Gedanken zu (Deutschen) Leitkultur
von Peter Grohmüller ©
Ich muß jetzt ein wenig ausholen. Es geht schließlich ums große Ganze. Das kann man nicht einfach so abhandeln mit Subjekt, Prädikat, Objekt á la Müntefering. Es geht um nicht weniger, als um das, was Deutsch ausmacht, wenn man sich wider besseren Wissens eine der zahllosen aber gänzlich sinnfreien Polit-Schwafelrunden antut.
Eine merkwürdige Vokabel – die Deutsche Leitkultur – mäandert träge und stinkend wie ranziges Altöl durch die Medien, niemals hinterfragt, geschweige denn jemals definiert, von bajuwarischen Hasspredigern aber immer wieder gerne in substanzlose Diskussionen eingeworfen. Führend in dieser Disziplin ist eindeutig Markus Söder, ideologisch gesehen amtlicher Chef-Enkel von Franz Josef Strauß selig, feist grinsender Statthalter des Opus Dei, Sektion Bundesrepublik Deutschland. Ein Mann fürs Grobe.
Jetzt ist es nun mal eine Fügung des Schicksals, dass ich in diese Republik quasi hineingeboren wurde, sprich: die deutsche Staatsbürgerschaft besitze – also die echte, von Haus aus. Kein Migrationshintergrund, soweit ich dies meinem Stammbaum der letzten paar Generationen entnehmen kann. Und da fängt bei mir die Krux mit der deutschen Leitkultur schon an. Ich wüsste nämlich zu gerne, was die dauersabbelnden Anne-Will-Couch-Potatoes damit eigentlich meinen; und da ich darauf bisher weder von Wolfgang Bosbach, noch von dem eingangs erwähnten Brunnenvergifter eine erschöpfende Auskunft erhalten habe, muss ich eben selbst darüber nachdenken. Kann ja nicht schaden – also das Nachdenken über etwas. Vielleicht komme ich ja von alleine drauf, was die meinen könnten, wenn sie mit derartigen Wortkeulen um sich hauen.
was zum Geier kann eine Kultur im Allgemeinen und eine deutsche im Besonderen eigentlich leiten?
Also was oder wen bitteschön kann eine Kultur leiten? Ein Schild kann z. B. leiten – umleiten. Das kennt man leider zur genüge, weil diese Schilder wie aus dem Nichts auftauchen und niemals mit dem korrelieren, was mein Navi als Route empfiehlt. Ein Blitzableiter kann auch leiten – eben einen Blitz und zwar ableiten, wie aus dem Namen unschwer zu erraten ist. Ein Luftleitblech – vulgo Spoiler – kann auch etwas leiten. Das sinnfreien Spritverprassen im Motorsport lockt mit besagten Luftleitblechen immer wieder Hunderttausende auf die Rennstrecken und Millionen vor die Glotze. Vermutlich dienen diese im Vakuum gebackenen ehrfurchtsvoll bewunderten Spoiler aus hypermodernen Kohlefaserverbundwerkstoffen dazu, den Intellekt der Fans ganz profan in die Online-Shops für Rennsport-Devotionalien umzuleiten.
Aber was zum Geier kann eine Kultur im Allgemeinen und eine deutsche im Besonderen eigentlich leiten?
Die beliebte, von Akademikern jedoch naserümpfend ignorierte, Online-Enzyklopädie Wikipedia erklärt den Begriff Kultur wie folgt:
„Kultur (von lateinisch cultura „Bearbeitung, Pflege, Ackerbau“) bezeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, Kulturleistungen sind alle formenden Umgestaltungen eines gegebenen Materials, wie in der Technik oder der bildenden Kunst, aber auch geistige Gebilde wie Sprachen, Moral, Religion, Recht, Wirtschaft und Wissenschaft.“ 1
OK, damit lässt sich etwas anfangen. Unser eingangs erwähnter bajuwarische Caesar in Lauerstellung, Markus Söder, insistiert ja immer wieder, dass der erste Schritt zur Integration von nicht-deutschen Menschen das Erlernen der deutschen Sprache sei. Eigentlich würde er ja lieber Assimilation statt Integration sagen, aber es würde seinem Image ausserhalb des Freistaates eher schaden, und er möchte ja auch von der weltoffenen, hippen, spießigen Münchner Schickeria dereinst zum Landesvater erkoren werden.
