Die Allerliebste erfreut meine geschundene Humoristenseele durch eine Einladung in eine kleine Kneipe in unserem Dorf. Ich stamme ja aus dem Ruhrgebiet, wo es besonders viele Kneipen gibt.
An jeder Ecke gibt es eine Wirtschaft und die Standorte sind strategisch günstig ausgewählt, sodass die Männer auf dem Heimweg von der Arbeit zwangsläufig daran vorbei müssen.
Selbst wenn einer bei der ersten Wirtschaft standhaft bleibt und sich vornimmt, seinen Wochenlohn komplett zu Hause beim Eheweib abzuliefern, spätestens bei der dritten Kneipe, an der er vorbeikommt und wo geselliges Lachen und Gläserklingen aus der Türe schallt, muss er schwach werden und wenigstens auf ein einziges klitzekleines Bierchen einkehren.
Dort zieht man ihm dann für zehn kleine Biere sechs Mark aus der Tasche. Das Geld ist zwar fort, aber wenigstens ist man ein bisschen besoffen.
So war das früher, als ich noch im Ruhrgebiet wohnte. Heute ist ja alles anders und hier im Badischen ist sowieso alles anders. Da stehen keine Männer in Dreierreihen an der Theke und trinken Bier und Schnaps, bis die Schwarte kracht. Lautstark werden im Ruhrgebiet die Themen Sport, Politik und Fußball diskutiert und die besten Kanzler, Bundestrainer und Kirchenkritiker stehen an der Theke. Hat einer eine andere Meinung, dann trinkt man eben so lange Bier und Korn, bis alle meinen, sie hätten dieselbe Meinung. Im Badischen sitzen die Männer höchstens zu Dritt an den Tischen, trinken Weinschorle und schweigen sich an. Auf der Theke stehen Blumentöpfe mit Fuchsien und die Stimmung ist irgendwo zwischen Schweigemarsch und Beerdigung. Weinschorle ist übrigens verdünnter Wein. Für zwei Gläser zahlt man auch sechs Euro. Das Geld ist also auch im Badischen fort, nur eben viel mehr und man ist nicht wirklich besoffen, auch nicht ein bisschen. Dafür hat man sich aber wenigstens eine Stunde lang über die anderen geärgert, die stur ihre Meinung vertreten haben.
In der Kneipe, in die die Allerliebste mich einlädt, ist das ein bisschen anders. Es ist eine kleine Kneipe mit einer Theke an der man sitzen kann und es verkehren dort Leute, die keinen verdünnten Wein trinken wollen. Deshalb freue ich mich.
Anke und ich kommen ziemlich früh und außer Schabbes, dem Thekenmann, ist noch keiner da. Schabbes, was für ein Name! Aber wie ich vermute, heißt der in Wirklichkeit Wolfgang oder Karl-Heinz.
Es ist nämlich so, dass die Allerliebste für alle und jeden einen Spitznamen hat. Der Rüdiger heißt Blue, der Michael wird Stemmer genannt und Heinz-Dieter ist der Joker. Franz heißt bei ihr ‚der Taube’ und Jens-Uwe ist ‚der Knolles’. Mir fällt es ohnehin schwer, die ganzen Dorfbewohner auseinander zu halten, so üppig sind die Unterschiede hinsichtlich Kleidung und Figur nämlich nicht. Durch die, auch noch im Dialekt vorgetragenen, Spitznamen wird die Sache für mich aber nicht gerade leichter. So hat die Allerliebste auch noch einen Bekannten, der mit Nachnamen Schoger heißt. Wenn sie mir irgendwas von ihrem Bekannten ‚Joker’ erzählt, kann ich beim besten Willen keinerlei Unterschied zu Schoger er-kennen. Der weiche und mit breitem Mund ausgesprochene Name klingt jedenfalls vollkommen gleich.
