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Dolle Lesung

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Vorgestern Abend war ich zu einer Lesung in einem christlichen Kulturcafè eingeladen.
Für diejenigen, die das nicht kennen: Bei einer solchen Lesung soll der Autor aus seinem neuesten Werk etwas vortragen und dann noch Fragen der Zuhörer beantworten. Anschließend packt er einen Stapel seiner Bücher aus und die Leute können kommen, um sich ein Buch mit persönlicher Widmung zu kaufen.

Mit anderen Worten: Eine Werbeverkaufsveranstaltung.

Ich mache das nicht so.

In den meisten Fällen lasse ich durch den jeweiligen Veranstalter noch ein musikalisches Rahmenprogramm gestalten. Jeder kennt jemanden, der gerne singt oder musiziert. Meistens sind das junge Talente.

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So beginnt meine Veranstaltung mit der Begrüßung durch den Veranstalter und es folgt ein musikalisches Entrée.
Dann komme ich und fange an, indem ich frei erzähle. Ich berichte, wie mich meine etwas anstrengende aber allerliebste Ehefrau förmlich zwanghaft zu einem Humoristen gemacht hat. Wenn das erste Eis gebrochen ist, beginne ich dann etwas vorzulesen. Ich habe zwei der Geschichten aus meinem aktuellen Buch als besonders gut zum Vorlesen eingestuft.

Je nachdem, wie die Leute ‚drauf‘ sind, lese ich zwei, manchmal drei Geschichten. Danach folgt ein musikalisches Intermezzo und ich stelle mich dann den Fragen der Zuhörer. Dabei fungiert der Veranstalter i.d.R. als Moderator, d.h. er ruft die einzelnen Fragesteller auf und wacht ein bißchen darüber, dass das Ganze kein Monolog zwischen mir und einer einzelnen Person wird, die sich festgebissen hat.

Auf einem Tischchen in der Nähe des Eingangs liegen meine Bücher und die Leute können dort bei einem Mitarbeiter des Veranstalters ein Buch kaufen, wenn sie wollen. Mit dem gekauften Buch oder einem, das sie schon haben, kommen sie dann zu mir nach vorne und haben das unvergessliche Erlebnis, mich mal ganz aus der Nähe sehen zu können, mit mir zu sprechen und meinem unwiderstehlichen Charme zu erliegen. Gerne schreibe ich dann die jeweils gewünschte Widmung in das Buch.

Wenn der Veranstalter soviel hat springen lassen, gibt es anschließend noch Schnittchen und den unumgänglichen Prosecco.

Doch dieses Mal war alles ein bißchen anders. Vorne hatte man einen kleinen Tisch aufgebaut, auf dem ein Glas und eine kleine Flasche stilles Wasser stand. Wozu gibt es überhaupt stilles Wasser?
Also ich für meinen Teil hätte lieber Leitungswasser, das kommt von einem supersauberen Wasserwerk und nicht aus irgendeinem Erdloch.
Leider hielt der Veranstalter es für besonders romantisch eine dicke brennende Kerze auf den Tisch zu stellen und ansonsten auf eine Lesebeleuchtung zu verzichten. Na toll!
Sogar mit Brille war es mir nahezu unmöglich irgendetwas zu entziffern. Glücklicherweise kenne ich meine eigenen Sachen so gut, dass ich mit dem was ich doch erkennen konnte und dem, was ich im Kopf hatte, trotzdem etwas vortragen konnte.

Aber schon die Einführung der Inhaberin des Kulturcafés hatte es in sich. Zum einen vertauschte, verwechselte und verballhornte sie ständig meine Namen, sodass ich permanent als ‚Herr Wilhelm Peters‘ und manchmal sogar als ‚Willi Petri‘ angesprochen wurde. Außerdem erwähnte die doofe Kuh gleich im ersten Satz, daß sich niemand genötigt fühlen müsse, meine Bücher auch zu kaufen, das sei ja schließlich keine kommerzielle Veranstaltung. Nee, is klar, ich mache sowas ja auch deshalb jeden Abend, weil ich dabei klammheimlich einen Orgasmus bekomme und in diesem Vorlesen eine besondere sexuelle Beglückung empfinde.

