Geschichten

Ich bin eine Insel

Strand Oixabay

Ein Versuch! Mich zu erklären! Ich bin ein Insel. Gleichzeitig lebe ich auf meiner Insel. Und die Insel ist nicht fest verankert. Sie schwebschwimmt so im Universum um andere Inseln rum. Meine Insel hat viel Strände. Hier ein paar davon (es werden noch mehr, sicher!): Sex, Vergangenheit, Spiritualität, Arbeit, Ehrenamt, Trauer, Familie, Sucht, Liebe, Vergnügen, Erholung, Lüge, Angst…

Warum Strände? Warum nicht Parzellen? Weil an jedem Strand, zu jeder Zeit, neue Erfahrungen angespült werden. Auch wenn ich mich gerade gar nicht an dem Strand befinde. Denn ich kann mich gar nicht nur an einem Strand aufhalten. Weil ich gleichzeitig diese Insel bin.
Warum ich das aufschreibe? Weil ich andere Inseln suche, die mich verstehen, zu mir passen, mich lieben – mich sie lieben lassen.
Die mir meine Freiheiten lassen und mich begleiten möchten. Deren eigene Inseln so nah neben meiner schwimmen, dass wir uns jederzeit leicht durch seichtes Wasser besuchen können.
 Vielleicht suche ich auch nur die eine Insel. Obwohl ich derzeit nicht glaube, dass mir eine andere Insel allein alles geben kann, was ich ich mir wünsche.
 Das ist ein Grund. Der andere, ein anderer ist eben genau der: dass ich mir selbst dessen bewusst werde, was ich will. Jetzt! Im Moment! Weil, dass sich das ändert, was meine Wahrheit ist, ist mir bewusst.
 Ein weiterer Grund: Ich möchte Mut machen. Hinterfragt, was ihr für euch wollt. Traut euch, euer Leben zu ändern. Es lohnt sich!

Ich habe es getan und neue Strände entdeckt. Andere (ohne die ich mir mein Leben nicht vorstellen konnte) besuche ich nur noch selten. An einigen laufe ich irgendwie nur noch vorbei. Sie sind noch da. Sicher sind sie das. 
Da ist einer, den ich nicht mehr betreten möchte. Aber er ist wichtig für mich. Ich gehe gelegentlich zu ihm und betrachte ihn. Ich erzähle von ihm. Warne andere vor ihrem eigenen Strand. Denn haben, haben tun ihn alle. Den Strand Sucht.

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Ich habe lange an ihm gelebt. Zu lange? Ich weiß nicht… ohne ihn wäre ich nicht wie ich bin. Und ich beginne gerade, mich genau so zu akzeptieren und zu mögen wie ich bin. Also war er wohl schon irgendwie gut für mich. Aber ich würde niemandem raten, seine Zelte dort aufzuschlagen.
 Entdeckt habe ich ihn wohl so mit elf Jahren. Mit 15 war ich schon sehr regelmäßig dort. Mit 17 habe ich dann dort gelebt. Erst mit 40 habe ich die Zelte wieder abgeschlagen.

Natürlich war ich nicht nur dort am Strand. Eine Zeit lang war ich immer mal wieder woanders. Ehe, Arbeit, Lüge, Angst; da habe ich mich schon auch aufgehalten. Und an anderen Stränden auch. Aber gelebt, gelebt habe ich dort.

Wie ich den Strand gefunden habe. Wie es dort war. Wie ich ihn verlassen habe. Davon erzähle ich heute in Präventionsprojekten an Schulen. Und hoffe, die Teenies hören mir zu. Erkennen ihren Strand, wenn sie ihn bei sich finden. 
Bei mir lag er gleich neben Angst. Und egal, was auf den großzügig verteilten Strandtüchern steht: Gefallen! Zusammen! Stärke! Und obwohl es große, kuschelige, gemütliche Strandtücher sind. Es ist ein scheiß Strand. Die Handtücher verblassen und werden rissig. Nur auf den Waschzetteln steht dann noch das Kleingedruckte: „Wir haben dich!!! Liebe Grüße, Deine Alkoholsucht!“. Oder Drogen-, Spiel-, Mager-, Sex- oder Arbeits-Sucht … Sucht euch was aus.
Mein Weg von dort weg ging über Therapie. Für mich ein klasse Strand. Die Gedanken daran waren ein wenig beängstigend. Aber ich kann schon sehr dankbar sein, ihn gefunden zu haben. Und dass meine Inseln um die große Insel Deutschland mit Angeboten in dieser Richtung schippern.