Es kann aber auch durchaus passieren, dass zwei Leute denselben Spitznamen haben. Da gibt es zum Beispiel den Labbes. Seit Jahren treffen wir Labbes beim Einkaufen und unterhalten uns immer angeregt mit ihm. Das heißt, eigentlich unterhält sich Anke mit dem, denn ich kann auch ihn beim besten Willen nicht verstehen. Ich wundere mich nur immer sehr darüber, wie viel der Kerl immer abgenommen hat; allerdings nimmt er auch innerhalb von nur wenigen Wochen bis zum nächtsten zufälligen Treffen wieder enorm zu. Es hat Jahre gedauert, bis ich erfahren habe, dass das zwei vollkommen verschiedene Männer sind! Die heißen bei Anke eben beide Labbes.
Aber der hier an der Theke heißt nicht Labbes, sondern Schabbes und sieht aus wie Wolfgang Petry. Wir bestellen uns je ein Bier und setzen uns an die Theke. Anke und ich haben uns ja immer was zu erzählen und unterhalten uns angeregt. Langsam füllt sich die Kneipe und es wird etwas lauter. An und für sich mag ich es ja nicht so sehr, wenn es um mich herum laut wird, aber in einer Kneipe kann ich das ganz gut haben. Vor allem in einer badischen Kneipe, es zeigt mir nämlich, dass da nicht nur irgendwelche Schorle-Rentner miesmutig an ihrem verdünnten Wein nippen.
Neben uns sitzt ein junger Mann, der die ganze Zeit auf seinem Handy irgendwelche Tasten drückt und sich in unregelmäßigen Abständen aus unerfindlichen Gründen sichtlich freut. Daneben ein Paar in unserem Alter und am Ende der kleinen Theke ein großer Dunkelhaariger, der ein bisschen aussieht, wie Rock Hudson.
Warum kuckt der eigentlich die ganze Zeit zu uns herüber?
Ich frage die Allerliebste: „Sag mal, was glotzt der Typ da drüben eigentlich immer so?“
„Lass ihn doch!“
„Kennst du den?“
„Nö, nicht dass ich wüsste.“
„Was heißt das jetzt? Kennst du ihn nicht oder weißt du nur nicht mehr, ob du ihn kennst?“
„Weiß nicht.“
Während wir in seine Richtung schauen, entblößt Rock Hudson eine Doppelreihe blitzender, schneeweißer Zähne und lächelt Anke zu. Was fällt dem eigentlich ein?
„Bist du sicher, dass du den nicht kennst?“
„Eigentlich schon.“
Ich werde langsam misstrauisch! Wenn die Allerliebste nichts zu verbergen hätte, würde sie doch klipp und klar sagen, ob sie den kennt oder nicht. Aber sie weiß es angeblich nicht und benutzt das Wort ‚eigentlich’ in ihren Ausflüchten.
„Du musst doch wissen, ob du den kennst! So wie der aussieht, muss sich eine Frau doch daran erinnern, ob sie ihn kennt.“
„Meine Güte! Ich kenne hunderte von Menschen, darunter sind auch eine ganze Menge Männer. Die meisten kenne ich einfach nur so, da ist es mir völlig egal, wie die aussehen.“
Rock Hudson lächelt schon wieder und prostet meiner Frau zu. Die prostet natürlich nicht zurück. Ist doch klar! Wenn sie jetzt auch noch auf seine Avancen einginge, würde sie sich ja verraten. Sie tut so, als ob sie das gar nicht gesehen hätte.
Ich bohre weiter: „Der hat dir gerade zugeprostet!“
„Ach was?“
„Das hast du doch genau gesehen!“
„Kann sein!“
„Und warum prostest du nicht zurück?“
„Würde ich dem jetzt zurückprosten, dann würdest du doch annehmen, ich kenne den von früher und dann….“
„Was ‚und dann’?“
„Dann gehst du wahrscheinlich hin und willst den verhauen!“
„Mach ich auch gleich, der lächelt und prostet nämlich schon wieder!“
„Also, jetzt hör mir mal zu! Selbst wenn ich den kennen würde, könnte es dir doch vollkommen egal sein. Aber ich kenne den nicht und jetzt lass mich in Ruhe mit dem Kerl!“
Schabbes stellt uns beiden ein Bier hin: „Das ist von dem Typ am Ende der Theke, mit einem schönen Gruß.“
Aha! Jetzt hat er sich verraten, der Frauenschänder vom Ende der Theke! Wahrscheinlich will er direkt hier in der Kneipe was mit meiner Frau anfangen und lädt uns jetzt erst mal zu einem Bier ein. Wenn wir dann betrunken sind, bin ich wehrlos und Anke willenlos! So nicht! Nicht mit mir! Mir schwillt der Kamm.
