Spitze Feder

Rosinen picken

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Als ich ein kleiner Junge war, schien die Zeit zäh, wie Honig, zu fließen, oder gänzlich stillzustehen, wenn meine Mutter einen Kuchen gebacken hatte.

Ich hätte ihn am liebsten gleich aus dem Backofen heraus vertilgt, musste aber gefühlt endlos warten, bis er auf Zimmertemperatur abgekühlt war. Meine Mutter bläute mir ein, dass einem von heißem Kuchen schlecht würde, und sie ließ es nicht zu, dass ich ihre These in einem Selbstversuch überprüfte.

Später verhinderte sie mit einer anderen, weniger medizinischen, Begründung, dass ich nur die Streusel vom gleichnamigen Kuchen pulte. Man müsse den ganzen Kuchen essen, sonst könne man die leckeren Streusel nicht wertschätzen, und ich solle mir abgewöhnen, immer nur die Rosinen picken zu wollen. Wenngleich Streusel etwas grundlegend anderes sind, als jene getrockneten Tafeltrauben, habe ich den bildlichen Vergleich verstanden und ihn ins Erwachsenenalter mitgenommen.

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Solche Vergleiche drängen sich mir heute immer wieder auf, wie aktuell bei der Diskussion in Sachen Energieversorgung im Allgemeinen und beim Individualverkehr im Besonderen. Und ich frage mich, weshalb die Eltern derjenigen, die heute die Deutungshoheit zu diesem Thema für sich beanspruchen und über unsere Zukunft bestimmen, von ihren Müttern offensichtlich nicht davon abgehalten wurden, nur die Streusel vom gleichnamigen Kuchen zu pulen. Gedankenlosigkeit? Ignoranz? Beides?

Ich gestehe, der Begriff „ganzheitlich“, ist leider ideologisch überfrachtet und findet heute anscheinend nur Anwendung, wenn in anthroposophischen Selbsthilfegruppen über die Vereinbarkeit von veganen Birkenstock-Sandalen mit Quinoa-Pudding aus Bio-Hafermilch diskutiert wird. Zynisch? Echt jetzt?

Dabei wäre es gerade beim Thema Energie geboten, die ganzheitliche Betrachtung als Messlatte für Entscheidungen anzulegen. Dass dies offensichtlich nicht der Fall ist und sowohl Hersteller, als auch Verbraucher dem Rosinenpicken ohne Sinn und Verstand frönen, sieht man an der Entwicklung der sogenannten E-Autos, die eine promovierte Physikerin dereinst zum Stein der Weisen deklarierte und deren globalen Einsatz, als Vision für eine goldene Zukunft sah – dies natürlich alternativlos.

Deshalb wird auch alleine schon das didaktische Hinterfragen jener Heiligtümer, oder auch nur die Anmahnung einer ganzheitlichen Betrachtung der Technologie, als Häresie verteufelt. Emittieren doch E-Autos beim Betrieb schließlich kein CO2. Ergo sind sie umweltfreundlich und unverzichtbar für die Rettung des Klimas. Punkt!

Fragt man nun, weshalb man zu Rettung des Klimas zwingend ein Luxus-E-SUV mit einem Gewicht von knapp drei Tonnen und 500 PS, oder ein elektrisches Hypercar mit 2000 PS und einem Top-Speed jenseits der 400 km/h Marke benötige, erntet man meist ein erbostes Immimi, verbunden mit der wütenden Aufforderung, dass man sich seine Technikfeindlichkeit und seine Misanthropie doch in die Haare schmieren solle.

