Nach einer Definition der WHO (Weltgesundheitsorganisation), einer Unterorganisation der UNO (Vereinten Nationen), bedeutet Gesundheit „ein Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen“. Diese gleichermaßen sperrige wie schwammige Definition ist ein Blankoscheck für die sogenannte Gesundheits-Industrie und ein gefundenes Fressen für die Paragraphen-Köche aus deren Reihen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist ja bekanntermaßen ein Mitglied der UNO und sollte sich somit deren Statuten verpflichtet fühlen, gerade im Hinblick auf die Gesundheit der Bevölkerung. Deshalb lohnt sich ein genauer Blick auf das bundesrepublikanische Gesundheitswesen, um zu analysieren, wie weit es dem Zustand der „Gesundheit“ zuträglich ist. Denn offensichtlich läuft etwas gehörig schief!
Deutschland geht es nämlich nicht gut. Auch wenn die Bundeskanzlerin nicht müde wird, dies ständig wiederzukäuen. Meist ungefragt, aber stets mit Nachdruck und wichtiger Geste. Der tiefere Sinn jener enervierenden Repetition liegt in ihrer missbräuchlichen Anwendung des Sprichwortes: „In der stetigen Wiederholung liegt der Erfolg“. Irgendwann, so das Kalkül der Weltenlenkerin, wird man ihr glauben. Dabei basiert ihre Strategie in der ihr ureigenen Vorgehensweise: mit möglichst vielen Worten nichts sagen, keine Angriffsfläche bieten. Gütig und sich um alles kümmernd, stellt sie die Mutter der Nation dar. Das hat mich im Kindesalter schon an Inge Meisel genervt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Deutschland geht es nicht gut, und da wir in diesem unserem Lande unser physisches und psychisches Wohlergehen bereits vor vielen Jahren an ein sogenanntes Gesundheitswesen delegiert haben, muss hier der Hund begraben liegen. Denn mit dem astronomischen Budget von über 300 Milliarden € (Stand 2012), oder rund 3.750 € pro Kopf der Bevölkerung, sollte wir doch auf Wolke sieben leben, zumindest was unsere Gesundheit betrifft. Denn diese 300 Milliarden € verteilen sich ja nur auf die Kranken. Geht man davon aus, dass womöglich nur ein Drittel der Deutschen übers Jahr und statistisch gesehen krank ist, ergeben sich daraus folgerichtig 11.250 €. Eine Irrsinns Summe. Und trotzdem reicht dies hinten und vorne nicht. Und daran wird sich auch niemals etwas ändern. Denn wie bei allen, auf Profit basierenden Systemen, liegt es auch beim Gesundheitswesen in der Natur der Dinge, dass es nur durch stetiges Wachstum aufrecht erhalten werden kann.
Es ist also quasi systemimmanent, dass unser Gesundheitswesen selbst bei stetig wachsendem Budget und parallel sinkenden Leistungen niemals in der Lage sein wird, die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten, oder wieder herzustellen. Denn nur ein Teil dieser 300 Milliarden € fließen tatsächlich in die Kosten therapeutischer Maßnahmen jedweder Art.
Die Politik ist nämlich, nachdem sie das Gesundheitswesen einmal outgesourced hatte, gleich noch einen Schritt weiter gegangen und hat begonnen, das Ganze zu privatisieren, sprich: den Gesetzen der freien Marktwirtschaft anheim zu stellen. Wie von Zauberhand wurden aus 300 Milliarden € Kosten urplötzlich 300 Milliarden € Umsatz, um den sich die Teilnehmer nun streiten, wie der Hund um den Knochen. Und da 300 Milliarden € Umsatz eine ganze Menge sind, tummeln sich auf dem Markt auch eine ganze Menge Teilnehmer. Um diese glücklich zu machen, bedarf es nachhaltig steigende Umsätze, sprich: immer mehr kranke Menschen!
