Im Dezember 1938 entdeckten Otto Hahn und sein Mitarbeiter Fritz Straßmann, damals beide Chemiker am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin, dass bei der Bestrahlung von Uran, radioaktive Bariumisotope entstanden.
Die Erklärung hierzu, nämlich, dass bei diesem zuhöchst unfreundlichen Akt das Uran-Atom zerdeppert wurde und dabei enorme Mengen an Energie freisetzte, lieferten Anfang Januar 1939 deren brillante Kollegin, die Kernphysikerin Lise Meitner und ihr Neffe, Otto Frisch. Allerdings aus Stockholm, ihrem schwedischen Exil; denn die in Österreich geborene Jüdin, war aufgrund der Rassengesetze der Nazis gezwungen, dorthin zu emigrieren.
Wie so oft in der Geschichte der Forschung, landete auch die Entdeckung von Hahn und Straßmann, respektive die kernphysikalische Analyse Meitners, sogleich in den Händen der dunklen Seite der Wissenschaft; im Falle besagter Kernspaltung, als gewaltige Kriegswaffe. Am 6. August 1945 offenbarte sich den Einwohnerinnen und Einwohnern von Hiroshima, und am 9. August 1945 der Bevölkerung von Nagasaki, die infernalische Energie, die bei der Kettenreaktion einer Kernspaltung freigesetzt wird, als die US-Airforce jeweils eine Atombombe über den beiden Städten zur Explosion brachten und die Stadtzentren nebst 250.000 Menschen innerhalb von Millisekunden pulverisierte.
Welcher Teufel den ungarischen Physiker Edward Teller geritten haben muss, als er meinte, die infernalische Sprengkraft der Atombomben noch potenzieren zu müssen, ist mir schleierhaft. Ich möchte jedoch an dieser Stelle Hybris nicht gänzlich ausschließen. Am Ende eines testosterongeladenen Wettlaufs zwischen den USA und der UdSSR, zündete letztere am 30. Oktober 1961 die AN602, die unter der Leitung des Physikers Andrej Sacharow entwickelt wurde: Eine Wasserstoffbombe mit einer Sprengkraft von unfassbaren 57 Millionen Tonnen TNT-Äquivalent. Sie erzeugte die verheerendste jemals von Menschen verursachte Explosion, nebst einem Erdbeben von 5,2 auf der Richterskala.
In einem späteren Interview erläuterte Sacharow, dass die sogenannte Zar-Bombe ursprünglich sogar mit der doppelten Sprengkraft konzipiert wurde. Er sah darin jedoch wohl keinen Sinn und beließ es deshalb bei besagten 57 Millionen Tonnen. Ob er in Folge des Eindrucks dieser gewaltigen Detonation und der Einsicht in die absolute Sinnlosigkeit solcher Waffen, zum Dissidenten wurde, und ob deshalb ein Preis für geistige Freiheit nach ihm benannte wurde, weiß ich ad hoc leider nicht. Kann aber jeder selbst googeln, wenn er mag.
Die Sprengkraft der smarten Atomwaffen des 21. Jahrhunderts ist erfreulicherweise deutlich moderater. Zu beurteilen, ob dies angesichts des weltweit vorhandenen Arsenals von umgerechnet einer Tonne TNT-Äquivalent pro Erdenbewohner, unbedingt einen begrüßenswerten Trend darstellt, sei den geschätzten Leserinnen und Lesern überlassen. Bereits 1981 stellte die Theologin Uta Ranke-Heinemann im Rahmen einer Rede hierzu die provokante Frage, woher man denn Bitteschön die 100 Milliarden Menschen nehmen wolle, die durch diese geballte Sprengkraft vernichtet werden könnten. Vielleicht haben die sogenannten Atommächte USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien, Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea ja darauf eine Antwort. Wer weiß?
Aber es gibt ja zum Glück noch eine friedlichere Nutzung der Kernenergie, nicht wahr? Für den Fall der Bundesrepublik, muss es allerdings korrekt heißen: Es gab eine friedlichere Nutzung der Kernenergie. Denn die letzten drei von ursprünglich 37 kommerziell betriebenen Kernkraftwerken, wurden per Atomausstiegsgesetz am 15. April 2023 heruntergefahren und vom Netz genommen. Übrigens, ein Gesetz, das durch die vierte und letzte Bundesregierung unter der Ägide von Kanzlerin Angela Merkel beschlossen wurde. Irgendwie war, nach dem Beinahe-GAU in Three Mile Island in Harrisburg und nach jeweils einem zünftigen, fetten GAU in Tschernobyl und Fukushima, einfach die Luft raus…trotz des hysterischen „weiter-so“ Trommelns hunderter Lobbyisten. Beim Beinahe-GAU in Three Mile Island trat zwar keine Radioaktivität aus, die US-Anlage wurde lediglich von einem zig-Milliarden-Dollar-Investment, in eine innerlich gechillt vor sich hin glimmende Ruine für die Nachwelt transformiert, wie es im Neusprech so schön heißt. An den Folgen der gewaltigen Explosionen von Tschernobyl und Fukushima, werden allerdings noch die Ururenkel unsere Ururenkel ihre strahlend helle Freude haben.