Leute, mal im Ernst: Nüchtern betrachtet, haben wir mit dem vermeintlich Heilsbringer namens E-Mobilität, doch einfach nur ein neues Fass aufgemacht. Nachdem wir durch die Förderung von Erdöl und dessen Verbrennung in unserem heiligs Blechle, die Umwelt und die Atmosphäre seit über 100 Jahren zur Müllkippe erklärt haben, picken wir uns jetzt einfach ein paar neue Rosinen aus dem Technik-Kuchen…damit alles so bleiben möge, wie es nie war. Selbst auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole:

· Dass wir diese Kisten laden müssen und somit auch alten Dreckschleudern, wie Braunkohlekraftwerken, eine wundersame Renaissance bescheren, dass man diese Renaissance sogar ernsthaft Kernkraftwerken wieder angedeihen lassen möchte…nun ja, da muss man wohl durch, wenn man mit E-Autos den Planeten retten will. Zynisch? Echt jetzt?

· Dass durch die Lithium-Gewinnung, jetzt auch noch die Atacama-Wüste in Chile zur globalen Müllkippe erklärt wird, dass die Bauern dort keine Zukunft mehr haben, weil ihnen das Wasser für ihr Vieh und ihre Felder von den Lithium-Unternehmen abgegraben wird…nun ja, da muss man wohl durch, wenn man mit E-Autos den Planeten retten will. Zynisch? Echt jetzt?

· Dass im Kongo, Kinder in selbst gegrabenen Stollen, zum Teil barfuß, mit Pickel und Schaufel, Kobalt für die Batterien der E-Autos abbauen, dass ab und zu mal ein solcher Stollen einstürzt und ein paar der blutjungen Mineros dabei ums Leben kommen…nun ja, da muss man wohl durch, wenn man mit E-Autos den Planeten retten will. Zynisch? Echt jetzt?

· Dass in einem Wasserschutzgebiet in Brandenburg eine sogenannte Giga-Factory für E-Autos steht, in der über 100.000 Wagen pro Jahr vom Band rollen werden, dass dafür tausende Bäume gefällt wurden, dass die Behörden dafür sogar die Grundwasser-Informationspflicht kippten und nun ernsthaft über eine Rationierung des Trinkwassers für private Haushalte nachdenken…nun ja, da muss man wohl durch, wenn man mit E-Autos den Planeten retten will. Zynisch? Echt jetzt?

Muss man da durch? Echt jetzt? Als meine Mutter mir das Streusel-Rosinen-Axiom erklärte und mir Wertschätzung einbleute, fuhren wir einen 1200er VW-Käfer, mit einem 34 PS, Vierzylinder-Otto-Motor, der knapp 10 Liter Sprit pro 100 km soff. Heute fahre ich einen Wagen des gleichen Herstellers, der aus einem 1,4-Liter, Vierzylinder-Otto-Motor, 130 PS holt und nur knapp über die Hälfte an Sprit benötigt. Er hat ein 7-Gang-Automatik-Getriebe, Klimaanlage, elektrische Fensterheber, Abstandswarner, Einparkhilfe und weiteren Schnickschnack. All dies benötigt Energie, die von besagtem Otto-Motor erzeugt wird, dessen Potential bei weitem noch nicht ausgereizt ist…ebenso wenig, wie die Produktion von CO2-neutralen Kohlenwasserstoffen via P2X. Wenn die Rosinenpicker in Politik und Wirtschaft den Erfindergeist und den gesunden Menschenverstand per Gesetz nicht vorsätzlich erdrücken, wird ein solcher Wagen in wenigen Jahren mit geradezu asketischen 1 bis 2 Liter CO2-neuralem Sprit pro 100 km schnurren. Sollte dieser Sprit dann 3,50 €/Liter kosten, wie einige Rosinenpicker heute apokalyptisch drohen und mahnen…so what?

Wenn man das Gefasel über die Kosten, die Effizienz und den Wirkungsgrad von P2X- Kraftstoffen hört, kurzum die bekannten Totschlagargumente gegen neue Technologien, kommt man um den Verdacht nicht herum, dass sich die Hohepriester der E-Mobilität in Politik und Wirtschaft, durch ihr Rosinenpicken die Adipositas an den Leib fressen, nur zur Systemerhaltung und um ihre angestammten Pfründe zu verteidigen.

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Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Grohmüller: © 31. März 2023

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