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Geschichten

Links, rechts und das andere links

Es war vor rund 10 Jahren, da wollte Rouven, mein damals 12jähriger Sohn, witzig sein.
Auf irgendeine Scherzfrage antwortete er: „…oder hältst du mich für blöd, ich bin doch nicht so doof, daß ich links und rechts verwechsle!“

Das allein war noch nicht witzig, aber bei ‚links‘ hob er die rechte Hand und bei ‚rechts‘ die linke.

So gesehen, war es dann doch sehr komisch. Für uns vor allem, denn normalerweise hat er zum Witzeerzählen soviel Talent wie unser Hund, auch wenn er selbst da anderer Meinung ist.

Deshalb haben wir auch alle gelacht und fanden das wirklich lustig.
Nur Anke, meine Frau nicht.
Sie saß da, starrte zuerst ihren Sohn an und dann mich.
In ihren Augen lag völlige Verständnislosigkeit.

Was gab es an diesem Scherz nicht zu verstehen?

Doch dann wurde mir klar, daß es sich bei Anke ja völlig eindeutig um eine Frau handelt und daß sie einen Witz, in dem Links und Rechts verwechselt werden, gar nicht verstehen kann.
Sie ist, wie jede Frau, tief in den Ganglien ihres Gehirns so programmiert, daß Links und Rechts keine Bedeutung haben und automatisch verwechselt werden.

Neulich auf der Autobahn: Anke sitzt neben mir mit der Straßenkarte auf den Knien und soll mir sagen, wann ich nach Kreuzbach abbiegen muß.
Eigentlich habe ich ja ein Navigationssystem, und ich kann auch die Hinweisschilder lesen, aber ich muß Anke irgendwie beschäftigen.

Da meine Allerliebste über den Orientierungssinn einer geköpften Brieftaube verfügt, schlägt sie den Straßenatlas immer bei Flensburg auf und sucht dann, an der längsten Autobahn entlang, grob unser Ziel.
Die längste Autobahn kann auch schon mal der Rhein sein, oder die Donau, oder die Wolga…
Aber ist sie beschäftigt und hält wenigstens für ein paar Minuten mal die Klappe.

Ich hab schon Leute mitgenommen, die stundenlang neben mir im Auto geschlafen haben. Unsere Tochter kann sich während der Fahrt die Nägel lackieren.
Jedenfalls fanden alle, daß ich sehr ruhig und souverän fahre.
Knapp 40 Jahre ohne einen Unfall sprechen auch eine deutliche Sprache, finde ich.

Nur Anke kann das nicht.
Eine Frau, die immer und überall auf der Stelle einschlafen kann, sitzt neben mir im Auto und fährt mit.
Ihre Füße suchen ständig die imaginären Pedale, ihr Oberkörper ist stets leicht vorgebeugt und insgesamt macht sie einen sehr angespannten Eindruck.
Fahre ich, ihrer Meinung nach, mal zu dicht auf, stemmt sie Beine und Arme steif nach vorne und zieht hörbar die Luft durch die Zähne.
Kommt an einer Autobahnauffahrt jemand etwas zu schnell von rechts, zuckt sie zusammen und sagt so etwas wie: „Auweia, tsssss, schschsch…“

Immer wieder wirft sie kritische, prüfende Blicke auf den Tacho, so als ständige Mahnung, nur ja nicht zu schnell zu fahren.

Tatsächlich ist es aber so, daß sie findet, daß ich sehr gut Auto fahre und im Grunde ist sie sehr zufrieden mit meiner Fahrweise.
Aber da ist irgendetwas in ihrem Blut, das sie in diese Anspannung versetzt, vermutlich ist es Paprika – ihre Vorfahren stammen ja irgendwo aus der Puszta.

Immerhin habe ich den Trick mit dem Straßenatlas entdeckt und seit sie Potsdam bei München sucht, habe ich Ruhe neben mir.
Jetzt sind wir also wieder einmal auf der Autobahn unterwegs und sie schaut in die Karte. Auf einmal sagt sie: „So, in etwa 500 Metern kommt Kreuzbach, da mußt du links runter.“

„Wie links?“

„Ja links eben.“

„Auf der Autobahn kann man nicht links abbiegen.“

„Seit wann denn nicht mehr? Ich bin immer links abgefahren.“

Ich deute mit meiner Hand auf das inzwischen aufgetauchte Hinweisschild, das eindeutig nach rechts zeigt und sage: „Deshalb!“

„Also links, sage ich doch!“

„Das ist aber nichts links, sondern rechts“, beharre ich und fahre rechts nach Kreuzbach ab.