Als die Gute nach zehn Minuten, in denen sie hauptsächlich den bevorstehenden Wandertag der frommen Landfrauen thematisierte, endlich zum Ende kam, setzte sie noch eins drauf:
„Und zum Abschluss lassen sie mich darauf hinweisen, dass wir das neueste Buch von Herr Wiiliams bei uns in der Leihbibliothek stehen haben und sie es dort kostenlos ausleihen können.“

Ich las dann, scherzte mit den Leuten, gab mich locker und aufgeschlossen und merkte an den lächelnden Gesichtern, dass es den Leuten auch gefiel. Als musikalische Untermalung hatte sich die Cafétante etwas ganz Dolles ausgedacht. Ihr 9-jähriger Neffe spielte etwas auf einer Blockflöte vor. Da der kleine Adipositasjüngling offenbar nur ein einziges Lied auf dem Blasrohr beherrschte, hörten wir an diesem Abend drei Mal ‚Alle Vögel sind schon da‘. Ergreifend!

Aber den Leuten schien es gefallen zu haben und so verlief auch die anschließende Fragerunde sehr harmonisch und locker. Die Leute wollten allerlei wissen, keiner trat mir zu nahe, alles war sehr nett. Doch leider ging das der Caféchefin nicht weit genug.
Sie fragte dann: „Welches der zehn Gebote ist Ihnen denn am wichtigsten, Herr Peterli?“

Was will die denn von mir, dachte ich. Was waren denn nochmal die zehn Gebote? Ach ja, Du sollst nicht töten, kein falsch‘ Zeugnis reden, nix klauen und den Sonntag heilgen, oder?
Doch mehr als das wollte mir nicht einfallen. Du sollste keine anderen Frauen neben mir haben! Häh, das kann ja wohl nicht sein. Aber mehr fiel mir nicht ein. Deshalb sagte ich, weil ich mir da am sichersten war: „Du sollst nicht töten.“
Das gefiel den Leuten und man klatschte sogar. Aber die Leute klatschen ja auch, wenn irgendein amerikanischer Filmstar mit einem Übersetzungsknopf im Ohr mühsam: „Gutten Abbent Doitschländ“ sagt.

Der Doofen war das aber wohl nicht genug und sie hakte nach: „Vielleicht erzählen Sie uns noch etwas zu dem Thema, wie Ihre Geschichten im Einklang zum Neuen Testament unter besonderer Berücksichtigung des Lukasevangeliums stehen.“

Ehrlich, darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht, immerhin wusste ich aber, dass im Lukasevangelium die Weihnachtsgeschichte vorkommt. Ich kam aber überhaupt nicht dazu, etwas zu sagen, denn als mir die Alte kurz zunickte, um mich zum Reden aufzufordern, interpretierte das ihr kleiner, fetter Neffe als Startzeichen für eine vierte Aufführung von „Alle Vögel sind schon da“.

Das ersparte mir dann, die Beantwortung der vorausgegangenen Frage und als der Knabe fertiggedudelt hatte, stand ich einfach auf und nickte freundlich in die Runde. Die Leute klatschten wieder.

Normalerweise wären jetzt der Buchverkauf, das Signieren und dann der allgemeine Umtrunk an der Reihe gewesen. Doch die Cafédoofe stellte sich an den Eingang, schaltete schon mal die halbe Beleuchtung aus und begann die Leute zu verabschieden. Ein paar Leute schlugen sich aber dennoch zu mir durch und wollten entweder ein Buch kaufen oder mir vielleicht aus Dankbarkeit die Füße küssen. Ich werde es niemals erfahren, denn die Alte an der Tür schaltete das Licht nun vollends aus. „Fertig!“, krähte sie und fügte hinzu: „Wir geh’n nach Haus, das Licht geht aus!“

Im Dunklen tastete ich mich zum Tischlein vor, um meine Brille zu suchen und stolperte dann in Richtung Ausgang, wo ich vom Verkaufstischchen meine Bücher mitnehmen wollte. Der Stapel war aber erschreckend klein geworden.
Und genau in diesem Moment wußte ich, welches der Zehn Gebote mir besonders wichtig war:

DU SOLLST NICHT STEHLEN!


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Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 11. Oktober 2006 | Revision: 26. November 2012

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