Wir alle möchten doch von unseren Mitmenschen so bewertet werden, daß es möglichst nahe an dem idealisierten Bild ist, das wir von uns selbst haben. Oder doch zumindest möchten wir wohlwollend, fair und grundlegend behandelt und bewertet werden.
Das würde aber erforderlich machen, daß sich die einzelnen Individuen miteinander beschäftigen, um herauszufinden, was wirklich in einem steckt, wo die Stärken liegen, wie der Charakter eines Menschen ist.
Daß das nicht funktioniert, hat wohl jeder von uns schon recht früh am eigenen Leib zu spüren bekommen, als er mal mit der „falschen“ Jeans in den Kindergarten oder in die Schule gegangen ist oder besser gesagt: gehen mußte.
Mir persönlich geht es so, daß ich mir einbilde, in den bisher 47 Jahren meines Lebens, unzähligen Jobs und etlichen Beziehungen so viel Menschenkenntnis erlangt zu haben, daß ich manche Leute oft schon auf den ersten Blick beurteilen kann.
Nur leider klappt das immer weniger. Aber das liegt nicht etwa daran, daß mir meine Menschenkenntnis abhanden kommt, sondern daran, daß sich die Weltschicksalslage (zum besseren Lesen: Welt-Schicksals-Lage ) verändert hat.
Nehmen wir die Pennbrüder: Immer schon hat man so Geschichten gehört, daß es unter den Pennern studierte Leute geben soll usw. Und das mag ja auch gestimmt haben, aber wenigstens konnte man bis vor ein paar Jahren ziemlich treffsicher alle Penner pauschal als Säufer, Arbeitsscheue und Heruntergekommene bezeichnen. Wenigstens zwei dieser Bezeichnungen trafen immer zu.
Nun muß man wissen, daß ich als Autor sehr an Schicksalen und Geschichten interessiert bin und mich deshalb immer mal wieder mit den sogenannten Nichtseßhaften unterhalte.
Früher tat ich das, weil mich diese seltsame Lebensweise interessierte, heute, weil ich große Veränderungen feststellen muß. Ich treffe immer mehr Männer (auch Frauen, aber weniger), die eine völlig normale Vita haben. Es sind nicht mehr durchweg gescheiterte Existenzen, die dem Alkohol verfallen sind, sondern in großer Zahl ganz normale Leute. Und ich sage es ganz bewußt: Leute, wie du und ich.
Das Scheidungsrecht mit seinen mannigfaltigen Unterhaltsverpflichtungen, die Sozialgesetzgebung, der „Stolz der Nation“ unsere lieben Vermieter, veränderte soziale Strukturen und die Lage auf dem Arbeitsmarkt haben dazu beigetragen, daß heute immer mehr Menschen immer schneller auf der Straße landen. Ganz normale Menschen.
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Es gab auch mal eine Zeit, da konnte man am Beruf eines Menschen viel erkennen. Deshalb interessiere ich mich auch immer sehr dafür, was jemand so macht. Das gab immer recht viel Einblick und ich konnte die Leute sehr gut einschätzen. Hierbei habe ich fast eine ganze Generation außer acht lassen müssen, nämlich jene, die während oder nach dem Krieg keine Chance hatten, etwas Adäquates zu machen. Aber spätestens die nach 1945 Geborenen hatten viele, wenn nicht alle Chancen, sich beruflich zu entfalten.
Aber auch das funktioniert heute nicht mehr. Einer meiner Müllmänner ist promovierter Physiker und unser Aushilfspostbote ist Volkswirtschaftler. An der Tankstelle bedient mich ein promovierter Mathematiker und die alte Nachbarin wird von einem Pflegediensthelfer betreut, der eigentlich Lungenfacharzt ist.
Verkehrte Welt!
Gemessen werden wir heute also offenbar nicht mehr an dem was wir sind, sondern an anderen Dingen. Dies sind, mal flapsig gesagt:
- Schufa-Einträge
- Kredit Scoring
- Ebay Bewertungen
- Guhgel-Pagerank
Wie? Du hast keine Schufa-Einträge? Na, da wäre ich mir aber nicht so sicher! Mal ’ne Handyrechnung nicht bezahlt? Dann würde ich hier bei der Schufa mal nachschauen!
Ich glaube, die meisten werden sich wundern!
Und du glaubst, du hättest kein Kredit-Scoring, weil du ja gar keinen Kredit hast/willst? Auch falsch! Versuche doch mal online irgendwo was zu bestellen, was ein bißchen teurer ist. Hast du dich noch nie gewundert, warum bei Amazon oder im T-Online-Shop urplötzlich die Zahlungsvariante ‚auf Rechnung‘ für dich verschwunden ist? Es reicht schon, wenn du in diesem oder jenem Stadtteil wohnst oder in einer bestimmten Straße. Vielleicht wohnen in deiner Nachbarschaft ein paar Leute, die häufiger ihre Rechnungen nicht bezahlen und schon gehörst auch du mit zu denen!