Es kann also nicht im Interesse der Marktteilnehmer liegen, dass die Menschen gesund bleiben oder es werden. Dies hätte ja automatisch Umsatzrückgänge zur Folge. Die Leasingraten für den Porsche und der Jahresbeitrag für den Golf-Club stünden zur Disposition, will meinen: es drohte die materielle Verelendung der Ärzteschaft und mithin der legitimen Nachfahren des Hippokrates. Und um dies zu verhindern, fährt die Gesundheitsindustrie alle Geschütze auf, die Technik und Wissenschaft ihr an die Hand geben.
Ein wunderbares Beispiel kreativen Marketings ist der menschliche Blutdruck. Um aus ärztlicher Sicht festzustellen, ob dieser einer Behandlung bedarf, muss man natürlich erst einmal definieren, welcher Wert als „normal“ zu klassifizieren ist. Dieser Wert ist jedoch nicht etwa das Ergebnis mechanischer Test oder Finiter Elemente Berechnungen, wie bei der Belastung einer projektierten Brücke. Nein, den richtigen Wert des Blutdrucks festzulegen ist ein solch unglaublich komplexes und verantwortungsvolles Prozedere, dass an dessen Ende dem Bürger lediglich eine dimensionslose Zahl kommuniziert werden kann; und es ist durchaus möglich, dass sich eben jener Bürger plötzlich als Patient wiederfindet, da sein Blutdruck eben über 140 was auch immer liegt. Glücklicherweise stellt die hiesige Pharmaindustrie erprobte und gut verträgliche blutdrucksenkende Medikamente zu Verfügung – alles im Lot, sozusagen.
Eine Analogie zum Ringen um den „richtigen“ Blutdruck, findet sich auch im Lagerkampf um den zuträglichen Wert des Cholesterinspiegels jenes wundersamen Safts wieder. Dazu lohn ein erhellender Blick über den großen Teich in die neue Welt, deren Absurditäten wir ja so gerne aufsaugen wir ein Schwamm. Vor einigen Jahren wurde in den USA eine umfangreiche Studie veröffentlicht, der zufolge die Höhe des zulässigen Cholesterinwertes dringend abzusenken sei, da………und zur Beweisführung für diese verblüffende Erkenntnis folgte ein hunderte Seiten langes Konvolut mit Tabellen, Fallstudien, Tortendiagrammen und Fachausdrücken, die nur ein Insider wirklich verstehen konnte – und, natürlich, der Finanzier der Studie: ein Pharmakonzern, der einen neuen Cholesterinsenker entwickelt hatte. Mir nichts, dir nichts „litten“ Millionen US-Amerikaner an gefährlich hohen Cholesterinwerten und dankten Gott, dass die großartigen Wissenschaftler ihrer großartige Nation bereits ein Gegenmittel hatten. Der Absatz jenes Medikamentes spülten dem Pharma-Riesen hernach mal eben Millionen Dollar Gewinne in die Kassen.
Der geneigte Leser wird nun einwenden, dass es, bei aller verständlichen Empörung über solche Auswüchse im Gesundheitswesen, jedoch tatsächlich kranke Menschen in Deutschland gibt, denen schließlich geholfen werden muss. Die berechtigte Frage ist jedoch die, ob diese Hilfe zwingend und vor allem ausschließlich von rein gewinnorientierten Unternehmen angeboten werden sollte.
Wer heute an der Tanke seine Spritrechnung bezahlt und sich entschließt, noch eine Latte Macchiato mitzunehmen, sieht sich unausweichlich mit der zuvorkommenden Frage konfrontiert, ob es dazu noch ein Marzipan-Croissant sein dürfe. Das nennt man aktives Verkaufen, darin ist das freundliche Personal geschult. Die Zauberformel heißt: Umsatz. Das ist nichts Ehrenrühriges, so funktioniert nun mal die Marktwirtschaft.
