Um draußen zu sitzen, ist es heute etwas zu kühl, deshalb sitze ich im Inneren meines Lieblingskaffeehauses und lese Zeitung. Auf Siggi, den dorfbekannten Taugenichts und Lebenskünstler, habe ich heute Morgen überhaupt keine Lust. Als ich durch die Fenster sehe, daß er sich dem Kaffeehaus nähert, nehme ich die Zeitung etwas höher und gebe mich der Hoffnung hin, daß er mich entweder nicht sieht oder aber erkennt, daß ich am Liebsten nicht gestört werden möchte. Aber man kann Siggi nicht entgehen und man kann ihm auch nicht böse sein. Wie selbstverständlich steuert er auf meinen Tisch zu, zieht einen Stuhl mit der Spitze seines Fußes zurück, läßt sich ziemlich geräuschvoll darauf nieder und biegt dann mit dem Zeigefinger die Zeitung herunter.
„Na, wie isses?“
„Gut.“
„Und sonst?“
„Auch gut?“
„Und die Kinder?“
„Hmmm.“
„Na dann.“
Damit ist alles geschwätzt, wie man hier so sagt. Mehr müssen Männer auch nicht reden. Wer mehr redet, ist entweder schwul oder Friseur oder beides. Deshalb haben Männer auch so Freizeitbeschäftigungen, wie das Angeln erfunden und Frauen das Nordic Walking. Da treffen sich zwei Frauen, unter dem Vorwand, etwas für ihre körperliche Ertüchtigung zu tun und was machen die? Die haben zwei Stöcke in der Hand, mit denen sie um ihre viel zu breiten Hüften herumstochern, als hätten sie Waffen in der Hand, bewegen sich dabei watschelnd vorwärts und …. reden, sabbeln, plappern, gackern und schwätzen die ganze Zeit.
Fragt man sie hinterher, wie es war, sagen sie sowas wie: „Zu kurz, ich habe kaum etwas erfahren.“
Männer können hingegen acht Stunden am Stück nebeneinander am Rand eines Flusses sitzen, ihre Angeln ins Wasser halten und obwohl sie nur 12 Wörter miteinander gewechselt haben, wissen sie alles Wichtige vom anderen.
Siggi ist da ein Sonderfall. Er ist nicht schwul, kann auch keine Haare schneiden und eine Frau ist er ebenfalls ganz sicher nicht. Aber die Klappe kann er trotzdem nicht halten.
„Willste eine rauchen?“
Wie bitte? Siggi, der König -ach was sage ich?-, der Kaiser der Schnorrer will mir eine Kippe anbieten? Das ist so ungewöhnlich, daß ich freiwillig die Zeitung herunternehme und ihn anschaue. Er öffnet seine Jackentasche, zieht eine Schachtel Zigaretten heraus und klopft eine Kippe nach oben: „Hier bitte, nimm!“
Würde ich alle Kippen, die Siggi schon von mir geschnorrt hat, aneinanderlegen, würde die Strecke von hier bis Alpha Centauri reichen, von dem ich nicht ganz genau weiß, wo es liegt, mir aber sicher bin, daß das sehr, sehr weit weg ist. Also nehme ich die angebotene Zigarette und stecke sie mir an. Sie schmeckt ganz normal und introspektiv wie ich bin, achte ich sorgfältig auf irgendwelche Veränderungen in meinem Wahrnehmungsvermögen, denn ich weiß, daß Siggi auf seinem Balkon auch schon einmal diverse Pflanzen aus der Familie der Hanfe angebaut hat, denen man, wenn man sie raucht, gewisse halluzinogene Wirkungen nachsagt.
Aber diese Zigarette schmeckt ganz normal. Trotzdem entgeht mir nicht, daß Siggi mich erwartungsvoll anschaut.
„Na, schmeckt sie dir?“
„Ja, schmeckt ganz normal, was ist das für eine Marke?“
„Guck doch selbst“, sagt er und hält mir die Schachtel hin. Es ist eine ganz gängige Marke und die Zigarette sieht auch völlig normal aus. Mir drängt sich aber zunehmend der Eindruck auf, daß mit der Kippe was nicht stimmen kann. Schließlich ist sie von Siggi.
