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BGH Urteil Anonymität: Anonym hingerotzt oder nur noch mit verifiziertem Account?

bgh urteil anonymität

BGH Urteil zur Anonymität im Netz

bgh urteil anonymitätHeute urteilte der BGH über die Frage, ob man auch künftig in Bewertungsportalen anonym Bewertungen abgeben darf.
Branchenkenner meinen, bis zu einem Drittel der abgegebenen Bewertungen seien lanciert und würden von Mittelsmännern oder Agenturen in solche Portale eingestellt. Ziel solcher Manipulationen ist das Schönreden der eigenen Dienstleistung bzw. Ware oder das Herabwürdigen der Produkte der Konkurrenz.

Im aktuellen Fall ging es um ein Bewertungsportal für Ärzte, in dem wiederholt über einen Arzt falsche und schlechte Bewertungen anonym abgegeben wurden. Zwar waren diese Kommentare stets vom Betreiber gelöscht worden, jedoch beharrt der schlecht beurteilte Arzt auf der Herausgabe der Userdaten. Schon heute könnte er auch im Zuge eines Strafverfahrens, evtl. mit Durchsuchung der Geschäftsräume und Beschlagnahme der Rechner möglicherweise an sein Ziel kommen, aber es wurde der Weg zum BGH gewählt, was nun eine möglicherweise grundsätzliche Entscheidung mit sich brachte.

Der Bundesgerichtshof wies das Auskunftsbegehren mit Urteil vom 1.7.2014 zurück. Und diese Entscheidung ist auch richtig.

Die freie Meinungsäußerung, die sich im Schwarm bildende Meinung, ja vor allem die vom Schwarm abweichende Meinung kommt aber in der derzeit gültigen Netzatmosphäre vor allem durch die Möglichkeit zustande, daß man Kommentare und Bewertungen anonym abgeben kann.
Nun ist es aber üblicherweise nahezu jedem Seitenbetreiber frei gestellt, ob und wie viele Userdaten er erhebt und wie er sie verifiziert, bevor jemand über sein System eine Meinung verbreiten kann.
Viele Händler, die ihren Kunden die Möglichkeit bieten, gekaufte Produkte zu bewerten, lassen das überhaupt nur zu, wenn a) der Kauf tatsächlich erfolgt ist und b) der Klarname des Bewerters bekannt ist.
Nach außen hin erscheint die Bewertung unter einem frei wählbaren Nicknamen, dem Betreiber sind aber die Daten bekannt.

Diese Möglichkeit hat mich noch nie gestört, ich stehe zu dem, was ich über Hotels, Reiseveranstalter und Produkte zu sagen habe.

Ja, ich muß sogar sagen, daß mir Bewertungen auf solchen Seiten, bei denen zumindest auf Betreiberseite die wahre Identität des Bewerters bekannt ist, viel glaubwürdiger erscheinen, als hingerotzte Kommentare mit Bewertungen auf Portalen, auf denen jeder unter MickyMouse08 oder Arschloch1987 anonym kommentieren kann.

Aber selbst wenn nur überprüfte Käufe von registrierten Usern bewertet werden dürfen, gibt es noch genügend Schlupflöcher um Gefälligkeitsbewertungen, Rachebewertungen oder gezielt negative Beurteilungen abzugeben.
Vieles davon dürfte von der Meinungsfreiheit gedeckt sein, sodaß auch eine eventuell durch ein BGH-Urteil erforderliche Registrierung gar nichts ändern würde.
Mit anderen Worten: Wird die negative Bewertung nur geschickt genug formuliert und enthält sie keine wahrheitswidrigen Behauptungen, hat der Bewerter so oder so nichts zu befürchten.

