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Farbenspiele

frau ruckdäschl

Am frühen Sonntagmorgen geht ein leichtes Rumpeln durch unser ganzes Haus. Erst ist es nur ganz leise, dann wird es etwas lauter und urplötzlich ist es wieder weg.
Ich drehe mich wieder in mein Kopfkissen, vielleicht habe ich das auch nur geträumt.
Doch wenige Sekunden später vibriert wieder das Haus, es rumpelt und scheppert und schließlich dreht sich auch die Allerliebste neben mir um und brummt mich an: „Mann, mach was!“

Ein lauter Schlag erschüttert die Grundmauern des Hauses und so entschließe ich mich, dem Gepolter auf den Grund zu gehen. Nicht, daß wir irgendeine Ankündigung nicht mitbekommen haben und das Haus ohne unser Wissen abgerissen wird.
Eine kurze Hose und ein eilig übergeworfenes Hemd sollen reichen und ich betrete das Treppenhaus. Das Rumpeln und Rumoren kommt eindeutig von unten, vermutlich aus dem Keller.

„Gut, daß sie kumme!“ strahlt mich die Ruckdäschl an, die dort unten in Kopftuch und Küchenkittel schon fleißig zugange ist.

„Um Himmels Willen, Frau Ruckdäschl, was machen Sie denn um diese Zeit für einen Lärm?“

„Der frühe Vogel krümmt sich beizeiten!“ bekomme ich zur Antwort und schon hat sie ihre knochigen Finger in den Ärmel meines Hemdes gekrallt und zieht mich in den linken Kellergang.
Was macht sie dort bloß? Schlachtet sie dort tanzwütige Männer, die sie samstagsabends auf dem Seniorentanz kennenlernt? Baut sie heimlich an einer Atombombe? Gräbt sie einen Tunnel nach Australien?

Nein, sie klärt mich sogleich auf: „Sehe Sie da am Ende des Ganges? Glotze Sie mol genau do hi!““
Ich starre ins Halbdunkel, meine Pupillen weiten sich und als sich meine Augen gerade an das Dunkel gewöhnt haben, blitzt mir die alte Hexe mit einer Taschenlampe in die Augen: „Warte Sie ämohl, isch mach hell.“

Dann leuchtet sie ganz nach hinten in den Gang, ich bin immer noch geblendet und sehe bunte Punkte und ich frage mich unwillkürlich, warum Tausende junger Menschen jeden Samstagabend für teures Geld kleine bunte Pillen schlucken, nur um auch mal bunte Punkte zu sehen, das könnten sie hier billiger haben.

„Do hinne do steht’s.“

„Was steht da hinten?“

„Na, des Regal.“

„Und was ist mit dem Regal?“

„Des muß sofort raus!“

„Meine Güte, warum muß denn jetzt am frühen Sonntagmorgen dieses Regal raus?“

„Des is des Regal vunn moinem Mann!“

Frau Ruckdäschls Mann ist tot, er ist schon sehr lange tot und kein hier lebender Mensch kann sich wirklich an ihn erinnern. Die Ruckdäschl wird nicht müde, immer wieder zu erwähnen, daß sie schon im 60sten Jahr hier wohnt, was aber schon deshalb nicht ganz stimmen kann, weil das Haus erst fünfzig Jahre alt ist. Das ist mal die erste zweifelhafte Eckinformation die man hat. Dann weiß man, daß ihr Jüngster jetzt 48 ist, also muß ihr Mann auf jeden Fall im Zeitraum von vor 48 bis vor 50 Jahren hier gelebt haben.
Obwohl böse Zungen ja behaupten, daß die Ruckdäschl auch für die unbefleckte Empfängnis in Frage käme, jedoch hat sie insgesamt vier Kinder und nichtmal heilige Geister kommen freiwillig mehrere Male zur Ruckdäschl, um sie zu beflecken.

Jedenfalls ist dieses Regal da am Ende des Ganges ein Regal, daß ihr Mann dort aufgestellt hat und das bisher von einem Vorhang verborgen war. Diesen Teil des Kellers darf man ohnehin nicht betreten, er steht unter Ruckdäschl’scher Generalverwaltung und obwohl es da unten weder Alarmanlagen, noch Kameras oder Stolperdrähte gibt, steht sie in Sekundenbruchteilen urplötzlich neben einem, wenn man bei einem Gang in einen der anderen Keller nur aus Versehen in die Nähe des von ihr besetzten Territoriums gelangt.

„Was ist denn mit diesem Regal?“ frage ich die Alte und sie schaut mich mit großen Augen erstaunt an: „Ja, wisse Sie des denn net?“

„Was weiß ich nicht?“

„Mein Mann hat doch mal als Lackierer gearbeitet und da stehen lauter Farbdosen im Regal.“

„Ja und?“

„Die misse raus! Sofort raus! Isch heb des Regal schon zwei Meter vorgerückt.“

„Ihre Ordnungsliebe in allen Ehren, gute Frau Ruckdäschl, aber doch nicht sonntagsmorgens um kurz nach Sechs!“

„Doch, doch! Ich war am Freitagmittag beim Doktor und jetzt misse die Farbdosen raus, sonst muß ich Pillen schlucken und ich will die ganze Chemie nicht.“

„Frau Ruckdäschl! Was hat denn der Arzt mit diesen Farbdosen zu tun?“

„Na, isch heb doch immer so arge Verdauung.“

„Verschonen Sie mich aber bitte mit näheren Schilderungen!“

„Wenn Sie mich net ausrede losse, dann sag isch gar nix mehr.“

„Also…“

„Isch heb also diese arge Verdauung und do hat der Doktor gesagt, isch hätt ganz eindeutisch eine Lackdosenintertoleranz.“

Sie stemmt die Hände in die Hüften und schaut mich erwartungsvoll an. Lackdosenintoleranz, was soll das denn sein? Nie gehört, ob die Alte eventuell eine Allergie gegen die Lösungsmittel hat?

„Der Doktor hat geagt, isch hätt diese Lackdosenintoleranz und soll mich vor Milchprodukten hüten. Aber der hat ja auch net gewisst, des isch so viele Lackdosen im Keller habe.“

Mir fällt es wie Schuppen von den Augen: Der Arzt hat eine Laktoseintoleranz festgestellt, eine Überempfindlichkeit gegenüber Milchzucker und die Ruckdäschl hat mal wieder nicht richtig zugehört.

Was soll ich tun? Ich stehe vor der Wahl, jetzt stundenlang mit der Alten zu diskutieren oder ihren Quatsch einfach abzunicken.
Ein Blick auf die Uhr, die Hoffnung auf mein warmes Bett und ich entscheide mich rasch.

„Warten Sie, Frau Ruckdäschl, ich habe noch ein paar Pappkartons in meinem Keller…“

Die Alte strahlt mich glücklich an und nur eine halbe Stunde später haben wir alle Lackdosen in Pappkartons und in mein Auto verladen. Morgen bringe ich sie zum Sondermüll. Es wäre unverantwortlich, die Lackdosen im Keller zu lassen, wo Frau Ruckdäschl doch eine Lackdosenintoleranz hat.


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Der erfolgreiche Buchautor Peter Wilhelm veröffentlicht hier Geschichten, Kurzgeschichten, Gedanken und Aufschreibenswertes.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 15. März 2015 | Peter Wilhelm 15. März 2015

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