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Ich will meinen eigenen Beamten

frau ruckdäschl

Ich bin ja jetzt in einem Alter, in dem man beginnt, von früher zu erzählen. Und, oh Schreck, ich bemerke eine Tendenz, zu sagen, daß früher alles viel besser war. Wie hat mich das bei meinen Eltern aufgeregt! Ich fand früher immer, daß ich in einer ganz tollen Zeit lebe und konnte mir gar nicht vorstellen, daß die nahezu mittelalterlichen Umstände, von denen meine Eltern erzählten, sie mit nostalgischen Gefühlen erfüllten. Es muß wirklich etwas mit dem Alter zu tun haben. Mittlerweile finde ich, das alles zu hektisch ist, daß zu viele Autos herumfahren und, oh Graus, ich merke zunehmend, daß mich bestimmte technische Entwicklungen nicht mehr interessieren. Dazu gehören zum Beispiel MP3-Player, I-Pods und Handys mit Radio.

Manche Sachen fehlen mir auch. Und was mir ganz besonders fehlt, ist mein beamteter Briefträger. Wie war das denn früher? Da hat man als junger Mann „bei der Post“ gelernt, hat alle Stationen von der Pieke auf durchlaufen, wurde irgendwann als Beamter vereidigt und machte forthin seine Arbeit sorgfältig, mit Würde und vor allem ordentlich. Wenn man Glück hatte, wurde man irgendwann Oberpostschaffner im mittleren nichttechnischen Dienst und durfte sich auf eine chronische Briefträgerschulter und seine lausige Pension freuen. Ja, und was ist heute? Heute bringen mir Angestellte (?) dreier verschiedener Unternehmen meine Post. Der eine ist von einem Zeitungsverlag, kommt auf dem Motorroller und sieht aus, wie Rasputin auf der Wanderschaft. Diese Zeitungspostler bringen ausschließlich Behördenpost und in manchen sozialen Brennpunkten, so heißt es, bekommen die regelmäßig „ein paar auf die Fresse“, was sich erst da gebessert hat, als die häßlichen gelben Briefe mit Zustellungsurkunde, die Gerichtsbescheide und Mahnbescheide enthalten können, nicht mehr persönlich übergeben werden mußten. Aber so richtig lange scheint keiner da arbeiten zu wollen, denn mir scheint es so, als würde der Rasputin alle paar Wochen durch einen neuen Rasputin ausgetauscht. Das zweite Unternehmen ist die gelbe Post. Das sind die die früher mal Beamte waren. Der Mann, der da kommt, hat auch noch so etwas wie ein Beamtenflair. Aber wenn der mal Urlaub hat, kommt auch da ein Rasputin, nur eben in blau/gelb. Das dritte Unternehmen kommt sogar mit dem Auto. Offenbar müssen die amen Zusteller dieser Firma mit ihrem Privatauto die Post austragen, denn da kommen immer total alte Schüsseln, eine davon sogar mit kaputtem Auspuff. Da hört man mittwochs schon, daß freitags dieser Postmann kommt. Die drei Rasputine kommen über den ganzen Tag verteilt, der eine ganz früh um halb Neun, der nächste irgendwann mittags und der letzte gegen 17 Uhr. Es war mir bislang nicht möglich, eine logische Reihenfolge herauszufinden. Offenbar sprechen die sich irgendwie ab, um die Leute zu verwirren. Meiner Theorie zur Folge machen die das, damit der Motorroller-Rasputin nicht so oft auf die Fresse bekommt, weil keiner mehr genau weiß, wann der kommt. Neulich finde ich einen Brief in meinem Briefkasten vor, der an folgende Adresse gerichtet ist: Herrn/Frau/Fräulein/Firma Ikbul Yilmadran Offizienstr. 34 Es war noch ein benachbarter Ort mit Postleitzahl angegeben, aber das tut hier nichts zur Sache. Jedenfalls bin ich nicht Herr Yilmadran und unsere Straße heißt auch ganz anders. Was mache ich jetzt mit so einem Umschlag? Ich kenne keinen Ikbul Yilmadran und weiß auch nicht, wo die Offizienstraße sein könnte. Anhand des Umschlags kann ich auch nicht erkennen, von welchem Rasputin er zugestellt worden ist, denn da wo oben immer die Briefmarke klebt, ist bloß ein nichtssagender Strichcode. Auf der Rückseite ist ein Absender aufgedruckt: PS GmbH, Postfach, München Auch das ist nicht besonders ergiebig. Ich beschließe, am nächsten Tag die Rasputine zu fragen. Doch dieses Unterfangen gestaltet sich schwieriger als erwartet. Der mit dem Motorroller ist durch einen Kollegen ausgetauscht worden, der auf einem lautlosen Fahrrad kommt, der Blau-Gelbe kommt sowieso zu Fuß und der mit dem kaputten Auspuff muß wohl bei ATU oder so gewesen sein. Jedenfalls kommen und gehen sie, ohne daß ich das mitbekomme. Am zweiten Tag passe ich besser auf und erwische den mit dem reparierten Auspuff, doch der ist wenig kooperativ: „Isse nixe von mir.