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Halloween – Die Lesung

Heute ist Halloween. Man erkennt das vor allem daran, dass der Kürbis in den letzten Jahren sehr zu Ehren gekommen ist und nun die kleinen Mäuerchen vor vielen Häusern unseres Dorfes ziert.
Und natürlich sieht man das daran, dass es jetzt in jedem Supermarkt Halloween Party-Artikel gibt.
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Davon muss auch der Besitzer einer Buchhandlung im Odenwald gehört haben. Er hielt es offenbar für eine sehr gute Idee, mich zu einer Lesung einzuladen, die er -einen Tag vor Halloween- als Gruselevent austatten wollte.

„Kommen Sie doch einfach in einem passenden Kostüm“, forderte er mich am Telefon auf.

„Nein, sowas mache ich nicht, das ist doch kindisch“, war meine Reaktion.

„Das wäre aber sehr schade, wenn Sie da nicht mitmachen, alle anderen Gäste die kommen, werden auch verkleidet sein.“

„Nun gut, ich spreche mal mit meiner Frau, vielleicht finden wir da etwas, was dem Anlass angemessen ist, mich aber nicht zu sehr verkleidet.“

„Sie werden sehen, das wird ein Riesenspaß!“

Anke, die Allerliebste, ist für jegliche Form des Verkleidens und Feierns sehr zu haben und hüpfte vor Begeisterung. Ich glaube, sie hat sogar vor Vergnügen in die Hände geklatscht.

Ich dämpfte ihre Vorfreude etwas indem ich sagte: „Mach mal langsam! Ich setze da bloß diesen schwarzen, spitzen Hut auf und fertig.“

„Ja, der Hut ist Klasse! Aber du musst unbedingt noch diese Perücke mit den langen weißen Fransenhaaren aufsetzen.“

Die Kinder, die ich bisher immer so geliebt hatte, fallen mir in erbärmlicher Weise in den Rücken und finden es auf einmal ganz toll, wenn ich auch noch den schwarzen Umhang anziehe und meine Tochter enterbt sich quasi selbst, als sie noch vorschlägt, sie könne den Papa ja ein bisschen anmalen.

Ich bin ein Schriftsteller, also ein Mann des Geistes und das Oberhaupt dieser Familie. Deshalb werfe ich sämtliche Autorität, über die ich verfüge in die Waagschale und lehne jegliches Ansinnen in dieser Richtung ab.
Das ist auch der Grund weshalb ich wenig später auf einem Stuhl in unserem Badezimmer sitze und mein herzallerliebstes Töchterlein mir blutrote Adern ins Gesicht malen darf.


Anke hat mich vorher weiß geschminkt und eigentlich sieht das Ganze hinterher ganz gut aus. Zumindest wird mich niemand mehr erkennen mit den weißen langen Haaren der Hexenperücke und dem spitzen, schwarzen Hut.
Warum sehen eigentlich meine Zähne immer so gelb aus, wenn mein Gesicht weiß geschminkt ist? Ich habe keine gelben Zähne!

Als ich wenig später im Auto sitze, um zum Ort des Geschehens zu fahren schaue ich mehrmals in den Rückspiegel und muss insgeheim selbst über mich lachen. Es sieht wirklich fürchterlich schaurig aus.

Es ist schon ziemlich dunkel, als ich an der Buchhandlung im vorderen Odenwald ankomme. Der Besitzer empfängt mich freundlich und findet es ganz Klasse, dass ich den Spaß doch mitmache. Er selbst hat sich eine falsche Nase und grauenvoll schiefe falsche Zähne verpasst.
Das sieht schrecklich aus und veranlasst mich zu der Bemerkung: „Na, Sie haben ja auch nicht mit Hässlichkeit gespart, nicht wahr?“

„Wie meinen Sie das?“ fragt der Buchhändler zurück und schnell deute ich auf eine Fledermausgirlande aus Papier, die in der Buchhandlung hängt. Au Mann, ist der gestraft, die Nase und die Zähne sind echt!

Die Allerliebste erklärte mir später, das liege in erster Linie daran, dass es dort im Odenwald ganze Täler gibt, in denen die Eltern aller Kinder seit Generationen immer Geschwister waren.

