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Satire

Ein Plädoyer für die Schamwand

Daß man für Schamwände überhaupt plädieren muß, ist eigentlich ein Hohn.
Schamwände sind, das muß man zumindest Frauen zumeist erklären, jene Abtrennungen, die in Herrentoiletten zwischen den einzelnen Urinalen angebracht werden können.

toilette-schamwand

Üblicherweise ist es ja so, daß man sich bei der Verrichtung der sogenannten kleinen und großen Geschäfte diskret in einen meist abschließbaren Raum zurückzieht und dort allein tätig wird.
Das war früher mal anders, als man beispielsweise im alten Rom noch gemeinsam, quasi als Akt der sozialen Zusammenkunft, zum „Geschäftstermin“ ging. Doch die Zeiten des, lasst es mich so sagen, Rudelkackens sind vorbei.
Menschen möchten bei der Erledigung der Dringlichkeiten für sich sein, man möchte seinen Körper und dessen Ausscheidungen, und auch den Körper beim Ausscheiden derselben, nicht unbedingt anderen Menschen zur Schau stellen.

Überhaupt ist es mir persönlich unangenehm, mich vor anderen Menschen, mit denen ich keinen Sex haben möchte, nackt zu präsentieren.
Das war schon immer so, das hat mir auch niemand anerziehen müssen. Nein, eher das Gegenteil war der Fall. Nach dem Schulsport war stets Gemeinschaftsduschen angesagt und ich habe es gehaßt, wie die Pest.
Der Sportlehrer drängte geradezu darauf, daß sich niemand um diesen Akt des gemeinsamen Nacktseins herumdrückte. Und das wollten viele.

Offenbar gehört es zur urdeutschen Mentalität, daß sich echte Kerle immer gemeinsam unter die Dusche stellen. Bergleute machen das, Soldaten machen das und offenbar auch Sportler müssen das so machen. Wer das nicht will, der gilt als Weichei, als Memme oder er hat vielleicht sogar etwas zu verbergen und gerät schnell in den Ruf, vielleicht sogar, ach Herrgott, schwul zu sein.

Diese Mentalität ist seit Ewigkeiten auch in die Toiletten hinübergeschwappt, die von mehreren männlichen Personen gleichzeitig besucht werden.
Ein Urinal hängt da direkt neben dem anderen und Männer stellen sich zum Rudelpissen oft sogar nur an eine so genannte Pinkelrinne. Man brunzt an eine gekachtele Wand, der Urin läuft daran herab, unten in eine Rinne und ein ab und zu ausgestoßener Wasserstrahl spült dann mehr oder weniger gründlich den Urin weg.
Es ist übrigens nahezu unmöglich, an einer solchen Pinkelrinne, wie man sie immer noch in Gaststätten und auf Volksfesten findet, sein Geschäft zu verrichten, ohne sich die Hosenbeine und die Schuhe zu versauen.
Im Übrigen bleibt es auch näheren genetischen und forensischen Untersuchungen vorbehalten, ob die eingetretene Verbrunzung von Hose und Schuhen allein auf den eigenen Brunz oder auch auf den Spritzbrunz der Pinkelrinnennachbarn zurückzuführen ist.

Natürlich ist die Miktion1 etwas völlig Natürliches, etwas vollkommen Normales und absolut Menschliches.
Aber genauso menschlich ist das Schamgefühl, der Wunsch, diese Dinge allein und unbeobachtet verrichten zu wollen.
Es ist ja im Übrigen auch so, daß Pinkeln nicht immer geräuschlos vonstatten geht. Einmal abgesehen davon, daß das Wasserlassen an sich aufgrund der physikalischen Eigenschaften von druckvoll ausgestoßenen Flüssigkeiten eine gewisse Geräuschkulisse erzeugt, verfallen manche bei diesem Vorgang in eine Art Stöhnen, Grunzen und erleichtertem Ausatmen.
Sei das noch, aufgrund der erleichternden Wirkung des Harnens, durchaus als verständlich anzusehen, so ist mir aber der Wunsch vieler Geschlechtsgenossen nach einer gewissen Art von Urinalkonversation absolut unverständlich.
Neulich erleichterte ich mich an einem solchen Gaststätten-WC, da meinte der freihändig neben mir pinkelnde Suffkopp: „Isch muß me net ämol die Händ‘ wäsche. Hos‘ uff, der Lümmel fällt durch die Schwerkraft raus und dann hängt der bis in die Schüssel. Da brauch isch käne Händ‘!“

Schön für ihn.

Aber auch damit könnte ich leben, ich müsste ja nicht hinhören. Aber was mich wirklich stört, und wovor die Schamwände, um die es hier geht, allein schützen könnten, ist das Glotzen.

Da stehst du da an diesem Urinal oder an dieser Pinkelrinne und kaum hast du die Hose geöffnet, das Teil hervorgefingert und schaffst es, den Strahl der Erleichterung ins Urinal zu lenken, da stellt sich immer einer neben dich und glotzt als erstes auf dein Gemächt.
Manchmal verharrt sein Blick auch gebannt an dieser Stelle, während er fingert, strahlt und schüttelt.
Oft genug wirst du auch von rechts und links begafft und mancher beugt sich sogar noch herüber, um an dir vorbei auch noch auf den Pieselmann des Übernächsten glotzen zu können.

Steinzeitliche Schwanzschau, das ist das!

In den Vereinigten Staaten haben sich Schamwände längst als Standard durchgesetzt. Es sind dies die wenig aufwändigen kleinen Abtrennwände zwischen den einzelnen Urinalen. Sie geben jedem eine gewisse Privatsphäre und verhindern mit wenig Aufwand den glotzenden Blick anderer Kerle.

Warum es diese Schamwände bis jetzt noch nicht in jedes Klo geschafft haben, ist mir ein Rätsel.
Ginge es nach mir und nach den meisten Leuten die ich kenne, wäre die Anbringung dieser einfachen Bretter oder Milchglaswände ein Muss.

Wohlgemerkt, ich leide nicht an Paruresis, jenem als psychische Störung und sozialen Phobie eingestuften Nicht-Pipi-Machen-Könnens-wenn-jemand-zuguckt.
Ich kann wenn ich muss, nur ich mag nicht, wenn jemand glotzt.

1 Miktion = Blasenentleerung, Wasserlassen, Harnlassen, Harnen, Urinieren, Austreten, Pinkeln, Pieseln, Pissen, Rappeln, Seichen, Schiffen, Brunzen, Brünzeln, Lullern, Rappele machen, Ludeln, Pritscheln oder aber auch „Pipi machen“ (für kleine Jungs/Mädchen), „mal müssen“.

Du kennst weitere Synonyme? Welche? Schreib es mir in die Kommentare in meinem Weblog https://dreibeinblog.de

Satire

Satire ist eine Kunstform, mit der Personen, Ereignisse oder Zustände kritisiert, verspottet oder angeprangert werden. Typische Stilmittel der Satire sind die Übertreibung als Überhöhung oder die Untertreibung als bewusste Bagatellisierung bis ins Lächerliche oder Absurde.

Üblicherweise ist Satire eine Kritik von unten (Bürgerempfinden) gegen oben (Repräsentanz der Macht), vorzugsweise in den Feldern Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 3. Februar 2020 | Peter Wilhelm 3. Februar 2020

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