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Spitze Feder

Na bitte, geht doch!

In zarten Alter von 16 Lenzen war ich zu einem Schüleraustausch in der Stadt der Liebe, in der heute ganze Heerscharen von zornigen Menschen in gelben Westen Unliebes tun, weil sie sich von ihrem Präsidenten Emmanuel Macron verarscht fühlen.

Hätten sie einfach nur mal kurz gegoogelt, wer dieser aalglatte Poster-Boy eigentlich ist, bevor sie ihm in der Wahlkabine ihr Kreuz schenkten, hätten sie nämlich wissen können, besser gesagt: Wissen müssen, dass ihr vermeintlicher Messias aus dem Dunstkreis der Pariser Investmentbank Rothschild & Cie stammt und somit definitiv der letzte ist, um sozialen Ungerechtigkeiten zu bekämpfen.

Aber das ist eine andere Baustelle.

Damals, anno 1975, residierte noch ein gewisser Valéry René Marie Georges Giscard d’Estaing im Élysée-Palast, und das Ufer der Seine zählte noch nicht zum UNESCO-Weltkulturerbe. Im Gegensatz zur Kathedrale Notre-Dame de Paris, die ich, neben dem Eiffelturm, dem Arc de Triomphe und dem Louvre, an einem Tag im Rahmen des obligatorischen Must-Have-Seen-In-Paris-Programms besuchte.

Wie wir alle aus Xillionen Sondersendungen und Zeitungsartikeln erfahren haben, ist die beeindrucken schöne Kirche nach dem verheerenden Inferno nur noch ein Haufen Asche, umrahmt von rauchenden Mauern. Das ist wirklich erschütternd. Eine ganze Heerschar aus Staats- und Regierungsoberhäuptern aller Damen und Herren Länder haben Präsidenten Macron ihr tiefstes Mitgefühl für diesen tragischen Verlust übermittelt und ihre Bereitschaft erklärt, sich am Wiederaufbau des Gotteshauses zu beteiligen. Heute, am 19. April, also gerade mal vier Tage nach dem katastrophalen Brand, kam in den Nachrichten die Meldung, dass mittlerweile Zusagen von Spenden über rund eine Milliarde € vorliegen.

Na bitte, geht doch!

Am 14. April 2018, also beinahe auf den Tag genau vor einem Jahr des Notre-Dame-Brandes, wüteten in Damaskus gleich mehrere Großfeuer, die unzähligen Menschen das Leben kosteten und hunderte von Gebäuden dem Erdboden gleich machten. Was zum dem verheerenden Brand in dem Pariser Gotteshaus führte, ist bisher noch nicht abschließen geklärt.

Ganz im Gegensatz zu den hunderten von Bränden in der Syrischen Hauptstadt. Das konnte man nämlich bei ARD-Brennpunkt und ZDF-Spezial beinahe live miterleben. Ausgelöst wurden dieses flammende Inferno durch über 100 Raketen, die die USA, Frankreich und Großbritannien ohne UN-Mandat, also in einem völkerrechtswidrigen Angriff, von Ihren Flugzeugträgern abfeuerten, um einen angeblichen Giftgasangriff des Syrischen Präsidenten Baschar Hafiz al-Assad gegen die eigene Bevölkerung zu „rächen“.

Dass es sich bei dem Anschlag um eine False-Flag-Operation handelte, dürfte den Chef-Redakteuren von ARD und ZDF, Rainald Becker und Peter Frey schon bekannt gewesen sein. Nur passte dies eben nicht in das sattsam bekannte Framing der hiesigen Medien und war deshalb auch keine Silbe wert.

Der Giftgasangriff auf die Syrische Zivilbevölkerung fand nämlich tatsächlich statt und forderte hunderte von Menschenleben. Allerdings war es nicht Präsident Baschar Hafiz al-Assad, der dieses barbarische Verbrechen beging, sondern die von der westlichen Wertegemeinschaft logistisch und finanziell unterstütze islamistische Al-Nusra-Front; und zwar mit britischen Chlorgas-Granaten, die sie in einer verdeckten Operation aus der Türkei bezogen hatte, wie im nachhinein durch Berichte britischer Geheimagenten blöderweise durchsickerte.

So etwas durften die öffentlich-rechtlichen-Rundfunkanstalten und die Zeilenschinder der Leitmedien natürlich auf keinen Fall kommunizieren. Sonst hätte die Öffentlichkeit am Ende noch erfahren, dass den USA keine Niedertracht zu perfide ist, selbst die Ermordung von Zivilisten mit Chlorgas, um den von Wesley Kanne Clark 2001 in einem Fernsehinterview angekündigten Masterplan durchzuziehen: Die Destabilisierung von sieben Ländern in fünf Jahren zum Zwecke des Regime-Change. Eines dieser Länder ist? Richtig: Syrien.

Damit jetzt niemand googeln muss, hier noch ein Hinweis:

1. Der Masterplan stammt von George W. Bush
2. Wesley Kanne Clark war von 1997 bis 2000 4-Sterne-General und NATO-Oberbefehlshaber in Europa.

Unabhängig von diesem noch immer andauernden barbarischen Massenmord der US-Administration an Zivilsten, der vermutlich nie geahndet werden wird, ist wohl eines sicher: Die Schäden, die in Damaskus durch den Raketenüberfall am 14. April 2018 entstanden sind, dürften die in Notre-Dame um ein Vielfaches übersteigen.

An dieser Stelle sehe ich mich genötigt, zuerst mal tief durchzuatmen…und dann in den Romantiker-Modus zu wechseln. Einfach, damit mir beim nächsten ARD-Brennpunkt, oder beim nächsten ZDF-Spezial nicht die Galle hoch kommt, wenn Rainald Becker und Peter Frey wieder ihre Anchor-Women oder Anchor-Men mit versteinerter Miene und geheuchelter Betroffenheit auf die Zuschauer loslassen, unabhängig davon, um welches Ereignis es sich dann auch handeln sollte.

Und deshalb stelle ich mir jetzt einfach vor, dass bereits ganze Heerscharen fleißiger Gutmenschen unterwegs sind, um für den Wiederaufbau in Damaskus zu sammeln. Schließlich gilt es als eine der ältesten, kontinuierlich bewohnten Städte der Welt. Und die Altstadt von Damaskus gehört, wie Notre-Dame de Paris, zum UNESCO-Welterbe.

Wenn dann bei der Kollekte auch ein paar Hundert Millionen, oder gar eine Milliarde € zusammenkommen, reicht es zwar bei weitem nicht aus, um das wieder aufzubauen, was die Raketen vor einem Jahr in Grund und Boden gebombt haben, aber immerhin kann sich die westliche, demokratische, liberale Wertegemeinschaft ob ihres Altruismus zurücklehnen, die UN-Menschenrechtsfahne aus der chlorfreien Reinigung holen und wieder glattbügeln.

Na bitte, geht doch.

Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 17. September 2020 | Peter Grohmüller 17. September 2020

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