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Spitze Feder

Der elektrische Nasenhaarschneider

von Peter Grohmüller

Um für die treuen Leser meines zuweilen misanthropischen Lamentierens über das Übel in der Welt, zur Abwechslung einmal etwas Nutzbringendes zu schreiben, möchte ich mit diesem Beitrag die virulenten Begrifflichkeiten in der schrägen Diskussion um die sogenannten Energiewende etwas aufdröseln.

Um eines gleich vorab festzustellen:

Energie kann weder erzeugt, noch verbraucht werden.

Sie ist nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft neben Raum, Zeit und Materie mit dem Urknall entstanden und einfach nur da. Punkt! Die Hardcore-Vertreter unter den theoretischen Physikern neigen zwar zu der Ansicht, dass gemäß Albert Einsteins berühmter Gleichung E=MC², Energie lediglich der ungebundene Zustand der Materie ist und umgekehrt, aber das spielt in diesem Beitrag keine Rolle.

Fernab jeder politischen Debatte, benötigen alle Lebewesen eine endliche Menge an Energie, um ihr Dasein aufrecht erhalten zu können. Fauna, wie Flora, von Einzeller bis zum Homo Sapiens. Wobei das intellektuelle Niveau, mit der die Debatte um die Energiewende zuweilen geführt wird, eher auf dem, einer Amöbe angesiedelt zu sein scheint, als auf dem, des Homo Sapiens.

Da Energie bekanntermaßen nun mal nicht ohne technisches Zutun in der bequemen Form einer Steckdose vorliegt, an die man gedankenlos seinen Nasenhaarschneider anschließen kann, macht sie dem Mensch seit den 1880er Jahren, dem Beginn der Elektrifizierung, einiges an Kopfzerbrechen, wie man dies am besten bewerkstelligen könnte, also lange bevor der elektrische Nasenhaarschneider erfunden wurde.

Aufbauend auf den Grundlagenforschungen des italienischen Physikers Alessandro Volta und seines französischen Kollegen André-Marie Ampère, konstruierte 1822 der französische Instrumentenbauer Hippolyte Pixii den ersten Wechselstromerzeuger, den Urvater aller Dynamomaschinen.

Darin dreht sich eine Welle, auf der ein Dauermagnet montiert ist – im Folgenden Rotor genannt. Umgeben ist die Konstruktion von einem feststehenden Spulenkörper aus Kupferdraht, im Folgenden Stator genannt. Das magnetische Feld des Rotors setzt nun die Elektronen in den Drähten des Stators in Bewegung. Sprich: Sie fließen im (Strom-) Kreis, wenn man beispielsweise an die beiden Enden der Drahtspulen eine Glühbirne oder eben einen Nasenhaarschneider anschließt.

Das ist das Prinzip, auf dem alle Kraftwerke basieren. Dem aufmerksamen Leser wird sich nun die berechtigte Frage stellen, wie man den Rotor dauerhaft in Drehung hält, um diesen Dynamo-Effekt nachhaltig nutzen zu können.

Dazu muss man Energie umwandeln!

In den Kraftwerken wird hierzu Wasser zu Dampf erhitzt, der dann mit gehörigem Druck eine Turbine antreibt, deren Welle wiederum gleichzeitig die des Rotors ist. Die Wärmeenergie, die man benötigt, um das Wasser zu erhitzen, kann man für die beschriebene konventionelle Turbinentechnik entweder über einen chemischen oder durch einen kerntechnische Prozess erhalten. Sprich: man kann die Sonnenenergie, die über die Photosynthese durch Pflanzen in Form von Kohlenstoff gespeichert wird, dem Wasser über die Verbrennung von Holz, Stein- und Braunkohle, Erdgas und Erdöl zuführen, oder radioaktive Zerfallsprozesse in Anspruch nehmen, bei denen ebenfalls Energie/Wärme frei wird.

Eine weitere Variante, dem Rotor die benötigte Bewegungsenergie zuzuführen, ist die, dessen Welle mit Turbinenschaufeln zu koppeln, die entweder durch Wind oder durch strömendes Wasser in Rotation versetzt werden.

Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass bisher mit keiner einzigen Silbe von grüner, schwarzer, roter, weißer, oder gar von regenerativer Energie die Rede war. Schlicht und ergreifend aus dem Grund, weil diese Unterscheidungen im Zeitgeist existieren mögen, in der Physik jedoch nicht. Regenerative Energie ist PR-Hirngespinst, eine irreführende Bezeichnung aus dem Reich der New-Age-Community.

Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten.

Oder anders ausgedrückt: Es benötigt Energie, Arbeit zu verrichten. Energie steckt z. B. in unseren Nahrungsmitteln. Der Verdauungstrakt dröselt all die Leckereien, die sich Siegmar Gabriel im Fünf-Sterne-Hotel beim Klimagipfel reingefuttert hat auf, wandelt die darin gespeicherte Energie der Kohlenstoffe aus Pflanzen und Tieren um und leitet sie in die Mitochondrien, die Zellkraftwerke der Muskulatur, damit er genügend Energie hat, seine drei Zentner aufs Podest zu wuchten und irgend etwas staatstragendes in die Mikrofone zu labern.

Wenn er aber nach durchzechter Nacht des Morgens im Spa-Bereich seiner Suite die Nasenhaare trimmen will, kommt die bereits beschriebene elektrische Energie (vulgo elektrischer Strom) über die Feuchtraumsteckdose seines Badezimmers zu Einsatz.

