19:00 Uhr in der heute-Sendung mit Grabesstimme die neusten „Zahlen“ der Johns-Hopkins-University und des Robert-Koch-Instituts verlas. Wir alle wurden zu Experten und konnten diese Zahlen rauf- und runterbeten, wie irrlichternde Excel-Zombies. Auf dem Höhepunkt der Pandemie, dann der konjunktive Schocker schlechthin, zumindest in den apokalyptischen Meldungen der Medien, einschließlich der Grabesstimme von Christian Sievers:

Ärztinnen und Ärzte auf den Intensivstationen könnten gegebenenfalls, vielleicht, möglicherweise, eventuell, unter Umständen, mutmaßlich dazu gezwungen sein, de jure entscheiden zu müssen, welche Patientinnen und Patienten noch künstlich beatmet werden können und welche nicht, einfach weil zu wenig Hardware für alle vorhanden sei. Das bizarre Auswahlverfahren hatte auch einen Namen, der heute immer wieder gerne aus der Kiste gekramt wird, wenn es darum geht, Micheline und Michel wieder mal ein neues Menetekel zu präsentieren: Die Triage! Diese muss man sich so ähnlich vorstellen, wie ein Damoklesschwert 2.0…nur eben mit weniger Blut im Falle eines Falles.

Wobei…? Man stelle sich folgende Szene in einem smarten Reihenendhaus der gehobenen Mittelklasse vor: Die Tochter im Teenageralter kommt in Tränen aufgelöst zu Mutter in die smarte Küche und ist völlig am Tillen, weil sie ihr neustes Zalando-Tanktop nicht finden kann, dass sie aller allerspätestens in 10 Minuten für ihren Auftritt bei TikTok, also quasi zum Überleben, braucht,. Die Mutter ihrerseits ist aber gerade selbst auf Hundertachtzig, weil sie mal wieder nicht kochen kann und blafft die Tochter deshalb an, es gäbe Wichtigeres, als deren nuttiges Gehopse vor ihren Followers. Was war geschehen?

Die Erklärung ist ganz einfach, und ich bin mir sicher, dass dies weder übertriebener Pessimismus, noch komplett an den Haaren herbeigezogene Science-Fiction ist: Der smarte Herd wurde vom Zentralrechner des Hauses, nach einer vorprogrammierten Triage, vorrübergehend auf Standby gesetzt, weil die Tochter dringend ihre Netflix-Serie anschauen muss, der Zweitwagen am Supercharger zieht, wie Bolle, und die smarte Waschmaschinen und der smarte Wäschetrockner gleichzeitig laufen. Man muss eben Prioritäten setzen.

Muss man? Echt jetzt? Ja, muss man! Wir schreiben nämlich das Jahr 2030, und der Strombezug für die privaten Haushalte wurde schon vor Jahren gedeckelt, weil nun mal immer schneller, immer mehr, immer neue Verbraucher an den Steckdosen ziehen, wie Bolle, die Kapazitäten zur Stromerzeugung jedoch dem astronomischen Bedarf meilenweit hinterherhinkten

Einmal viel von allem bitte? Der war gut. Darf ich den auf der nächsten Party erzählen?

Bildquellen:
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Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Grohmüller 21. November 2023

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