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Orient


Schweißperlen treten mir auf die Stirn. Zum zwanzigsten Male fühle ich mit den Händen nach, ob mein Geldbeutel und mein Handy noch da sind. Das Gedrängel ist mörderisch und der Geruch nach orientalischen Gewürzen raubt einem fast den Atmen.

Yussuf hat gesagt, das gesuchte Kabel bekäme ich nur bei Ülküm, der habe alles. Der Weg zu Ülküm führt mich aber durch die entlegensten Winkel, an Hunderten von Geschäften vorbei.
Kinder laufen hinter mir her und betteln, manchmal verstellen sie mir meinen Weg und wollen ein kleines Bakschisch, ich gebe ihnen dann ein paar Münzen und habe für wenige Schritte wieder Ruhe.

Aus einem Laden, in dem Wasserpfeifen verkauft werden, strömt der betörende Duft von Opium und ein alter Orientale will mich hineinziehen. „Komme, komme reine, musse du sehe“, sagt er und seine knochigen Finger graben sich in den Ärmel meiner Jacke.
Ich herrsche ihn an, benutze dazu die wenigen Brocken seiner Sprache und bin froh, dass ich wenigstens ein bisschen auf Türkisch und Arabisch fluchen kann. Er lässt von mir ab.

Halb verschleierte Frauen wollen mir Obst und Gemüse verkaufen, Früchte die ich nie zuvor gesehen habe und bei denen sehr zweifelhaft ist, ob wir daheim überhaupt wissen, wie man sie zubereitet. Ich winke ab und setze meinen Weg fort. Ich muss bei Ülküm ein Verbindungskabel für den Videorekorder kaufen, das man angeblich nur dort bekommen kann, der Rekorder ist schon älter und Ülküm hat alles.

Junge Männer in Lederjacken stehen an der nächsten Ecke und wollen meinen Bauch streicheln. Das will ich aber nicht, was sie erheitert. Hoffentlich zückt keiner von denen ein Messer!
Weiter vorne stehen noch jüngere Männer, das heißt sie stehen nicht, sondern sie zucken und fuchteln mit den Armen. Aus der geöffneten Ladentür, vor der sie herumhampeln, tönt ohrenbetäubende Hipp-Hopp-Musik. Einer der Jungen zuckt mit seinen Händen in Höhe seines Geschlechtsteils herum und stößt Töne in einem babylonischen Kauderwelsch aus.

Ich komme an die Moschee und sehe Dutzende älterer, bärtiger Männer, die ihre Schuhe ausziehen und im Gebäude verschwinden. Kinder spielen am Fuße der Treppe Tic-Tac-Toe und wieder zupft mir ein Bettler am Ärmel.

Das Gedränge wird immer dichter und ich beginne um meine Sicherheit zu fürchten. Hätte ich doch bloss versucht im Christenviertel das Kabel zu bekommen; aber nein, ich musste mich ja in die Höhle des Löwen begeben, um ein paar Münzen zu sparen.

Vor einem Filmverleih halte ich kurz inne. Laute orientalische Musik klingt nach draußen und auf Dutzenden großer Fernseher flimmern überbunte fremdländische Liebesfilme. Das muss so eine Art Videothek sein. Ich gehe weiter.

Ein kleiner Mann im Kaftan springt mir in den Weg und sein ebenfalls mit einem Kaftan bekleideter junger Helfer wirft mir einen Teppich zu Füssen. „Porbiere, feine Teppich, der Herr. 400.000 Knoten! Koste nurrr ganze wenig!“
Ich winke ab und gehe schnell weiter. Lässt man sich mit so einem Teppichhändler nur auf ein Gespräch ein, dann landet man ganz schnell in seiner verräucherten Räuberhöhle und kommt nur dann lebend wieder raus, wenn man ihm wenigstens zwei Teppiche abgekauft hat. Es geht das Gerücht, dass da auch schon Dutzende von Christen gar nicht mehr wieder herausgekommen sind.

Ah da! Da ist das Geschäft von Ülküm!
Ülküm hat wirklich alles. In seinem Laden türmen sich Hunderte von Elektrogeräten zweifelhafter Herkunft. Darunter sind Geräte, die man schon längst nicht mehr verwendet und solche, von denen zumindest ich nicht weiß, wozu man sie braucht.
Ülküm hat das gesuchte Kabel schnell gefunden, er will auch nicht handeln und ich muss auch keinen Tee mit ihm trinken, das finde ich sehr angenehm. Schnell habe ich bezahlt und gehe wieder zurück.

Erneut verstellen mir diverse Händler den Weg und an einem komme ich erst vorbei, als ich aus einem klebrigen, undurchsichtigen Glas etwas übersüßen Pfefferminztee getrunken habe.
Nochmals kontrolliere ich, ob Mobiltelefon und Geldbörse noch an ihrem Platz sind, alles in Ordnung.

Eine knappe halbe Stunde später erreiche ich mein Auto und bin froh, dass ich wieder nach Hause fahren kann. Es hat auch niemand etwas abgeschaubt oder verkratzt, immerhin.

Wenig später, ich sitze schon in meinem Wohnzimmer und probiere das Kabel aus, kommt Anke, die Allerliebste, nach Hause und fragt, warum ich so abgehetzt aussehe.

Ich sage zu ihr: „Ich war drüben in Mannheim und habe mir ein Kabel gekauft.“

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Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 26. November 2012 | Peter Wilhelm 26. November 2012

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