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Spitze Feder

Zwischen den Jahren

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Tja, das kommt davon, wenn man hysterisch genau ist. Über Äonen war eine Sekunde ungefähr die Dauer zwischen zwei Herzschlägen. Eine Minute definierte man als das 60-fache einer Sekunde, und eine Stunde als das 60-fache einer Minute. Ein Tag dauerte 24 Stunden und ein Jahr 365 Tage. Bingo! Und alle waren happy damit.

Bis ein einige Pedanten, vermutlich aus schierer Langeweile, konstatierten, dass diese Definitionen ungenau waren, und sie begannen ein bitteres Wehklagen. Damit sich nämlich ein jährliches Ereignis, wie der Zeitpunkt des Sonnenaufgangs an einem ganz bestimmten Tag, exakt wiederholt, dauerte es einen Tick länger, als eben nur ein Jahr. Ein Tick zwar nur, aber immerhin…

So dachten sich die Wissenschaftler: Also wenn man sich nicht einmal mehr auf den Lauf der natürlichen Dinge verlassen kann, müssen wir das ändern. Also nicht den Lauf der natürlichen Dinge, sondern die Definition von Zeit, als solcher. Da jedoch die römisch-katholische Kirche de jure die Deutungshoheit über die Schöpfung und somit auch über die Zeit für sich beansprucht, wurde die Diskrepanz zwischen besagten 365 Tagen und der tatsächlichen Länge eines Jahres, 1582 von Papst Gregor VIII., mittels einer Bulle ausgemerzt.

Seither gilt der Gregorianische Kalender und mit ihm der weltweit meistgebrauchte. Er definiert ein Jahr, als die Dauer von 365,2425 Tagen. Das Vorgängermodell rechnete noch mit völlig unsauberen 365,25 Tagen und konnte, selbst mit dem eingeschobenen Tag eines Schaltjahres, nicht präzise mit den tatsächlichen Beobachtungen natürlicher Perioden sauber, und vor allen Dingen nachhaltig, synchronisiert werden.

Heutzutage, also in Zeiten satellitengesteuerter Interkontinentalraketen, hat längst die Physik die Deutungshoheit über die Zeit übernommen. Seit 1967 wird eine Sekunde definiert, als „…das 9.192.631.770-fache, der Periodendauer, der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids Cäsium-133 entsprechenden Strahlung.“

Dann dachten US-Wissenschaftler: 10 Stellen vor, oder hinter dem Komma, je nach Betrachtung, können doch nicht der Weisheit letzter Schluss sein, oder? Da geht doch noch was. Schließlich verfügen die US-Streitkräfte ja bekanntlich über ein riesiges Arsenal an satellitengesteuerten, hochpräzisen Interkontinentalraketen, und die sollen im Ernstfall punktgenau ihren Job erledigen, oder? Nicht, dass es kurz vor dem Weltuntergang noch heißt: Menno, der Punkt des Einschlags der LGM-30 Minuteman in Tscheljabinsk, hätte eigentlich 0,37 Millimeter südsüdöstlicher sein müssen. Immimi!

Deshalb konstruierten besagte US-Wissenschaftler an der University in Boulder, vor kurzem die genaueste Uhr der Welt, die erst nach einem Zeitraum von 100 Billionen Jahren um eine Sekunde falsch geht. 20x genauer, als herkömmliche Atomuhren! Das sollte für die absolut präzise Pulverisierung einer Millionenstadt nun wirklich reichen.

Was mir hingegen völlig schleierhaft erscheint, ist der Zeitraum zwischen dem 27. Dezember und dem 31. Dezember eines jeden Jahres, den man gemeinhin als „Zwischen den Jahren“ bezeichnet. Man findet hierzu keinerlei Definitionen. Weder im Julianischen Kalender, der bekanntlich durch den Gregorianischen abgelöst wurde, noch im Handbuch für eine Cäsium-Atom-Uhr, oder in dem, der Ultra-Rolex in Boulder.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass mit „Zwischen den Jahren“ die Zeit gemeint ist, in der grausame Weihnachtsgeschenke umgetauscht, oder Gutscheine für sinnlosen Tand eingelöst werden. Es erscheint mir ebenfalls abwegig, es könne sich bei der Zeit zwischen den Jahren, um die Rekonvaleszenz-Dauer von Leber, Galle, Magen und all dem anderen Gekröse handeln, die traditionell vom Heiligabend bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag, aufgrund maßloser Völlerei, deutlich über ihre Leistungsgrenze strapaziert werden.

Es gäbe noch eine, allerdings höchst skurrile Möglichkeit, was mit der Zeit „Zwischen den Jahren“ gemeint sein könnte. Diese basiert allerdings nicht auf Wehwehchen des Verdauungstraktes, oder konsumbedingter Depression, sondern auf knallharten Fakten aus der Naturwissenschaft. Wobei…knallhart…? Nun ja.

Es handelt sich hierbei um einen Zeitraum, kürzer als die Planck-Zeit, per Definition das kleinstmögliche Zeitintervall, für das die bekannten Gesetze der Physik gültig sind. Man könnte deshalb mit Fug und Recht behaupten, dass es die Zeit „Zwischen den Jahren“ faktisch sehr wohl gibt. Allerdings wäre sie per Definition kürzer, als jene aberwitzigen 5,391247 x 10-44 Sekunden. Ich habe keine Ahnung, wie man diese Zeit zwischen den Jahren totschlagen könnte.

By the Way: Habt Ihr eigentlich „Zwischen den Jahren“ schon was vor?

Bildquellen

  • export-pixabay-mlaranda-small: pixabay

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Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Grohmüller 22. Dezember 2022

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