Ebay und die Schufa arbeiten ja schon lange Hand in Hand. Schon bei der Anmeldung wird über die Schufa gecheckt, ob es dich an dieser Anschrift wirklich gibt. Wann und ob da weitere Daten ausgetauscht werden, bleibt das Geheimnis dieser beiden Firmen.
Jedenfalls wirst du bei Ebay allein durch deine Bewertungen charakterisiert. Da zählt nicht, ob du ein netter oder ehrlicher Mensch bist, da zählt nicht, ob du deine Waren schnell bezahlst oder deine Artikel gut und zügig verschickst. Nein, es zählt nur, was hirnlose Dauerpubertierende über dich in die Bewertungen schreiben. Geht mal ein Handel bei Ebay in die Hose, dann bist du doch sowieso in den Ar… gekniffen, weil eins ist gewiß: Ebay wird dir nicht helfen!
Kommen wir zum Guhgel Pagerank: Guhgel ist ein tolle Suchmaschine, ohne Frage. Ich bewundere Leute wie Steve Jobs und Bill Gates. Auch die Gründer von Guhgel finde ich klasse! In der heutigen Zeit quasi über Nacht etwas aus dem Boden stampfen, erfolgreich zu sein und über Jahre eine marktbedeutende Stellung innezuhaben, daß hat was.
Aber entwickelt sich Guhgel nicht zum Moloch? Ich sehe da große Gefahren. Nun bin ich nicht einer derjenigen, die ständig jammern, weil wir ja immer mehr auspioniert und kontrolliert werden. Mir ist der Gedanke an den gläsernen Menschen auch suspekt, aber mir ist es ziemlich egal. Solange in meinem Schlafzimmer keine Webcam steht (und da kommt auch keine hin 😉 ), werden bestimmte Teile meines Privatlebens sowieso undurchschaubar bleiben.
Wie aber sieht das in Hinblick auf unsere Bewertung durch Guhgel aus? Jede unserer Bewegungen im Internet wird aufgezeichnet. Jedes Schlag- und Suchwort wird mit unserer Person verknüpft und läßt bestimmte Rückschlüsse zu. Deshalb empfehle ich es jedem: surfe anonym! Das geht viel einfacher als du denkst!
Als Webmaster oder Blogger möchte man aber, daß man in den Suchmaschinen relativ gut gefunden wird. Die Plazierung dort ist mittlerweile für viele ein wichtiges Kriterium geworden. Eine weitere Meßlatte hat Guhgel mit der Einführung des Pageranks gelegt.
Mittels eines recht komplizierten Algorithmus wird ermittelt, welche Relevanz eine Seite hat. Wirklich?
Anhand der Linkstruktur, also welche und wieviele Seiten auf deine Seiten zeigen und auf welche Seiten du verweist, wird ermittelt, ob deine Seite wichtig ist.
Ob deine Seite gut ist oder ob sie schön ist oder ob du ein wertvoller Mensch bist, nein das wird nicht bewertet. Im Netz dümpeln Millionen von sehr guten Seiten zu einem interessanten Thema, die überhaupt nicht gefunden werden können. Deshalb mein Tip: Bei den Guhgel-Suchergebnissen immer auch mal einen Blick auf die Ergebnisseiten 20-100 werfen!
Es liegt nämlich sogar sehr nahe, daß jemand, der sich mit einem vielleicht exotischen Hobby beschäftigt, etwa der Zucht des Salatdackels, sich nicht unbedingt mit dem Internet und mit Guhgel auskennt. Es ist also sogar sehr wahrscheinlich, daß eine besonders informative Seite in einem sehr schlichten Design und bei Guhgel ganz weit hinten erscheint.
Wichtig, um einen hohen Pagerank zu erhalten, ist es, daß man Backlinks von sehr gut „gerankten“ Seiten bekommt. Wer Kohle hat, kann sich solche Verknüpfungen kaufen. Die Großen lassen es sich mittlerweile sehr teuer bezahlen, wenn man von ihnen verlinkt werden soll. Deshalb bedeutet ein hoher Pagerank zunächst einmal nichts anderes, als daß viele Leute diese Seiten lesen und verlinkt haben. Wie das zustande gekommen ist, bleibt nahezu unberücksichtigt. Über die Qualität der Seite sagt es überhaupt nichts aus.
Was kann man also tun, um als netter und guter Mensch erkannt zu werden?
Setzt dich in Mannheim mit einer Rotweinflasche an den Hauptbahnhof!
aja
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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