In den Innenstädten nimmt die Dichte der Arztpraxen zuweilen groteske Ausmaße an. Dutzende von Zahnärzten, Gynäkologen, Augenärzten, HNO-Spezialisten etc. – die ganze Palette der medizinischen Anbieter buhlt um die Gunst der Patienten. Nach dem Stand von 2012 sammeln über 130 gesetzliche und 44 private Krankenversicherungen hierzu die Beiträge der Patienten ein und definieren über ein ständig modifiziertes Verfahren jene Leistungen, die dem Versicherten erstatten werden, sprich: an den behandelnden Arzt überwiesen werden. Alles, was durch dieses willkürliche Raster fällt, wird unter dem niedlich anmutenden Namen IGEL (individuelle Gesundheitsleistung) zusammengefasst und geht zu Lasten der Privatschatulle – eine wahre Goldgrube für die Ärzteschaft. Und so wächst und wächst die Population der possierlichen Stacheltierchen. Die Steuerberater der angesagtesten Zahnärzte können ein Lied davon singen. Zum jährlichen Checkup der Beißwerkzeuge gibt es die professionelle Reinigung für 139,00 €, eine Zahnversiegelung für 49,00 € und für ein blendend weißes Hollywood-Lächeln á la Julia Roberts: Bleeching, die Zahnweißsensation aus den USA für nur 99,00 €. Und wenn ein kariöser Fauxpas den Schmelz verunziert, hat der Kunde die Wahl zwischen Plaste für 1,99 € von der AOK, oder allerfeinste Keramik, via 3-D-Laser hochpräzise vermessen, sofort aus dem Block gefräst und gleich eingeklebt – to go, quasi. Kostet allerdings eine Kleinigkeit extra – IGEL eben.
Ein kranker Mensch ist aber nun mal kein gewöhnlicher Kunde, zumindest sollte er nicht als solcher angesehen werden. Und genau hier ist der Knackpunkt: die Ärzte, Apotheker, Therapeuten, die Pharma-Hersteller, alle sind sie im Grunde genommen Anbieter in einem marktwirtschaftlich strukturierten und somit zwangsläufig gewinnorientierten Gesundheitswesen. Auf dem Olymp jener Anbieter stehen die High-Tech-Trutzburgen, vulgo Krankenhäuser. Die medizinische Champions League. Fabrikartige Großbauten, vollgestopft mit Apparaten von schier unbeschreiblicher Komplexität und sündhaft hohen Kosten. Diese müssen erwirtschaftet werden. Egal wie. Denn am Ende des Jahres sitzen die Aktionäre des Krankenhauses, bzw. ganzer Klinik-Ketten im Nobelhotel bei Sekt und Häppchen und warten auf die Gewinnausschüttung. Wie diese Gewinne generiert werden, ist den Anteilseignern Jacke wie Hose. Da fügt es sich vorteilhaft, dass erfahrene Aufsichtsräte ihr Wissen und ihr Netzwerk, das sie vormals als Parlamentarier gesammelt und aufgebaut haben, nun zum Wohle des Unternehmens einsetzen können.
Deshalb stehen an der Spitze der Geschäftsleitung in den Kliniken auch schon lange keine Mediziner mehr. Die haben nur ihr seltsames Fach-Latein im Kopf, ein kindliches Faible für allerlei technische Spielereien, einen Hang zu heldenhaften Erzählungen und angestrebten Meriten, aber null Gespür für Zahlen. Die Leitung der Krankenhäuser haben längst Kaufleute übernommen. Die kennen sich mit dem ökonomischen Einsatz der Mittel besser aus. Die Vorgaben orientieren sich somit einzig an der zu erzielenden Rendite im Verhältnis zum eingesetzten Kapital. Diese Vorgaben erledigen dann zuverlässig die Effizienzprogramme, die daraus resultierenden Einsparungen, das Ausschöpfen von Synergieeffekten, kurzum: der übliche abgestandene BWL-Tinnef.