Doch so leicht kann man (m)eine Frau nicht aus der Ruhe bringen. Sie sagt: „Ich meine ja auch das andere Links.“

Und dann fügt sie noch hinzu: „Du bist ein elender Dippelschisser!“, und schiebt ihre Lippen mal wieder schmollend nach vorne.

Ein Dippelschisser ist im Idiom meiner Frau und ihrer ansonsten eingeborenen Umwelt ein Mensch, der immer ganz genau ist, auf seiner Meinung beharrt und andere immer sofort auf ihre Fehler hinweist.
Wörtlich übersetzt bedeutet Dippelschisser soviel wie ‚Pünktchenscheißer‘, kennzeichnet also jemanden, der sich auch um ganz kleine Kleinigkeiten kleinlich kümmert.

Gott sei Dank hat Anke ja gar nichts von so einem Dippelschisser, sie doch nicht, niemals!

Ich habe mich aber in den 600-Millionen Jahren unserer Ehe daran gewöhnt, daß ich immer genau dann als Dippelschisser verleumdet werde, wenn ich mal wieder Recht hatte.
Das kann sie nämlich überhaupt nicht haben.

Beispiel? Okay:
Wir halten bei McDonalds, weil ich Hunger habe. An der Eingangstür steht deutlich ‚Drücken‘ und ich weiß schon was kommt. Anke wird an der Tür ziehen. Deshalb sage ich, als ihre Hand den Türgriff erreicht: „Drücken, Anke, drücken!“. Und was macht meine Frau?

Was macht sie?

Sie zieht!

Denn Männer, genauer gesagt Dreibeine, sind unpraktisch und unlogisch und wahrscheinlich hat so ein unpraktisch veranlagter Mann dieses Drücken-Schild angeklebt, nur um die Frauen zu ärgern.

Natürlich geht die Tür nicht nach außen auf und man muß tatsächlich drücken. Anke quittiert das sofort und ohne mich eines Blickes zu würdigen mit einem verächtlichen „Dippelschisser!“.

Ein anderes Mal gehen wir in ein Einkaufszentrum. Modern wie es ist, hat es am Eingang eine automatische Drehtür. Und die dreht sich rechts herum.

Ich merke schon als wir noch 10 Meter entfernt sind, daß meine Frau links herum rein will.
Ich sehe das irgendwie ihren Füßen an, vielleicht liegt es aber auch an ihrem kämpferisch nach vorn gereckten Kinn.
Natürlich möchte ich meine Frau davor bewahren, von den Türflügeln zermalmt zu werden und sage: „Rechts herum!“

Sie wirft mir nur einen verächtlichen Blick zu und mit einer unglaublichen Vehemenz, drückt meine Frau gegen den von links auf sie zukommenden Türflügel.
Sie entwickelt Kräfte, wie sie nur die weiblichen Abkömmlinge wilder Naturvölker entwickeln können.
Und was macht die Tür?

Sie gibt nach!

Zwar ertönen im selben Moment mehrere Sirenen und rote Warnlichter blinken lustig dazu, doch Anke hat drei Türflügel einfach weggefegt und dreht sie sich nur kurz zu mir um und sagt: „Siehste, geht doch!“

Ich bin aufgrund dieser Vorkommnisse mittlerweile fest davon überzeugt, daß es vielleicht doch keine Fehlschaltung im weiblichen Gehirn ist, die sie dazu veranlasst, so zu handeln.
Es ist die pure Auflehnung der Frauen gegen das männliche rechts-links-Diktat!

Oder haben sie schon einmal eine Frau gesehen, die beim Betreten einer Damentoilette jemals die Tür falsch bedient hätte? Nein! Hier sind sie in einem nur für Frauen vorbehaltenen Bereich und schon funktioniert das mit dem Links und Rechts sofort und zuverlässig.

Es ist also definitiv kein Gendefekt, sondern ein kleines Teufelchen, das da im weiblichen Gehirn sein Unwesen treibt.

© 2006

Geschichten

Der erfolgreiche Buchautor Peter Wilhelm veröffentlicht hier Geschichten, Kurzgeschichten, Gedanken und Aufschreibenswertes.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 10. August 2016 | Peter Wilhelm 10. August 2016

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