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Wir waren nicht in der Partei

frau ruckdäschl

„Ach, das gibt’s doch gar nicht!“ sage ich und schüttele ungläubig den Kopf.
Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite hängt an einem Laternenmast eine schwarze Tafel, an der mehrmals wöchentlich vom Gemeindeboten die Totenzettel aufgehängt werden. Wer wann und wo beerdigt wird, steht auf diesen kleinen, schwarz umrandeten Zetteln. Natürlich ist diese Tafel Anziehungspunkt für alle älteren Leute und sobald sie das Auto des Gemeindedieners sehen, wackeln sie von ihren Häusern aus los, um die nächste Totentafel in Augenschein zu nehmen.

So macht das auch Frau Ruckdäschl.

Heute steht sie da, liest und ist enttäuscht, sie kannte keinen einzigen der dort ausgehängten Namen.

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„Da sind nur Fremdarbeiter dabei“, sagt sie und ich werfe einen Blick auf die Tafel: Mojawski, Postrilczick…

„Fremdarbeiter?“ frage ich zurück und Frau Ruckdäschl verbessert sich sofort und sagt, ihrer Meinung nach politisch korrekt: „Polacken!“

Inzwischen hat die selbsternannte Blockwartin und Hausaufpasserin ja ein Alter erreicht, das sich leicht bis in die Hitlerzeit zurückrechnen läßt.
Nein, sie habe von dem ganzen Hitlerzeug ja nichts gewußt, niemand habe da etwas von gewußt und sowieso hätten erst die Amerikaner nach dem Krieg allen so fürchterliche Filme gezeigt, in denen tote Juden mitgespielt hätten.

Nun ist unser kleiner Ort hier, so hat man es sich jahrzehntelang erfolgreich eingeredet und so wird es auch in der Ortschronik kolportiert, nahezu völlig frei von Nazis gewesen und von irgendwelchen Juden, die hier mal gelebt haben könnten und die dann weggekommen sind, will auch keiner was wissen. Alles bestens, alles sauber, alles schön rot. Sozusagen ein komplettes Dorf im Widerstand. Gut, es war mehr so ein ganz stiller Widerstand, einer von der Sorte, die vollkommen unbemerkt geblieben sind, aber man war doch gut, man hat doch sogar den Juden geholfen, sie versteckt und ihnen was zu essen gegeben. Welchen Juden? Es gab doch angeblich keine. Ja, hinterher…, hinterher gab es keine und wie das vorher war, das weiß man nicht mehr so genau, jedenfalls hatte irgendwie jeder seinen eigenen Juden im Keller oder hinter der Tapetentür.

An unserem Dorf ist also der Faschismus quasi vorbeigegangen, er hat nicht wirklich stattgefunden und demzufolge gab es hier auch keine Lager, keine Hinrichtungen und es gibt auch keine Massengräber.
Doch die Ruckdäschl stammt ja aus dem Norden, von wo sie ihre teilweise nordische Dialektfärbung mitgebracht hat und von wo sie im zarten Alter von 14 Jahren mit ihren Eltern, hier ganz in die Nähe in den Randbezirk der Großstadt gezogen ist.

Und da gab es ein Lager in dem über tausend Zwangsarbeiter eingesperrt waren, um sich tagtäglich in einer Autofabrik die Seele aus dem Leib zu schuften.

„Nein, das haben wir alle nicht gewußt. Das haben wir erst nach dem Krieg erfahren.“

„Ja aber wenn doch jeden Morgen über tausend Männer in Holzpantinen, bewacht von der SS durch den Ort getrieben werden, das kann doch nicht unbemerkt geblieben sein“, bezweifele ich ihr Nichtwissen.

„Ja, das da was war, das haben wir gewußt, aber was da war, das haben wir nicht gewußt. Wir wußten ja nicht, ob das böse Menschen waren, die so eingesperrt worden sind. Da haben wir uns ferngehalten und wir haben nichts gewußt.“

„Aber man muß doch gesehen haben, daß es den Männern immer schlechter ging und man muß doch mitbekommen haben, daß viele von denen in der Nähe des Friedhofes verscharrt worden sind.“

„Immerhin hat der Führer ja auch die Autobahnen gebaut.“

„Und daß Juden abtransportiert wurden, das haben Sie auch nicht mitbekommen?“

„Es gab ja überhaupt keine Juden bei uns. Nur das Haus vom Dr. Grünspan, das hat sich der dicke Lauthenschläger unter den Nagel gerissen, aber der war ja auch in der Partei. Au, vor dem haben sie alle Angst gehabt, das war aber auch eine Respektsperson. Wir haben uns gut mit dem gestanden, aber in der Partei war keiner von uns. Mein Vater hat sogar Witze über den Göbbels gemacht.“

„Und was ist mit dem Dr. Grünspan passiert?“

„Den haben sie weggebracht.“

„Und wohin?“

„Ja, das weiß ich auch nicht so genau. Es sind ja auch viele Juden nach Amerika gegangen, Marlene Dietrich zum Beispiel.“

„Marlene Dietrich war keine Jüdin.“

„Sehen Sie, da sind auch ganz andere weggekommen, nicht nur Juden.“

„Also sind doch Juden weggebracht worden.“

„Ach Gott ja, man hat da mal was gehört, aber gewußt haben wir nichts. Man hat doch den Mund gar nicht aufgemacht, wir waren doch froh, daß sich die Zeiten besserten. Einmal die Woche gab es Eintopf!“

„Man hat also das mit dem Arbeitslager gewußt, man hat auch gewußt, daß Juden deportiert wurden und dann hat man sich gesagt: Ist ja alles nicht so schlimm, wir bekommen ja Erbsensuppe?“

„Wir haben nichts gewußt. Meine Mutter hat sogar einer jüdischen Familie mal Obst aus dem Garten gebracht. Die durften hier im Laden ja nichts mehr einkaufen.“

„Ach, und das hat Sie nicht gestört, daß man die Juden so ausgegrenzt hat?“

„Die waren dann doch alle weg, da hat das dann ja aufgehört.“

„Das ist ja mal ’ne ganz tolle Lösung.“

„Ne, ehrlich, ich sag’s Ihnen, da hat man nicht drüber gesprochen, wir sind ja schließlich katholisch und da war man sowieso nicht so für den Führer.“

„Ja dann…“

„Nach dem Krieg waren wir ja auch froh, daß der weg war. Der dicke Lauthenschläger hat eines Tages tot an seinem Birnbaum gehangen. Man munkelt, die hätten mit dem abgerechnet.“

„Ach? Ich dachte, der sei so eine Respektsperson gewesen.“

„Da doch nicht mehr, da war der Hitler doch schon tot. Wir haben dann weiße Tücher aus dem Fenster gehängt und den Amis zugerufen ‚we surrender‘, das hat uns Herr Blühm beigebracht, der konnte Amerikanisch. Wir hatten ja ein reines Gewissen, ich sagte ja schon, alles gute Katholiken und in der Partei sind wir auch nicht gewesen.“


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 29. September 2010 | Revision: 26. November 2012

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