Anfang 2012 war ich für vier Monate dort. War ein anstrengender Strand. Mit dem Sand dort habe ich Fundamente schaffen dürfen.
 Ende 2014 habe ich den Strand Therapie nochmal besucht. Da stand ich vor Sucht und da lagen wieder so kuschelige Tücher. Bewohner von nahe gelegenen Inseln haben das glücklicherweise gesehen und haben mich davon überzeugen können, dass die Idee mit Sucht dämlich ist. Bin dann rüber zu Therapie. 
Bei meinem zweiten Besuch von Therapie wurde mir der Strandkorb ‚Depression‘ zugeteilt. Von dem Strandkorb aus habe ich auf einmal ganz viele andere Strände von anderen Inselbewohnern, und die Bewohner in ähnlichen Körben gesehen. Das war eine tolle Erfahrung: „Ich bin nicht allein… es geht nicht nur mir so.“ Es wurde ein Strandaufenthalt mit ganz wichtigen Erkenntnissen und Erlebnissen.
Erlebnisse kann man übrigens an jedem Strand finden. Das ist ähnlich wie mit Glas im Sand der Wüste. Man ist am Strand, aus heiterem Himmel schlägt ein Blitz ein, und Zack… da liegt ein Erlebnis und man stolpert drüber.

Ich saß zum Beispiel an Therapie in meinem Strandkorb ‚Alkoholprobleme‘ Nicht in dem ‚Drogenprobleme‘. Weil, mit denen hatte ich ja kein Problem. Ich doch nicht. Die habe ich ja nur so dazu genommen.
 Naja, jedenfalls fragte mich mein Therapeut so von seinem Korb aus: „Ach, und wenn Sie hier raus sind… dann nehmen Sie also mal so eben eine Line Speed und lassen das Bier, das es auf der Party dazu gibt, einfach stehen?“ Dann kann man die Augen zu machen und sagen: „Ja! Klar!“ – oder man kann ehrlich zu sich selbst sein. 
Dann lässt man die Augen auf und sieht den Blitz ganz klar und deutlich kommen… „Dein Leben… so wie du es kanntest… was du kanntest… deine Gewohnheiten… damit isses vorbei, wenn du das hier durchziehen willst!“ Das ist ein Erlebnis! kann ich euch sagen.
 Oder du erfährst einen Tag vor deinem Geburtstag, dass deine Frau von einem anderen schwanger ist. An deinem Geburtstag bittet sie dich um die Scheidung… Blitz-Zack-Erlebnis.

So Sachen passieren auf meiner Insel. Sehr befreiend. Da finde ich zu mir selbst. Ganz ohne mich gesucht zu haben.

Mich suchen… damit beschäftige ich mich jetzt öfter. Seitdem ich mich nicht mehr verstecke. Dann finde ich mich manchmal. In Texten von Eckhart Tolle. Oder in einer Work von Byron Katie. Oder in Gesprächen mit Gott. Oder woanders. Überall dort habe ich mich gefunden. Finde mich immer öfter dort. Das ist sehr schön. Aber auch schwierig. Denn Inselbewohner, die auch Zeit am Strand Spiritualität verbringen, sind nicht so zahlreich vertreten. Oh, ich finde sie auf Facebook. Aber die Inseln sind eher weit verstreut. Da schwimmt man nicht so eben mal kurz rüber. Und selbst wenn… so ein Inselich wie ich, mit solch offenen Stränden und solchen Strandkörben… das ist doch schon ein bisschen suspekt. Da sind andere Inselbewohner vorsichtig.
 Ich muss die Strände und Körbe ja nicht gleich jedem zeigen? Doch! Bei diesen Themen kann ich nur mit offenen Karten spielen. Ruckzuck finde ich mich sonst an meinem Lügenstrand wieder. Das ist zwar kein Strand der irgendwie zum Verweilen einlädt. Aber ich komme da immer so schlecht wieder von weg. Vor allem belüge ich mich dort immer wieder selbst… klingt komisch!?! Ist aber so!
Dabei fängt es meist ganz harmlos an. Man sagt: „Ich liebe dich.“ oder: „Nein, das macht mir nichts aus.“ oder sogar nur: „Ja.“ und schön hängt man im Treibsandstrand Lüge fest. In den Momenten, wo man sowas sagt, meint man es vielleicht sogar so. Doch bei näherer Betrachtung stellt es sich dann als falsch heraus. Das dann wieder richtig zu stellen kostet Kraft… und die habe ich halt nicht immer. Deswegen versuche ich Lüge zu meiden. Aber manchmal gelingt das nicht. Da sind dann so kleine, dahingewehte Treibsandflecken an anderen Stränden. Wenn ich sie sehe, lege ich ein Treibholzstück Wahrheit drüber. Wahrheit ist da hilfreich. Aber nicht immer sofort greifbar. Liegt oft zusammen mit dem anderen Treibholz Niederlage und Enttäuschung auf einem Haufen. Ehe man da das richtige greift, ist man schon in den Treibsand gedappt.