Trotz seiner Riesennase ist der Mann aber ganz nett und hat sich wirklich sehr viel Mühe gegeben. Offenbar hat er sogar meine Bücher gelesen und mir vorne am meinem Vorlesetischchen eine kleine Thermoskanne mit Kaffee nebst Tasse hingestellt und auf das obligatorische Glas Wasser verzichtet.
Das freut mich und das sage ich ihm auch. Er nickt und entgegnet: „Ich schenke ja nachher noch neuen Wein aus, den werden Sie nicht wollen, denn Sie müssen ja noch fahren.“

Dabei deutet er nach rechts und ich sehe dort ein Plastikfass und Dutzende Weinbecher.

Ich darf in seinem Büro warten, während die Gäste allmählich eintreffen. Durch den Türspalt beobachte ich, dass erstaunlich viele Leute kommen. Niemals hätte ich erwartet, dass ausgerechnet in einer Odenwaldgemeinde so viele Leute Interesse an meinen Geschichten haben könnten.
Allerdings, und das stimmt mich etwas verwundert, ist niemand von denen in irgendeiner Weise verkleidet, von den unglaublichen Nasen und Gebissen einmal abgesehen…
Schließlich kommt doch noch eine Frau mit einem langen schwarzen Umhang und einer falschen Katze auf der Schulter, sie sollte aber die Einzige bleiben. Die Einzige außer mir.

Etwa eine halbe Stunde muss ich warten, bis der Buchhändler mich endlich ankündigt. Die Leute klatschen sogar, als ich würdevoll heraustrete und gemessenen Schrittes, mich freundlich verbeugend, zu meinem Tischchen gehe und Platz nehme.

Ein paar freundliche Begrüßungsworte und ich beginne vorzulesen. Die Menschen hängen an meinen Lippen, es ist mucksmäuschenstill. Ich überschlage kurz und komme zu dem Ergebnis, dass etwa 40 Leute gekommen sind, das ist recht viel. Wenn jeder nur ein Buch kauft kommt das schon hin.

Es läuft alles wunderbar, die Leute lachen an den richtigen Stellen und als die Hauptpointe der Geschichte kommt, klopfen sie sich vor Vergnügen auf die Schenkel. Das freut mich, so leicht habe ich es nicht immer. Nach der ersten Geschichte, mache ich immer eine kleine Pause, lasse die Leute wieder etwas zur Ruhe kommen, blättere in meinem Buch, das ich dabei werbewirksam hinhalte und nach einem kurzen Hüsteln lese ich die zweite Geschichte. Die ist immer noch lustiger als die erste und wenn alles klappt, bringe ich die Menschen so zu wahren Begeisterungsstürmen.

Leider läuft das an diesem Abend anders. Ich bin mit der ersten Geschichte gerade fertig, rücke meine Brille zurecht und geniesse noch den Applaus, da stehen die ersten Leute in den hinteren Reihen auf. Es folgen die vorderen Reihen und alle orientieren sich nach rechts, wo der Buchhändler begonnen hat, den süßlichen neuen Wein in die großen Weinbecher abzufüllen.
Wenig später haben alle Wein und prosten sich lautstark zu.
Was sie so reden, verstehe ich nicht. Ihr Dialekt ist sehr ausgeprägt und ich kann nur dann folgen, wenn sie sich Mühe geben, wenigstens etwas Hochdeutsch zu sprechen.

Da ich mir nicht sicher bin, wie der Abend nun weitergeht, such ich den Kontakt zum Buchhändler, doch der hat keine Zeit, der Wein fließt in Strömen. Offenbar reichte diese eine Geschichte und bevor alle betrunken sind, könnte ich schon wieder zu Hause sein, wenn ich jetzt gleich losfahre. Außerdem komme ich mir mit meinem weiß und blutunterlaufen geschminkten Gesicht ziemlich lächerlich vor.

„Sie können doch noch nicht gehen“, ruft er mir zu, als er sieht, dass ich meine Sachen zusammenpacke. „Das Fest geht doch jetzt erst los, gleich kommen die Würste und die Brötchen.“
Das habe ich jetzt eingedeutscht, eigentlich sagte er:
„Bleiwe se doch noch ä bissel, glei kumme noch Worscht un Weck.“

Dabei rückt er mir mit einem großen Becher des neuen Weins so auf die Pelle, dass kommt, was kommen muss. Irgendjemand gibt ihm im Gedränge einen Stoß und schließlich landet die ganze süße, gärende Brühe auf meinem Hemd und meiner Hose.
Ich nehme das mit Humor, denn immerhin haben über 20 Leute, trotz Wein und Gedränge, eines meiner Bücher gekauft. Freundlich lehne ich sein Ansinnen ab und empfehle mich.