Und jetzt wird´s politisch:

In der schönen Welt des kapitalistischen Wirtschaftssystems, dem solch wunderbare Produkten wie jenes Notebook entstammen, auf dem dieser Beitrag entsteht, dreht sich alles Bestreben um möglichst wenig Wettbewerb, auch wenn gebetsmühlenhaft immer wieder das Gegenteil behauptet wird. Das ist Unsinn, denn erst ein Monopol garantiert maximalen Gewinn.

Selbstredend auch bei der Versorgung mit Strom und Gas. In der Bundesrepublik gibt es zwar formal gesehen kein Monopol, aber mit EO.N, EnBW, Vattenfall und RWE, decken vier gigantische Konzerne, die den Markt generös unter sich aufgeteilt haben, über 80% der Energiebereitstellung ab und diktieren die Preise, wenngleich sie immer wieder auf ihr gemeinsames Feigenblatt namens Leipziger Strombörse verweisen. Diese Big Four sind alleine schon aus Gründen ihrer schieren Kapitalmacht in der Lage, milliardenschwere Großkraftwerke zu errichten und zu betreiben, unabhängig von der Sinnhaftigkeit dieser Investitionen.

Die Folgen sind sattsam bekannt und bedürfen keiner weiteren Betrachtung. Nur soviel sei noch angemerkt: Den Big Four ist es Jacke wie Hose, über welche Energieträger sie die Verbraucher zur Ader lassen. Ihnen geht es nur um die Aufrechterhaltung ihrer Macht und ihre astronomischen Gewinne. Deshalb kleiden sie sich Schritt für Schritt in grünen Tweed, um in hippem Zeitgeist-Outfit auf den Zug mit dem dämlichen Namen „Erneuerbare Energien“ aufzuspringen.

Ihre Statthalter in den Parlamenten, die sie auf ihrer Payroll führen, tragen derweil mit allerlei hanebüchenen Gesetzen, Verordnungen und Bestimmungen dafür Sorge, dass deren konventionelle Großkraftwerke so lange in Betrieb bleiben, bis die Investitionen wieder eingefahren sind und darüber hinaus die erwarteten Profite abgeworfen haben.

Parallel dazu erweitern sie ihr Portfolio mehr und mehr mit gigantischen Photovoltaik-Anlagen und tausenden von Windturbinen, um auf Basis dieser Energieträger ihre jetzige Monopolstellung auch in der Zukunft verteidigen zu können. Denn eines haben sie als Kaufleute längst verinnerlicht: Die Kernkraftwerke sind schon jetzt ein toter Ast, die „fossilen“ Energieträger haben ein irreversibles Image als CO2-Dreckschleudern und die „Erneuerbaren“ schwimmen auf einer unaufhaltsamen Sympathiewelle. Also ändern sie entsprechend ihr Geschäftsmodell, um auch noch in 50 Jahren den Markt zu beherrschen. Bis dahin werden den Verbraucherinnen und Verbrauchern immer neue Gebühren abgepresst, bis die komplette Infrastruktur steht und das fröhliche Abkochen geschmeidig weiterlaufen kann.

Nun suggeriert jedoch die sogenannte Energiewende einen Wandel in der Versorgung. Manch einer träumt gar von einer Zeitenwende. Abertausende dezentrale, kleine, vernetzte Kombikraftwerke über die ganze Republik verteilt, sind die phantastische Vision unzähliger Startups und Bürgerinitiativen. In jedem Dorf, in jeder Straße ein smartes, kleines Kraftwerk, das die Verbraucher mit eigenem Strom und und eigener Wärme versorgt. Genossenschaftlich betrieben, ausserhalb des Einflussbereichs der Großkonzerne, die dann ihre riesigen Anlagen anschalten könnten.

Eine realistische Vision oder nur eine charmante Robin-Hood-Vorstellung?

Die Macht der Big Four fußt auf den Gesetzen unseres Wirtschaftssystems. Solange dieses quasi als sakrosankt angesehen wird, weil es uns allerlei Annehmlichkeiten bietet, und seien sie auch noch so sinnfrei, solange der überwiegende Teil der Bevölkerung sich lieber im heimischen Wohnzimmer verschanzt und der wohligen Warenwelt hingibt, anstatt sich darüber Gedanken zu machen, wer letztendlich die Zechen für den Wohlstand bezahlen muss, bleibt die Energiewende wohl eher eine Robin-Hood-Veranstaltung.

Dass Wasser- und Windkraftanlagen den Energiebedarf in der Bundesrepublik, ja in ganz Europa zu 100% abdecken können, ist hinlänglich bewiesen. Das immer wieder gebetsmühlenhaft benutzte Argument mit der fehlenden Speichkapazität ist ein klassisches Totschlagargument. Denn mit dem Power-To-Gas-Prinzip steht nicht nur eine verlässliches Speichertechnologie zur Verfügung, sondern in letzter Konsequenz auch der Königsweg für die Energieversorgung schlechthin.

Was fehlt, ist ein Meinungsumschwung bei den Bürgerinnen und Bürgern, an deren Ende die Erkenntnis und der Wille stehen müssen, dass alle elementaren Belange der Gesellschaft, wie der öffentlichen Personennahverkehr, die Telekommunikation, das Gesundheitswesen und auch die Energieversorgung nicht den Marktbedingungen unterliegen dürfen, sondern als gesellschaftliches Gesamtaufgabe im Non-Profit-Modus betreiben werden müssen. Ob ein solcher „Rückschritt“ dieser Größenordnung in unserem kapitalistischen System überhaupt noch möglich ist, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Deshalb habe ich einen batteriebetriebenen Nasenhaarschneider.

Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 16. Januar 2024 | Peter Grohmüller 16. Januar 2024

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