Denn selbst ohne spektakuläre Events dieser Art, ist die friedlichere Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik, nach bisher 300 Milliarden € an bereits gezahlten Subventionen, ein volkswirtschaftlicher Rohrkrepierer erster Güte, denn die Folgekosten laufen nämlich komplett aus dem Ruder. Allerdings nicht für die ehemaligen Anlagenbetreiber, sondern für die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Denn RWE, EnBW, EON und Vattenfall haben sich ja mit einer überschaubaren Einmalzahlung bekanntlich einen schlanken Fuß gemacht, sich dadurch en passant von ihrem lästigen Atommüll getrennt und den tödlich giftigen Schrott generös der Bundesrepublik überlassen, sprich: Micheline und Michel. Wem auch sonst?
Momentan lagern auf deutschem Boden rund 15.000 Tonnen hoch radioaktiven Mülls aus abgebrannten Kernbrennstäben, zum Teil sogar in ziemlich fragilen Leichtbauhallen! Je zehn Tonnen davon in einem von insgesamt 1.500 Castoren, die pro Stück mit 2 Millionen € zu Buche schlagen. Wir reden somit von schlanken 3 Milliarden €…zumindest mal für den Anfang! Produziert werden diese Behälter übrigens von der GNS Gesellschaft für Nuklear-Service mbH, einem Unternehmen, das wiederum RWE, EnBW, EON und Vattenfall gehört. Ob diese merkwürdige Koinzidenz ebenfalls mit Lises langem Schatten zu tun hat, und ob uns der Appendix „mbH“ (mit beschränkter Haftung) bei der GNS, dereinst mit Schmackes auf die Füße fallen wird…? Wer weiß?
Wie dem auch sei: Da besagte Castoren nach längstens 60 Jahren ihre Strahlenschutzfunktion eingebüßt haben und die Grätsche machen, müssen sie danach in noch größere Behälter eingedost werden. Und 60 Jahre danach wiederum in noch größere, danach wieder in noch größere, danach wieder in noch größere, danach wieder in noch größere…wie die berühmten Matrjoschka-Puppen, nur eben andersherum. Zwar nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, aber zumindest für die nächsten 17 Millionen Jahre. Dann wäre schon mal die Hälfte des hochgiftigen, radioaktiven Jod-129 zerfallen. Bei Uran-238 müssen wir uns allerdings noch einen Tick länger gedulden. Dessen Halbwertzeit beträgt nämlich rund 4,5 Milliarden Jahre. Auszurechnen, wie oft die 1.500 Castoren bis dahin umgepackt werden müssen, beziehungsweise die exzessiven Kosten dieser Sisyphus-Arbeit, sei ebenfalls den geschätzten Leserinnen und Lesern überlassen
Alleine diese lästige Erbsenzählerei, lässt die immer wieder gerne aufgetischte Mär von der billigen Atomenergie in einem…nun ja…etwas anderen Licht erscheinen. Bedenkt man dann noch die blutigen Kriege um die globalen Lagerstätten, die gewissenlose Umweltzerstörung beim Uranerzabbau und den CO2-Fußabdruck der kompletten Produktionskette bis zum einsatzfähigen Brennstab, lässt dies die von der EU bescheinigte Nachhaltigkeit der Atomkraft, ebenfalls in einem…nun ja…etwas anderen Licht erscheinen.
Bedenkt man nun, dass die CDU unter ihrem Bundesvorsitzenden im dritten Anlauf, Friedrich Merz, in ihrem neuen Grundsatzprogramm vehement ein Comeback der Atomkraft fordert, und dass der Bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende in Personalunion, Markus Söder, am 15. April 2023 in einem mutmaßlich populistischen Vollrausch sogar davon delirierte, den abgeschalteten Meiler Isar II in Eigenregie weiterbetreiben zu wollen, obwohl selbst PreussenElektra schulterzuckend bis dankend ablehnte, fürchte ich, dass Lises langer Schatten uns noch sehr, sehr lange beschäftigen wird. Zwar nicht unbedingt nuklear-physikalisch, aber umso mehr in Richtung intellektuelle Dysfunktion einiger Protagonisten aus dem technischen Tal der Ahnungslosen.
Als finalen und bitteren Treppenhauswitz der Geschichte, könnte man noch den Umstand bezeichnen, dass die AfD unter ihrem Ehrenvorsitzenden Alexander (Nomen est Omen) GAU-Land, ebenfalls eine Renaissance der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland fordert. Also ausgerechnet die ideologischen Enkel jenes rassistischen NSDAP-Packs, das Lise Meitner damals nach dem Leben trachtete und sie ins Exil trieb.
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