Gespart wird bis zum Exzess. Das Pflegepersonal wird radikal zusammen gestrichen und versorgt nach fix getakteten Plänen Patienten im Akkord. Blutdruck und Fieber messen, Puls fühlen, dokumentieren in 3:30 Minuten. Mehr Zeit steht nicht zur Verfügung. Ein Wort der Anteilnahme oder des Trostes für den Leidenden? Tut uns leid, dafür ist keine Kostenstelle vorgesehen.
Rund um die Uhr haben die Operationssäle Umsätze zu generieren. Komplette Abteilungen werden samt Personal an externe „Dienstleister“ outgesourced. Als erstes die Reinigungstrupps. Böden wischen und Operationsbestecke sterilisieren kann unter wirtschaftlichen Aspekten keine originäre Aufgabe des Klinikpersonals sein. Das können Spezialfirmen viel besser und vor allen Dingen deutlich billiger – und schlampiger, aus purem Kostendruck. Das Ende vom Lied sind hochprofitable Gesundheitsfabriken. Ein paralleles High-Tech Universum, vom Keller bis zum Dachboden durch Hygieneschlamperei und fehlendes Fachpersonal mit letalen, multiresistenten Keimen verseucht, denen – je nach statistischer Interpretation – jährlich zwischen 15.000 und 40.000 Menschen zum Opfer fallen. Denn längst hat der massenhafte und verantwortungslose Einsatz von Antibiotika, selbst gegen Viruserkrankungen, bei denen sie a priori nicht helfen können, dazu geführt, dass dieses Schwert stumpf geworden ist.
Aber die Industrie schläft nicht, und man kann davon ausgehen, dass die Behebung auch dieses Malus nur eine Frage der Zeit und des richtigen Marketings ist. Für einen effizienten Vertrieb bestehender und neuer Produkte, bereist ein Heer von Pharmareferenten in edlem Zwirn und gediegenem Auftreten die Republik und offeriert niedergelassenen Ärzten die ganze Palette hochmoderner Medikamente – viele davon, richtig, als IGEL. OK, manche befinden sich noch in der Versuchsphase. Aber die Ärzte können sich auf eine adäquate Aufwandsentschädigung verlassen. Schließlich müssen sie die Medikamente ihren Patienten näher bringen und die Wirkungen und Nebenwirkungen aufwendig protokollieren. Zum besseren Verständnis dieser innovativen und unverzichtbaren Produkte, offerieren die Hersteller vorab Präsentationen in noblem Ambiente, nebst buntem Freizeitprogramm, wie Segelturns auf Mauritius oder Wellness-Wochenenden in der Schweiz, auf Wunsch natürlich mit Gattin.
Die ganzheitliche Zukunftsvision des Gesundheitswesens ist ein klar strukturierter Mark. Auf der einen Seite die präferiert Zielgruppe der dynamischen junge Kunden, am besten ledige Akademiker mit hohen Einkommen, die kein Problem drin sehen, für ihre Gesundheit ein paar Hundert € pro Jahr zuzuzahlen. Mit entsprechend gestalteten Verträgen bei den Anbietern privater Krankenversicherungen relativieren sich diese Kosten und sind zusätzlich als außergewöhnlich, ergo steuermildernd zu betrachten.
Auf der anderen Seite das Gros der Bevölkerung. Gering- bis Mittelverdiener, kinderreiche Familien in prekären Verhältnissen, Arbeitslose, Behinderte, mithin alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigte unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze, sprich: die Mitglieder aus der Holzklasse der gesetzlichen Krankenversicherungen. Deren finanziell geringe Leistungsfähigkeit stellt aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen keinerlei Anreiz für zukunftsorientierte Unternehmen im Gesundheitswesen.
Als Resümee wiederholt der Verfasser dieses Pamphlets erneut die Frage, ob die Vorgaben der WHO zum Thema Gesundheitsversorgung zwingend von rein gewinnorientierten Unternehmen angeboten werden sollten, oder ob dies letzten Endes nicht gar ein Widerspruch ist.
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