“ Ich sage: „Vorgestern, sie müssen doch wissen, ob sie den vorgestern hier eingeworfen haben.“ „Vorgestern ich frei.“ Na toll! Ich kürze das hier einmal ab. Im Verlaufe einer Woche gelingt es mir, alle verfügbaren Rasputine zur Rede zu stellen. Keiner hat diesen Brief bei mir eingeworfen. Der Eine schwört bei Allah, der andere kennt solche Strichcodes gar nicht und der Dritte behauptet entrüstet, sowieso niemals Fehler zu machen. Was soll ich also tun. Ich bin eben nunmal nicht Herr Yilmadran und möchte den Brief von der PS GmbH gerne loswerden. Anke meint, ich würde zuviel Energie darauf verwenden und empfiehlt, den Brief einfach ins Altpapier zu werfen. Das bringe ich aber nicht übers Herz, denn vielleicht steht da ja eine wichtige Botschaft drin, auf die eben dieser Herr Yilmadran schon lange wartet. „Quatsch, das ist bestimmt nur Reklame“, beschließt die Allerliebste und schwupps, liegt der Brief in der Altpapiertonne. Am nächsten Morgen will ich gerade das Haus verlassen, da ereilt mich mein Schicksal in Person der unvermeidlichen Frau Ruckdäschl. Explosionsartig fliegt die Wohnungstü unserer selbsternannten Concierge auf und sie wedelt mir mit dem Yilmaz-Brief unter der Nase herum. „Sie hawwe da ä Brief fortgeworfe! Isch hebb des genau gesehe, Ihr Frau war die Letzt wo an der Papiertonn war und der muß fer Sie sei, der Brief.“ Na prima, jetzt halte ich den Yilmadran-Brief schon wieder in Händen. Bitte, wie wird man so einen Brief wieder los? Karl-Heinz, ein Gast meines Lieblingskaffeehauses, dem ich von meinem schweren Los berichte, meint, ich solle den Brief doch einfach in irgendeinen Briefkasten werfen. „Sollen die sich doch selbst drum kümmern. So bringst Du den wieder in Umlauf und mit viel Glück landet er dann bei diesem Yilmadran.“ Ernst, der sonst eher nur schweigend an seinem Kaffeehaustisch sitzt, schlägt vor: „Mein Gott, wenn es Dir so wichtig ist, kannst Du doch auch eben in den Nachbarort fahren und den Brief in der Offizienstraße 34 bei diesem Yilmadran einwerfen.“ Das klingt gut, aber Karl-Heinz gibt zu bedenken: „Die könnten Dich aber für einen Rasputin halten und dann kriegst Du vielleicht ein paar auf die Fresse.“ Ich wähle die dritte Variante, die mir spontan einfällt, ich bringe den Brief auf das Fundbüro. Die drei Damen vom Amt lachen mich aus. „Sie können doch einen Brief nicht als Fundsache abgeben“, sagt eine etwas füllige Amtsdame. Die beiden anderen nicken beipflichtend. Ich erkundige mich vorsichtig: „Warum nicht?“ „Weil noch nie jemand einen Brief als Fundsache abgegeben hat.“ „Wenn ich jetzt draußen auf der Straße die Krone der Königin von England finde und hier abgebe, was vermutlich auch noch nie jemand gemacht hat, würden Sie die auch nicht annehmen?“ „Das ist ja auch was ganz anderes!“ „Wieso?“ Diese Rückfrage bringt die drei Damen vom Amt ins Grübeln. Sie tuscheln und ziehen sich zur Beratung ins Nebenzimmer zurück. Wenig später legt mir die Füllige einen Stapel Formulare hin: „Ausfüllen, bitte!“ Na siehste, geht doch! Schon eine gute halbe Stunde später verlasse ich die Gemeindebehörde mit einem Durchschlag meiner Fundanzeige in Händen und bin froh, den Brief an Herrn Yilmadran endlich losgeworden zu sein. Zumindest bin ich ihn bis zum 3. April 2008 los, dann werde ich nämlich meine Fundsache als Eigentum übernehmen dürfen, vorausgesetzt Herr Yilmadran holt ihn nicht inzwischen ab.

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Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 3. April 2007 | Revision: 26. November 2012

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