Was genau Markus Caesar Söder in spe mit der deutschen Sprache meint, erklärt er zwar nicht, aber wenn man seinen Parteifreunde Alois Glück oder Erwin Huber lauscht, kann diese erste Hürde der Integration keine so hohe sein.
Denn die Deutsche Sprache mit ihren hunderten von lokalen Dialekten ist ein wilder Mix aus allem, was jemals über die Alpen gekraxelt, oder aus dem hohen Norden ins alte Germanien eingefallen ist. Vermutlich meint Söder aber das Deutsch, das uns täglich aus der Tagesschau ins heimische Wohnzimmer schwappt. Er kann ja unmöglich verlangen, dass alle Ausländer, die er assim… Tschuldigung integrieren möchte, jetzt mal eben Latein, Altgriechisch, Französisch und weiß der Geier was noch alles lernen. OK, Sprache wäre somit abgehakt.
Abstammung als Grundvoraussetzung fürs Deutschsein, das wäre auch ein gutes Thema. Da kann man ansetzen. Ein richtiger Deutscher muss also von Deutschen abstammen. Ob das so ist, kann man sehr leicht am Familiennamen feststellen. Mir fallen da auf Anhieb solche urdeutsche Lichtgestalten wie Hans-Jürgen Wischnewski, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Jérôme Boateng, Mesut Özil oder Cem Özdemir ein. Alles verdiente Deutsche. Oh, ich fürchte, da ist mir etwas aus dem Ruder gelaufen. OK, das mit den Namen haut also nicht hin.
Aber Kultur, aber hallo, da sind wir Deutschen einsame Spitze in der Welt. Was haben unsere Ahnen nicht alles erfunden. Die Mathematik (pssst, das waren die Griechen), die Astronomie (das waren die Sumerer), die Medizin (das waren die Iraker), die Philosophie (das waren alle, die sich jenseits des täglichen Fressens noch um anderes Gedanken machten). OK, aber erst wir Deutsche habe etwas daraus gemacht.
Und nicht zu vergessen: unsere Kunst!
Und eben ist bei mir der Groschen gefallen. Ich weiß jetzt, was mit der Deutschen Leitkultur gemeint ist: Bullshit.
Namen wie Donnerhall: Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, wahre Titanen der Literatur, Kant und Luther, zwei großer gefeierte Denker und glühende Judenhasser, aber das ist ein anderes Thema. Um unsere Galerie der Kunstschaffenden beneidet uns die Welt. Bis in die Neuzeit erbringt das Deutsche immer wieder große Künstler. Und auch die berühmteste Regisseurin aller Zeiten ist eine Deutsche, nämlich Helene Bertha Amalie Riefenstahl, genannt „Leni“.
Und eben ist bei mir der Groschen gefallen. Ich weiß jetzt, was mit der deutschen Leitkultur gemeint ist: Bullshit. Das ist ein Füllwort im wichtig-wichtig-Geschwafel der Diätenkassierer, das nur mäßig die braune Scheiße im präfrontalen Cortex der Krawatten-Nazis kaschiert. Aber was diese deutsche Kultur nun leiten soll, ist mir immer noch nicht ganz klar, aber auch scheißegal.
1 Quelle: Seite „Kultur“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 9. November 2015, 14:06 UTC.
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Danke für diese Gedanken,
@ Gerda,
ich habe zu danken. Dafür, dass sich jemand die Mühe macht, solch ausschweifenden Texte zu lesen. Ich hätte noch seitenweise weitermachen können, weil mich diese braune Hetze dermaßen in Rage bringt. Ausgerechnet aus Bayern, der Heimstatt der Korruption und des Filzes in der Republik, kommen solche Anmaßungen. Vielleicht schreibe ich eine Fortsetzung. Die „deutscheste aller deutschen Leitkulturen“, oder so ähnlich.
Ich lese Deine Texte auch immer. Aber jeden! Nur denke ich meisten: So ist es! Und dann kommentiere ich nicht.
Also: Bitte weitermachen!!!!