Das kann ich mir bei meinem Alkoholthema halt gar nicht leisten. Und deswegen werfe ich in dem Fall mein Wahrheitsholz vielleicht etwas zu weit und zu schnell vor mich. Da darf ich den Umgang mit bestimmt noch was lernen.
 Auf der anderen Seite… warum nicht so offen und ehrlich? Sollten Bewohner von anderen Inseln dadurch abgeschreckt sein, ist es ja nicht so, dass ich nicht zu ihnen passen würde. Sie passen halt nicht zu mir. Erspart mir sicherlich auch die eine oder andere Zeitverschwendung. Und läßt Raum für die passenden Inseln. Die gibt es, bestimmt. Bis sie am Horizont erscheinen bin ich halt noch manchmal allein. Die wenigen Inseln um mich herum haben halt auch ihre Strände – und andere Inseln um sich herum – um die sie sich kümmern müssen und mit denen sie Zeit verbringen. Sie können ja nichts dafür, dass ich nach meinem ersten Aufenthalt an Therapie entschieden haben mit meiner Insel in ganz neue Gewässer vorzudringen. Ich habe mit meiner Insel ja auch noch genügend zu tun.

Da ist ein Strand, auf dem ich öfter bin, wenn ich alleine bin. Trauer. Ein noch ziemlich unerforschter Strand meiner Insel. Wenn ich mal dort bin, sitze ich meist nur herum und spiele mit den Füßen im Sand. Oder schreibe so Zeug hier… das ist allerdings was ganz Neues. Eventuell gehört das Schreiben dazu, den Strand kennen zu lernen. Fühlt sich manchmal so an. Gerade eben auch. Erforschen muss/darf/will ich ihn. Da liegt noch einiges in dem Sand vergraben. Wahrscheinlich auch ein paar Erlebnisse.
Ich versuche auch, die Zeit allein zu genießen und die Gefühle, die da so hochkommen, anzunehmen und zuzulassen. Das klingt nur nach einem Widerspruch. Geht ja nicht ausschließlich um doofe Gefühle. Aber auch wenn die kommen. Annehmen. Zulassen. Nicht darin versinken! Nein! Mich im Selbstmitleid suhlen und alleine sterben will ich nur bei Männergrippe. Das hilft tatsächlich. Das Annehmen und zulassen.

Wenn beim Rumlümmeln auf der Couch so ein ‚Ichbinalleinundkeinerhatmichlieb‘-Gefühl kommt und ich es bewusst wahrnehme. Dann hilft das. So wie vorgestern, als ich von Trauer schrieb. Dann sage ich: „Ja,“ (leise! zu mir selbst! in Gedanken! meistens! der Kater guckt sonst so komisch) „so darfst du dich jetzt fühlen. Lehn‘ dich zurück und fühle es.“ Und dann fühle ich es. Und es lässt nach. Ganz ohne aktives Wegmachen. Das Wegmachen hat ja eh nie funktioniert.

Auch so Gedanken wie: „Du findest nie mehr eine vernünftige Arbeit.“ Die kommen einfach. Wie will man die wegmachen? Also lehn‘ ich mich zurück und gucke mir den Gedanken an. Gucke mir Arbeit an. Die schönen Erlebnisse, die da so rumliegen. Dann weiß ich… dann kommt das Vertrauen… da kommt wieder was.

Die Versuche in den letzten 3 Jahren haben mir halt gezeigt, was nicht mehr geht. Arbeit, in der Masse mehr zählt als Klasse. Zum Beispiel. Oder auch fremdgesteuerte Maßnahmen, die mich einfach nur wieder fit machen wollen. Arbeit neu zu beleben ist eines meiner derzeitigen Ziele. Einen Strandabschnitt finden, an dem ich mit meinen Erfahrungen einbringen kann. Echtes Leben und Lebendigkeit spüre. Ein gemeinsames Ziel. Bei dem es nicht nur darum geht, den Strand Geld zu verbreitern.

Geld ist bei mir ein kleiner Strand. Aber es ist Platz genug. Um sich einzurichten und zu leben. Ich kann da keine großen Sprünge machen. Da droht dann eine Landung am Strand Schulden. Den meide ich. Da habe ich lang genug gewütet und sehe die Spuren noch. Der braucht Pflege und keine Einschläge nach irgendwelchem Rumgehopse. Wenn da mal wieder alles in Ordnung ist, darf er auch gerne unter Schutz gestellt werden. Mit einem Schild. Kein Zaun. Ein Schild sollte reichen.

Dieser Text wurde von Andi geschrieben. Vielen Dank.

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    Geschichten

    Der erfolgreiche Buchautor Peter Wilhelm veröffentlicht hier Geschichten, Kurzgeschichten, Gedanken und Aufschreibenswertes.

    Lesezeit ca.: 14 Minuten | Tippfehler melden | Thomas von Görditz: © 18. März 2015 | Revision: 19. Oktober 2021

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