Doch wer will denn noch seinen Hausarzt, einen Handwerker, ein Krankenhaus oder einen Hotelier oder Gastronom bewerten, wenn er befürchten muß, daß aus nichtigem Grund recht leicht und einfach so seine Identität bekannt gegeben werden muß?
Vielleicht hat einen das eine oder andere berechtigterweise gestört und das möchte man mal gesagt haben und anderen mitteilen, ohne das ein Empfindlicher, der sich auch durch leichteste Kritik bereits beschädigt und betroffen sieht, ihn gleich zur Rechenschaft zieht.

Man stelle sich den konkreten Fall einmal vor: Da besucht jemand gerne einen bestimmten Biergarten, wegen der schönen Atmosphäre, der tollen Lage, des Ambientes. Er verbringt dort gerne seine Zeit bei einem Radler.
Dann bestellt er sich eines Tages auch mal was zum Essen und findet das Essen grauenvoll. Auch ein zweiter Versuch mit den angebotenen Speisen endet genau so: Das Essen schmeckt nicht.
Die Bewertung unter dem Nicknamen „Biergärtner“ in einem Gastro-Portal könnte lauten: „Toller Biergarten, netter Service, kinderfreundlich, herrlich. Getränke normal, Essen eher nicht zu empfehlen.“
Dem Wirt des Biergartens gefällt das nun nicht, er ist von seinen Kochkünsten überzeugt. Er verlangt die Herausgabe des Klarnamens des Bewerters und stellt den dann zur Rede.
Man kann sich ausmalen, was die Folge ist. Gast und Wirt geraten in Streit, der Gast wird vielleicht Hausverbot bekommen und Wirt und Gast beharken sich künftig.

Ja, ich finde, Bewertungen sollten nur solchen Leuten ermöglicht werden, die auch bereit sind, im ernsthaften Falle eines Falles für ihre Meinung gerade zu stehen. Die Meinungsfreiheit wird dadurch in keinster Weise eingeschränkt. Man muß einfach bereit sein, zu seiner Meinung auch zu stehen.
Aber die Hürde, daß ein Seitenbetreiber die Namen herausgeben muß, sollte so hoch sein, daß nicht für jede persönliche Empfindlichkeit eines Bewerteten gleich alle Türen geöffnet werden müssen.
Und diese Hürde gibt es bereits: Wer sich unberechtigter Schmähkritik ausgesetzt sieht, kann anwaltlich und im Zuge eines Strafverfahrens dagegen vorgehen. Eine Aufweichung, die ein leichtes Einschüchtern der Bewerter ermöglicht hätte, wäre eine Fehlentscheidung gewesen.

Jedoch bedeutet das trotzdem nicht, daß jetzt jeder einen Freibrief hat, anonym alles über jeden schreiben zu können. Der BGH hat heute nur den Weg zur Verfolgung bewußt falscher, gelogener, erfundener und herabwürdigender Bewertungen für ausreichend empfunden und keine Notwendigkeit gesehen, hier eine Erleichterung für zu unrecht Geschmähte zu schaffen.

Es werden auf Dauer sowieso nur solche Portale mit Bewertungen Bestand haben, die sich ernsthaft bemühen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Eine ähnliche Situation haben wir ja auch bei den Frage-Antwort-Portalen, in denen jeder Laie zu gestellten Fragen eine Antwort verfassen kann. Zumeist werden dort die falschesten und dümmsten Antworten als besonders hilfreich bewertet, so mein Eindruck.
Der Seitenbesucher wird sich aber genau deshalb genau überlegen, ob er einen der dort abgegeben Ratschläge ernsthaft befolgt, oder ob er nicht doch lieber weiter im Netz recherchiert, um auf fundiertes Wissen zurückzugreifen.

Genau so ist es mit den Bewertungsportalen. Der vernünftige User wird sich nicht nur auf ein Portal und einige wenige Meinungen verlassen, sondern sich bei mehreren Anbietern versuchen, selbst ein Bild zu machen und den größten Schwachsinn filtern.
Hoffentlich!

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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Wilhelm 1. Juli 2014

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