Zwischen ihrer Wohnungstür und der Wohnungstür der Familie Grobschrot hat Frau Ruckdäschl ein kleines Blumenbänkchen aufgestellt. Auf ihrem Balkon hegt und pflegt sie ja ihre weltberühmten Scherohnien, die eigentlich Geranien sind und nur Scherohnien genannt werden, weil Frau Ruckdäschl ursprünglich aus dem nordischen Hamburg stammt. Das hindert sie zwar nicht daran, nach nunmehr über 40 Jahren den breiten hiesigen Dialekt zu „schwätze“, bringt aber bei manchen Vokabeln einen eindeutig hamburgerischen Einschlag hervor: Scherohnien eben. So nennen wir die Alte auch insgeheim die Scherohnie.
Auf diesem Blumenbänkchen im Treppenhaus hat die Scherohnie aber keine echten, lebenden Blumen, sondern ein Sammelsurium von Kunstblumen aufgebaut. Das sind aber keine von diesen wunderschön gemachten chinesischen Seidenblumen, die echter aussehen als ihr natürliches Vorbild, sondern solche künstlichen Blumen, wie man sie allenthalben auf Jahrmärkten schießen kann. Die Stiele aus dickem Plastik, die ebenso dicken Blätter und Blüten in deutlich sichtbare Plastikgelenke gesteckt. Naja, über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten und wenn es der Alten gefällt…
Im Laufe der Zeit hat sie aber immer mehr botanische Schrecklichkeiten in Technicolor aufgehäuft, daß es einem beinahe die Augen herausbrennt, wenn man dieses Blumenbänkchen anschaut.
„Dann schau nicht hin!“ sagt die Allerliebste zu mir, als ich ihr davon erzähle.
„Ich will ja auch gar nicht hinschauen, aber ich kann nicht anders.“
„Typisch Mann!“
„Wieso das denn?“
„Na neulich im Biergarten, da hast Du auch nicht auf die Brüste der Bedienung schauen wollen und es trotzdem getan.“
„Moment mal, das waren keine Brüste, das waren der Kilimandscharo und der Mount Everest! Da MUSS man hinschauen, das ist quasi magnetisch.“
„Du musst lernen, Dich zu beherrschen.“
„Jaja…“
Am nächsten Tag hat die Scherohnie ihre Schießbuden-Blumensammlung schon wieder um ein Exemplar erweitert. Es ist ein Blumentopf aus PVC mit weißen Nelken aus Papier, wie es scheint. Das Ganze erinnert mich zunehmend an einen buddhistischen Tempel, wo die Gläubigen ihrem großen Religionsstifter haufenweise Blumengaben opfern, die dann abends von den Mönchen zusammengekehrt werden, um sie am nächsten Tag erneut an die Pilger verscherbeln zu können.
Irgendwo muss ich noch so ein kitschiges Buddha-Bild haben, denke ich und oben in der Wohnung suche ich sogleich danach.
Im Treppenhaus horche ich zuerst, um sicherzustellen, daß die Bahn frei ist, dann gehe ich hinunter, schiebe die Kunstblumenpracht in der Mitte etwas auseinander und stelle das Buddha-Bild auf.
Ich grinse in mich hinein und stelle mir die Aufregung vor, wenn die Alte das Ensemble das erste Mal sieht. Vielleicht wird ihr das eine Lehre sein und ihr die Augen öffnen, wie wir anderen Hausbewohner diese Blumenpracht aus Papier und PVC finden.
Schon am nächsten Tag muss ich allerdings feststellen, daß das eine Schnapsidee war, genauergesagt ist der Schuss vollkommen nach hinten losgegangen. Als ich nämlich hinuntergehe, treffe ich vor der Blumenbank auf Mechthild-Irmelie Kantenbrecher-Schübler vom Haus gegenüber. Sie hat die Hande gefaltet und an die Stirn gelegt und meditiert vor meinem Buddha.
Schnell suche ich das Weite, doch als ich zurückkomme, tönt mir schon von weitem der helle Sopran der Ruckdäschl aus der weit geöffneten Haustür entgegen. Vor dem Buddha hat sich eine mittlere Menschenmenge versammelt, es brennen Kerzen und Räucherstäbchen, die Ruckdäschl serviert Früchtetee und ordnet mit hoher Feldwebelstimme die Schlange der Wartenden.
Die vorwiegend in Rot und Orange Gekleideten folgen ihr aufmerksam und sehen in der alten Hamburgerin offenbar so etwas wie eine Zeremonienmeisterin. Viele murmeln monotone Gebete, andere veranstalten eine Kakophonie aus den unterschiedlichsten Gesängen.
Es fällt mir schwer, mir einen Weg durch die Pilger zu bahnen und bin glücklich, daß die Ruckdäschl zu beschäftigt ist, um mich zu bemerken. Bis zehn Uhr abends geht das Palaver, erst dann ist Ruhe.
Schon 14 Tage lang geht das so und die monotonen Gesänge verhindern wirkungsvoll, daß ich mich auf meine Arbeit konzentrieren kann. Dem muss ein Ende gesetzt werden.
„Nein, du wirst nicht runtergehen und das Buddha-Bild verbrennen! Du hast den ganzen Mist angezettelt und jetzt wirst Du die Konsequenzen tragen“, hindert mich die Allerliebste daran, den religiösen Zauber zu beenden.
„So kann es aber nicht weitergehen. ich wollte mir nur einen Spaß machen und jetzt entwickelt sich das da unten zu einem buddhistischen Pilgerzentrum. Ich will meine Ruhe zurück!“
„Tja, dann wirst Du Dir was einfallen lassen müssen, aber Du verbrennst keinesfalls den Buddha, das ist Frevel!“
„Die machen aber Krach!“
„Aber die Ruckdäschl hat Ansprache und eine eine Aufgabe gefunden. Das kannst Du ihr doch jetzt nicht einfach wieder kaputtmachen!“
Die ganze Nacht grüble ich und finde keine Ruhe. Irgendetwas muß mir einfallen!
Kurz vor Morgengrauen kommt mir die rettende Idee! Ich darf den Buddha nicht einfach entfernen und damit unsere Frau Ruckdäschl in eine tiefe Sinnkrise stürzen. Ich muss die Ruckdäschl dazu bringen, den Zirkus selbst zu beenden.
Auf dem Dachboden finde ich die Utensilien für meinen nahezu teuflischen Plan und begebe mich zu früher Stunde nach unten, um alles aufzubauen.
Später am Tag höre ich, wie die Ruckdäschl vom Balkon rufen: „Heut‘ nicht, gehe‘ Sie heim, da is nix mehr!“
Ich sehe, wie ganze Heerscharen von Leuten enttäuscht wieder abziehen. Prima!
Kurz darauf kommt die Allerliebste zu mir und sagt: „Sag mal, hast Du den Wackeldackel, das Christusbild, die Gipsfigur vom Papst und die Elvis-Figur unten zu dem Buddha gestellt?“
Ich grinse nur.
Die Allerliebste schüttelt nur müde mit dem Kopf: „Du bist und bleibst ein Spinner! Aber Dein Plan hat funktioniert, als die ersten Elvis-Imitatoren mit Gitarre auftauchten, hat die Ruckdäschl alle Leute weggeschickt und unten alles abgeräumt.“
Ich liebe Elvis, ehrlich!
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