Die kühle Luft draußen auf dem Parkplatz tut gut. Aus der Buchhandlung dringt weinselige Stimmung und ein unglaubliches Stimmengewirr und ich bin froh, dass ich wegfahren kann.
Immerhin würde ich früh nach Hause kommen.

Doch ich komme nur acht Kilometer weit, da stoppt mich die rote Kelle eines grüngekleideten Wegelagerers. Man winkt mich nach rechts auf den Standstreifen. Die beiden Beamten nähern sich meinem Wagen, bleiben neben dem Seitenfenster stehen und warten bis ich es heruntergekurbelt habe.

„Fahrzeugpapiere und Führerschein bitte!“

„Bittesehr.“

„Haben Sie alkoholische Getränke zu sich genommen oder stehen Sie unter dem Einfluss von irgendwelchen Drogen?“

„Nein“, antworte ich wahrheitsgemäß.

„Na, dann steigen Sie doch bitte mal aus.“

In diesem Moment wird mir bewusst, welches Bild ich biete. Ich bin weiß-gräulich geschminkt, mit blutroten Adern rund um die Augen, habe eine weiße Langhaarperücke auf und stinke nach Wein wie ein Quartalssäufer.

In das eilends herbeigeschaffte Pustegerät der Polizei muss ich so lange, feste und mehrmals hineinblasen, dass ich befürchte, ich könnte die Batterien unten aus dem Gehäuse rausblasen. Warum geht das so schwer? Aber glücklicherweise zeigt es immer nur Null an.
Der eine Polizist klopft und schüttelt es, drückt nochmals ein paar Tasten und ich muss zum dritten Mal blasen. Wieder Null.
Der andere kommt mit meinen Papieren vom Streifenwagen zurück, auch da ist alles in Ordnung.
Kein Alkohol, die Papiere in Ordnung, der Wagen in einem Topzustand, die werden mich fahren lassen müssen.

Dieser Meinung schließen sich die Beamten aber leider nicht an. Nach kurzer Beratung, auch wieder im Dialekt, beschließen sie, ich müsse mit zu Wache kommen: Blutprobe!

„Hören Sie, ich habe wirklich nichts getrunken, mir hat nur jemand einen Becher mit Wein über die Klamotten gekippt, deshalb rieche ich so.“

„Es geht nicht darum, wie sie riechen, sondern darum, wie sie aussehen, man sieht doch, dass sie unter dem Einfluss von irgendwas stehen.“

„Ach das, das ist doch nur, weil Halloween ist“, versuche ich zu erklären.

„Halloween ist doch erst morgen“, belehrt mich der freundliche Büttel.

Es hilft alles nichts, ich muss mit ins 12 Kilometer entfernte Michelstadt auf die Wache. Immerhin darf ich mit meinem eigenen Wagen fahren und einer der Beamten fährt bei mir mit. Auf der Wache darf ich dann nochmals ganz genau erklären, warum ich so aussehe, wo ich herkomme und wo ich hin will.
Trotzdem bleibt es mir nicht erspart, vor der auf sieben Mann angewachsenen Gruppe unfreundlicher Grünbeamter, mit den Fingerspitzen meine Nase zu berühren und über eine weiße Linie zu laufen.

Da ich alle gestellten Aufgaben mit Bravour bewältige, kommen die Grünen dann nach einer ganzen Stunde schließlich doch dahin, dass sie mir meine Papiere wiedergeben und mich mit einem lapidaren „Gute Weiterfahrt noch“ wieder abziehen lassen.
Draußen hat es inzwischen angefangen zu regnen und ich werde pudelnass, bis ich an meinem Auto ankomme.

Es ist schon gegen Mitternacht, als ich endlich wieder zu Hause bin. Die Allerliebste schaut mich verwundert an und lauscht schweigend (!) meiner Erzählung.

Statt mich aber zu bedauern, meint sie abschließend nur: „Kein Wunder dass du so spät kommst, wenn du in Michelstadt noch auf den Strich gegangen bist.“

Haha!

Weiber!

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Da das Dreibeinblog schon über 20 Jahre existiert, wurde die Blogsoftware zwei-, dreimal gewechselt. Dabei sind oft die bereits vorgenommenen Kategorisierungen meist verlorengegangen.

Deshalb stehen rund 2.000 Artikel in dieser Rubrik hier. Nach und nach, so wie ich die Zeit finde, räume ich hier auf.

Lesezeit ca.: 12 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 26. November 2012 | Peter Wilhelm 26. November 2012

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