„Los, raus mit der Sprache, was hat es mit der Zigarette auf sich?“
„Nix, Is ’ne ganz normale Kippe.“
„Hör mal, Siigi, wie lange kennen wir uns jetzt schon?“
„Nee, nee, komm mir nicht so, Schulden verjähren nach zwei Jahren.“
„Erstens, mein lieber Freund und Kupferstecher, weiß ich ganz genau, daß ich von der Kohle, die du mir abgezockt hast, sowieso nichts wiedersehe und zweitens will ich ja bloß wissen, was es mit dieser Zigarette auf sich hat. Ich kenne dich schon so lange, daß ich genau weiß, daß du mir niemals ohne Hintergedanken eine Zigarette anbieten würdest.“
„Kann ich das schriftlich bekommen?“ fragt Siggi und schreibt schnell mit einem Bleistift etwas auf einen Bierdeckel. „Los, hier unterscheiben!“
Auf dem Bierdeckel steht: „Alle Schulden von Siggi sind erlassen. 14. Mai 2007.“
„Nee, lass mal, mein Lieber, ich werde dir deine Schulden nicht erlassen, so habe ich wenigstens ab und zu mal ein Druckmittel um dich fernzuhalten.“
„Spielverderber!“
„Was ist mit den Kippen? Vom Lastwagen gefallen?“
Siggi lehnt sich zurück und tut ganz entrüstet: „Aber hör mal, du kennst mich doch! Vom Lastwagen gefallen…. Also sowas!“
„Na komm“, sage ich, „die Leute denen du letztes Jahr ein Autoradio verkauft hattest, haben die Dinger auch alle wieder rausrücken müssen.“
„Das ist Schnee von gestern, außerdem konnte ich ja nicht wissen, daß der Georgi der Albanier die Dinger geklaut hatte.“
„Nee, ist klar, wenn dir einer, der Georgi heißt und den du bis dahin gar nicht kanntest, der dazu auch noch Albanier ist, dir Autoradios für 10 Euro das Stück verkauft, dann ist das für dich völlig normal.“
Siggi macht eine wegwerfende Handbewegung und lenkt das Thema wieder auf die Zigarette: „Na und? Die schmeckt doch oder?“
Da ich am Geschmack wirklich nichts Ungewöhnliches feststellen kann und mir auch noch keine Sinne aus- und keine Körperteile abgefallen sind, nicke ich.
„1 Euro!“
„Was, 1 Euro?“
„Ein Euro pro Schachtel!“
Manchmal bin ich ja etwas weltfremd, aber daß Zigaretten mittlerweile um die 5 Euro pro Schachtel kosten, ist selbst mir nicht entgangen. Es kann also unmöglich sein, daß Siggi diese Zigaretten redlich erworben hat.
„Niemals, es gibt keine Zigaretten für einen Euro.“
„Doch“, sagt Siggi entrüstet, „ich habe Zigaretten für einen Euro pro Schachtel und zwar nicht geklaut!“
„Und wo hast du die her?“
„Na, das ist ganz einfach. Mir sind die im Tabakladen einfach zu teuer. Deshalb habe ich mir so einen Stopfer gekauft, solche Hülsen und losen Tabak. Damit mache ich mir die Zigaretten selbst. Das war mir aber zu mühsam, also habe ich mir Yustyna aus Polen kommen lassen. Die ist 39 Jahre alt, wohnt jetzt bei mir auf der Mansarde und stopft von morgens bis abends Zigaretten. Am Tag schafft sie so 1.000 Stück. Dafür zahle ich ihr 300 Euro im Monat bei freier Kost und Logis.“
„Wie bitte? Und das rechnet sich?“
„Ja aber sicher! Ich muß nur gucken, daß die alle 4 Wochen mit dem Bus nach Warschau zu ihrer Familie fährt. Auf dem Rückweg bringt sie nämlich immer den Tabak mit. Nächsten Monat fängt ihr Bruder Krystof auch noch bei mir an.“
Ganz legal scheint mir das ja alles nicht zu sein, aber besser ist, man hält seine Klappe. Jedenfalls habe ich jetzt immer ganz billige Zigaretten.
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