Die Berlinale hat ein Problem. Ich korrigiere: Der gesunde Menschenverstand hat ein Problem, denn er ist uns offensichtlich abhandengekommen.
Der medial hochgejazzte „Eklat“ um die Aussagen einiger Mitglieder aus Jury, Preisträgerinnen und Preisträger, die in ihren Reden mit Kufiya und Stickern, einen sofortigen Waffenstillstand im Gaza-Krieg forderten und ihrem Statement mit dem völlig deplazierten Begriff „Genozid“ mutmaßlich noch zusätzliche Schärfe verleihen wollten, reiht sich ein, in eine sattsam bekannte Serie von Aufregern, an denen sich das Feuilleton, die einschlägigen Talkshows und Politikerinnen und Politiker aus der zweiten und dritten Reihe erwartungsgemäß abarbeiten und ihre Empörung zum Ausdruck bringen. Worüber eigentlich genau?
Man kann natürlich trefflich darüber streiten, ob ein Event, wie die Berlinale, per se eine passende Bühne für politische Statements ist, unabhängig davon, ob die „Berliner Inszenierung“ nun spontan erscheinen mag, oder ob sie auf Linie mit was auch immer war.
Schon bei der Documenta 15, konnte man sehen, wozu der hirnlose „Protest“ des indonesischen Künstlerkollektivs Ruangrupa, mit geschmacklosen Darstellungen stereotyper Judenanfeindungen führen kann, welche Halbwertszeit der mediale Shitstorm dabei hatte, und mit welchem Elan unsere stets hyperventilierende Kulturstaatsministerin ihr Segel blähte, als die allgemeine Windrichtung durch das Feuilleton erst einmal definiert war.
Dieses armselige Trauerspiel hätten die Mitglieder aus Jury, Preisträgerinnen und Preisträger der Berlinale vor ihrer Aktion auf dem Radar haben müssen. Und sie hätten wissen müssen, dass sie sich mit jedweder Kritik an dem Staate Israel nur die Finger verbrennen können. Haben sie aber nicht…dumm gelaufen. Aber hätten sie das wirklich müssen?
Die Reflexe sind hinlänglich bekannt, und man könnte sie eigentlich knicken, lochen und abheften. Dräute in ihnen nicht ein mäßig kaschierter Maulkorb, der den Artikel 5 des Grundgesetzes relativiert, wenn nicht gar zur Disposition stellt! Ich frage mich, wo die ausgewogene Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien ist, die die Engstelle am Rubikon gegen unbotmäßige Überschreitung doch schützen sollten? Gerade sie, deren Pflichten zu Pluralität und Staatsferne in ihren Statuten verankert sind, geben in der Causa Berlinale ein geradezu beschämendes Bild ab.
Nur, damit ich das richtig verstehe: Artikel 5 des Grundgesetzes besagt, dass jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Es gibt keinen Zusatz, demzufolge eine Meinung irgendeiner Norm entsprechen, oder gar dritten gefallen müsse. Es ist gerade das Fundament eines demokratischen Rechtsstaates, Dissens zu respektieren und zu tolerieren, selbst einen schmerzlichen. Tolerieren kommt nämlich aus dem Lateinischen und bedeutet nun mal ertragen, aushalten, erdulden. Allerdings muss jener demokratische Rechtsstaat einer Meinungsäusserung auch Grenzen setzen, insbesondere dann, wenn sie das Recht der persönlichen Ehre zu verletzen droht.
Nur, damit ich das richtig verstehe: Wird Artikel 5 des Grundgesetzes auf einem Event automatisch sistiert, wenn es mit 13 Millionen € aus Steuermitteln subventioniert wird? Wessen persönliche Ehre genau, haben denn die Mitglieder der Berlinale-Jury, die Preisträgerinnen und Preisträger mit ihrem Statement verletzt? Die des Staates Israel, oder die des Judentums?
Woran genau leiten Claudia Roth, Josef Schuster und all die anderen, die sich nun erwartungsgemäß über den vermeintlichen Affront echauffieren und den nach Sensationen hechelnden Blättern ihre klischeebeladenen Phrasen in die Leitartikel dreschen, woran genau leiten sie alle den abstruse Automatismus ab, besagte Künstlerinnen und Künstler, goutierten die Mordanschläge der Hamas, nur weil sie sie nicht ausdrücklich verurteilt hatten? Haben sie das an irgendeiner Stelle, mit einem einzigen Wort tatsächlich so gesagt? Oder sind es nicht doch eher die abgedroschenen Reflexe, die jedermann sogleich offenen Antisemitismus unterstellen, sollte er es wagen, sich kritisch über Israel zu äussern?
Nur, damit ich das richtig verstehe: Wenn die Mitglieder aus Jury, Preisträgerinnen und Preisträgern, Coram Publico einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg fordern, die Angriffe der Hamas jedoch nicht gleichzeitig adressieren und verurteilen, dann ist das also automatisch Antisemitismus? Oha!
Nur, damit ich das richtig verstehe: Wenn besagte Künstlerinnen und Künstler das identische Statement abseits der staatlich alimentierten Show-Bühne und des roten Teppichs wortwörtlich so abgeben, ist es dann eine, zwar überzogene, aber gerade noch so zulässige, freie Meinungsäusserung gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes?
Nur, damit ich das richtig verstehe: Wenn ich auf einer Demonstration gegen eine Parallelgesellschaft, die den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel bejubelt, die mit Scharia, Zwangsehen, Ehrenmorden, Genitalverstümmelungen und eigenen Friedensrichtern, unsere Zivilgesellschaft offen ablehnt, wenn ich dort für die strikte Einhaltung des Grundgesetzes und die Achtung unserer Gesetze und Werte plädiere, ohne gleichzeitig die Millionen friedliebende Musliminnen und Muslime in Deutschland lobend zu erwähnen, bin ich dann automatisch islamfeindlich? Oha!
Nur, damit ich das richtig verstehe: Ist es im 21. Jahrhundert nicht mehr legitim, an die Ursprünge des heutigen Gaza-Krieges zu erinnern, die weit in der Mitte des 20. Jahrhunderts liegen? Oder war es etwa per se nie legitim? Oha!
Nur, damit ich das richtig verstehe: Ist es schon ein Beweis für offenen Antisemitismus, an die Vertreibung von Hunderttausenden von Palästinenserinnen und Palästinenser aus dem Westjordanland, den Golan-Höhen und Ost-Jerusalem, durch die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik der israelischen Regierungen zu erinnern, ohne im gleichen Atemzug die Angriffe der Hamas zu adressieren und zu verurteilen? Oha!
Nur, damit ich das richtig verstehe: Höre ich schon wieder das Totschlagargument des Whataboutism, obwohl ich bei meinen Überlegungen und Fragen, explizit zwischen dem Judentum und dem Staat Israel unterscheide? Der Furor über das unbotmäßige Statement auf der Berlinale, nimmt diese immens wichtige Unterscheidung offensichtlich nicht vor. Ob fahrlässig, oder vorsätzlich, sei dahingestellt. Ebenso wie die Frage: Qui Bono?
Der gesunde Menschenverstand hat ein Problem, denn er ist uns offensichtlich abhandengekommen.
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