Anke prostet dem jetzt auch noch zu! Rock Hudson prostet zurück und ich bin kurz davor, dem Kerl ein paar aufs Maul zu hauen. Mal sehen, ob er dann immer noch so schöne Zähne hat.
Anke drückt mich auf meinen Hocker zurück.
„Bleib sitzen, was soll das denn, der will doch nur nett sein!“
„Nett! Ich will nicht, dass irgendein Kerl nett zu dir ist!“
„Dreibeine sind ja so was von eifersüchtig!“
„Wie soll ich da nicht eifersüchtig werden, wenn du mir ständig irgendwelche Gründe dazu lieferst!“
„Was mache ich denn? Wir sind verheiratet, wir haben Kinder und wohnen zusammen. Wir machen überhaupt alles zusammen.“
„Und warum prostest du dich dann mit irgend so einem Dorf-Gigolo zusammen?“
„Du bist doch krank!“
Die Allerliebste merkt gar nicht, wie sie sich allmählich verrät! Jetzt nimmt sie den auch noch in Schutz! Ich sehe vor meinem geistigen Auge schon, wie er gleich seinen Autoschlüssel hervorholt und damit winkt. Dann wird er meiner Frau zuzwinkern und die beiden werden in seinem amerikanischen Straßenkreuzer direkt nach Las Vegas fahren.
Ich bringe ihn um! Soviel steht fest!
Da! Jetzt greift er in seine Jackentasche! Aha! Nun kommt bestimmt der Autoschlüssel. Ich balle die Fäuste.
Doch was er hervorzieht, ist ein Kugelschreiber. Dann holt er noch einen kleinen Zettel heraus. Ach so läuft das! Der will jetzt seine Handy-Nummer aufschreiben, damit er mit meiner Frau ein Treffen ausmachen kann.
Ich überlege, ob ich ihn gleich hier in der Kneipe umbringe oder ihn erst an seinen Haaren vor die Türe schleife. Da steht der Kerl auf und kommt auf uns zu. Es ist unglaublich, was der sich traut! Der sieht doch, dass Anke und ich zusammen sind und trotzdem wagt er es, mit seinem Kugelschreiber und dem Zettelchen in der Hand zu uns zu kommen.
Wahrscheinlich wird er sagen: „Na, hübsche Frau, wollen sie mir nicht ihre Nummer aufschreiben?“
Ein falsches Wort und ich schlachte ihn hier direkt vor der Theke!
Er ist noch drei Schritte entfernt und ich schiebe meinen Barhocker etwas zurück. Das gibt mir etwas mehr Raum, wenn ich ihn gleich meuchelmorden werde.
Jetzt ist er bei uns angekommen und lächelt breit. Dann lässt er seine wohltönende Verführerstimme hören und sagt: „Mein Herr, ich bin ein Bewunderer ihrer Geschichten und Bücher. Darf ich sie um ein Autogramm bitten?“
So ein netter Mann! Es freut mich immer wieder, wenn mir Menschen begegnen, die einen Sinn für Kunst, Literatur und Humor haben. Dieser Mann ist offenbar ein besonders gebildetes Exemplar und ich lade ihn zu einem Bier ein.
Wirklich, ein sehr netter Mann!
(c) Peter Wilhelm, 2005/2006
aus: „Dreibeine und andere Männer“, 233 S. TB
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„Zum Hieressen oder zum Mitnehmen?“
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