Heute Morgen bin ich auf dem Weg zum Bäcker um mir ein paar Brötchen zu kaufen, da ruft jemand meinen Namen. Ich drehe mich um und sehe Siggi, den Lebenskünstler. Er sitzt auf einem nagelneuen Motorroller und winkt schon von Weitem, während er näherrollt.
„Mensch Siggi, ist bei dir der Wohlstand ausgebrochen?“ erkundige ich mich, als er neben mir hält.
„Im Moment läuft es ganz gut, aber komm, wir setzen uns ins Kaffeehaus, dann kann ich dir davon erzählen.“
Wenig später dampfen zwei große Schalen Kaffee vor uns und ich bin immer noch erstaunt, daß ausgrechnet Siggi mich dazu eingeladen hat, der dorfbekannte Taugenichts und Schnorrer.
„Nun erzähl‘ aber mal“, fordere ich ihn auf und Siggi lehnt sich zurück, setzt ein vermitztes Lächeln auf und sagt: „Ich bin jetzt Wahrsager geworden.“
„Du spinnst doch!“
„Nein, wirklich, ich sage jetzt die Zukunft voraus und dafür zahlen die Leute gutes Geld.“
„Du hast doch überhaupt keine Ahnung von solchen Sachen.“
„Durch mich sprechen die Kräfte des Kosmos.“ Dabei machte er ein wichtiges Gesicht und eine Handbewegung, wie ein Pastor beim Segnen der Gemeinde.
Mich kann Siggi mit diesem Gehabe aber nicht beeindrucken, denn ich kenne ihn schon viele Jahre. Noch niemals ist es vogekommen, daß Siggi irgendetwas Sinnvolles gearbeitet hat. Aber ein Schlitzohr ist er immerhin und deshalb will ich mehr über seine neue Einnahmequelle wissen.
„So, du bist also jetzt Wahrsager und wie man sieht, verdienst du ja auch offensichtlich gut damit.“
„Das kann man wohl sagen“, brüstet er sich und fügt hinzu: „Vor ein paar Tagen habe ich mir den Motorroller gelauft und nächste Woche hole ich mir einen Plasma-Fernseher.“
„Einen Plasma-Fernseher? Du zahlst doch noch nichtmals Rundfunkgebühren!“
„Brauche ich ja auch nicht, ich nutze das Kabel von Frau Wallenbrodt von oben, die hat eine Satellitenschüssel.“
„Du hängst einfach an der Satellitenschüssel deiner Nachbarin?“
„Ja klar, das ging ganz leicht.“
„Und Frau Wallebrodt hat nichts dagegen?“
„Die weiß das doch gar nicht!“
„Und merkt die das nicht?“
„Nein, eigentlich nicht.“
Dieses ‚eigentlich‘ macht mich stutzig: „Wieso eigentlich?“
„Naja, wenn ich bei mir umschalte, schaltet es auch bei Frau Wallenbrodt um.“
„Und das soll sie nicht merken?“
„Das merkt die schon, aber die ist doch schon so alt.“
„Was hat das denn mit dem Alter zu tun? Du kannst der armen Frau doch nicht den ganzen Tag die Programme umschalten.“
„Die ist schon so tüddelig, die kriegt das gar nicht mehr richtig mit. Die meint, die Sendungen seien jetzt immer so kurz, es komme viel Werbung und man könne dem Ganzen sowieso nicht mehr folgen. Neuerdings glaubt sie, Miss Piggy spiele in der Lindenstraße mit und Dieter Bohlen sei ein Tatortkommissar.“
„Du bist ein Blödmann, Siggi, weißt du das?“
„Nein, ich bin Wahrsager!“
Das bringt uns auf den Kern unseres Gespräches zurück und ich nicke ihm aufmunternd zu. Siggi nimmt noch einen Schluck Kaffee und sagt:
„Ich sage Frauen das Geschlecht ihres nächsten Babys voraus.“
„Wie bitte? Wie willst du das denn machen?“
„Durch kosmische Kräfte!“
„Aber das können die Frauen doch auch von ihrem Frauenarzt erfahren.“
„Aber nicht schon vor der Zeugung!“
„Du spinnst!“
„Doch, die Frauen brauchen mir nur eine Handschriftenprobe zu geben oder zu schicken, ich meditiere dann kurz darüber und schreibe dann das Geschlecht des nächsten Kindes auf einen Zettel. Dafür bekomme ich 20 Euro.“
Das klingt alles sehr suspekt und ich bin mir sicher, daß Siggi nur wieder eine seiner großen Schwindeleien durchzieht. Aber offensichtlich scheint das Ganze uja sogar Geld abzuwerfen.
Ich frage ihn: „Und du irrst dich nie?“
„Natürlich, das kommt auch mal vor, manchmal sind die kosmischen Signale zu schwach, dann irre ich mich auch.“
„Und was machst du dann?“
„Na hör mal! Ich bin doch kein Betrüger! Selbstverständlich bekommt die Frau dann ihre 20 Euro zurück.“
Siggi weiß, daß er mir auf Dauer nichts vormachen kann und da ich zwei Köpfe größer bin als er und beinahe das Doppelte wiege, erkennt er schnell, daß es besser ist, mir die ganze Wahrheit zu sagen:
„Weißt du“, gibt er dann zu, „ich schreibe immer nur ‚Mädchen‘ auf den Zettel, niemals ‚Junge‘.“
„Ja und das ist der ganze Trick?“
„Ja, im Prinzip schon. 60% aller Geburten sind Mädchen ich habe also eine Trefferquote von 60% sicher. Die restlichen 40% stimmen aufgrund der Wahrscheinlichkeitsrechnung auch immer noch zur Hälfte. Im Zweifelsfall muß ich nur in 20% aller Fälle das Geld zurückgeben.“
„Und wieviel kann man damit verdienen?“
„Naja, wir haben sehr viele Türken hier im Dorf und die Männer wollen immer wissen, ob das nächste Kind ein Junge wird. Da kommt schon was rum.“
„Wieviel?“
„So ein guter Tausender im Monat, manchmal zwei oder drei…“
„So viel? So viele Frauen gibt es doch gar nicht hier im Dorf.“
„Das stimmt schon, aber die Türken.“
„Was hat das mit den Türken zu tun?“
„Nun, wenn ich den türkischen Männern sage, daß das nächste Kind ein Mädchen wird, rühren die ihre Frauen wochenlang nicht an.“
„Ja aber du hast doch trotzdem nur 20 Euro bekommen.“
„Und die Provision.“
„Welche Provision?“
„Na von Uschis Bordell, wo die ganzen Türken dann hingehen.“
„Du bist ein Schlitzohr!“
„Nein, das ist alles kosmisch“, protestiert Siggi.
„Von wegen kosmisch“, sage ich entrüstet, „du hast mir doch gerade erklärt, wie du die Leute bescheisst!“
„Ja, aber auf diese Idee zu kommen, das muss kosmisch sein.“
Da hat er Recht, der Siggi.
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