@ Mirko,
auch Dir ein Dankeschön für die Blumen. Sicher weder ich weiterschreiben. Peter bestätigt mir immer wieder, dass meine Marmelade parallel bei Facebook, Google+, XING, LinkedIn und Twitter verbreitet und auch heftig kommentiert und zitiert wird. Es hat mich schon des öfteren gereizt, dort mitzumischen. Aber dann sitze ich nur noch vor dem Notebook und vernachlässige womöglich meine Musik, und das geht gar nicht.
Zitiert aus dem Blog eines Freundes:
«[…] Dann gibt es aber noch die vielen Nazis, die gar nicht wissen, dass sie Nazis sind. Die „Ich bin ja kein Rassist, aber …“-Sager. Okay, nicht jeder Rassist muss ein Nazi sein (andersrum ist jeder Nazi immer auch ein Rassist), aber wenn sich Rassismus auch noch mit so Deutschtümelei paart und der Angst davor, „deutsche Werte“ zu gefährden, die „in tausend Jahren“ geschaffen worden seien, dann muss man immer zuerst fragen: Was meinen Sie denn jetzt für Werte?
Als Antwort kommt ganz oft sowas wie: „Na, Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit …“ – und Ende. Betretenes Schweigen. Ein bisschen mau für eine nationale (oder schlimmstensfalls völkische) Identität, nicht?
Wie wäre es denn mit den Werten der Aufklärung? Oder denen aus dem Grundgesetz: der Unverletzlichkeit der Würde eines jeden Einzelnen. Oder Einigkeit und Recht und Freiheit. Oder dem Bekenntnis zu einem friedlichen Europa der Regionen. Ich weiss, grammatikalisch korrekt müsste ich hinter all diese Sätze ein Fragezeichen stellen. Ich habe aber gar keinen Bock, diese Werte auch nur durch Satzzeichen in Frage zu stellen.»
http://www.contra8.de/blog/de/2015/10/nazis-sind-heulsusen/
@ Yannick
3.000.000 Jahre nach der „Zähmung“ des Feuers fressen die Leute wieder rohen Fisch, weil es hip ist. Es sind die Moden oder das, was hirnlos mit Zeitgeist beschrieben wird, die uns um den Verstand bringen – das Werkzeug schlechthin, um unsere Instinkte auf ein dem 21. Jahrhundert angemessenes Maß zu begrenzen. Aber unser Konsum, unser goldenes Kalb, das uns mit all den schönen Dingen versorgt, funktioniert eben nur, wenn wir nicht denken, sondern kaufen.
Der Kollateralschaden unserer dauerhaft durch Werbung stimulierten „niederen“ Instinkte wie „das muss ich auch haben“ ist deren Überhitzung – das völlige Versagen des Intellekts. Am Ende dieser Kausalkette rotten sich die vollgefressenen Zombies dann bei den AfD oder Pegida-Events zusammen, tragen dabei Jeans aus Korea, T-Shirts aus Bangladesch, brüllen faschistische Parolen und posten Selfies auf ihren Smartphones – aus chinesischer Sklavenproduktion. Wer jetzt Lösungen von „der Politik“ fordert, bei dem hat die Hypnose funktioniert.
Die Deutsche Kultur gibt es in dem Sinne nicht,jede Region hat ihre eigenen kulturellen Merkwürdigkeiten hervorgebracht oder gibt es etwas das uns vom feindlichen Ausland(Bayern) bis an die Küste im kulturellen vereint?
„Jetzt ist es nun mal eine Fügung des Schicksals, dass ich in diese Republik quasi hineingeboren wurde, sprich: die deutsche Staatsbürgerschaft besitze“
Stimmt so nun auch wieder nicht,nur weil im BPA evtl. etwas davon zu lesen ist muss es nicht stimmen,es ist nur eine Vermutung von Amtes wegen.Um sich da Sicher sein zu können muss man bei der zuständigen Behörde eine Staatsbürgerurkunde beantragen,erst wenn man diese hat ist man „Deutscher Staatsbürger“
Und für die Staatsbürgerurkunde muß man über drei Generationen hinweg nachweisen, daß die Eltern und Großeltern auch Deutsche waren. Passierte meiner Frau, als sie Beamtin werden wollte. Ein Wunder, daß sie nicht auch nachweisen mußte daß Ihre Kinder auch deutsch getauft werden, ups, das waren ja die Katholiken.