Es modert. Ich weiß nicht wo, aber irgendwo modert es. „Geh, Mann, such den toten Aal!“ ist alles, was meine Frau dazu zu sagen hat und es klingt so, als ob sie gerade ein Stöckchen geworfen hätte und noch „Such!“ hinzufügen wolle.
Tja, ich weiß auch nicht, wo ich anfangen soll. Ich meine, komische Gerüche im Haus könnten einmal in der Küche entstehen, wo sich irgendein Wurstzipfel seiner endgültigen Vernichtung im Mülleimer durch einen kühnen Sprung hinter irgendeinen Gegenstand entzogen hat. Es käme auch eines der Badezimmer in Frage, es gab ja vorgestern Kohl.
Aber irgendwie scheidet beides aus. Man kennt ja die diversen Gerüche und Duftmarken, die die eigene Familie so setzt und das was da durch unser Wohnhaus wabbert, das ist von der Geruchsnote eher außerirdisch, ja sozusagen klingonisch oder so.
Meine Frau meint, der Geruch erinnere sie irgendwie an toten Aal, mein Sohn hingegen meint, er rieche gar nichts, wenn überhaupt dann rieche das nach der Umkleidekabine in der Schulsporthalle. „Sag ich doch!“ ruft meine Frau, „Genau so riecht das, wie toter Aal oder Schulsport.“
„Schulsport riecht also nach totem Aal?“ frage ich zweifelnd zurück und meine Frau nickt heftig. Ich nehme noch einmal einen tiefen Zug Raumluft durch die Nase und, tja, wenn man es genau nimmt hat sie Recht. Es ist irgendwie dieser Geruch nach Schweiß, Urin, Menstruation, Leder, Fußpilz und blauer Turnmatte…, eventuell mit einer leichten Beimengung von Pferdedung und Katzenpisse… Genau, es riecht nach Bundesjugendspielen!
Also suche ich. Mit geblähten Nüstern durchstreife ich das Haus und versuche die Quelle des geruchlichen Übels ausfindig zu machen. Mal meine ich, es komme mehr aus dem Schlafzimmer, dann wieder scheint es mehr aus dem großen Bad zu kommen, aber in den beiden Räumen selbst riecht es nach gar nichts, also mal zumindest nicht nach irgendwas wonach es nicht auch sonst immer riecht.
Moment mal! Genau zwischen diesen Räumen liegt das Zimmer meiner Tochter.
Ich betrete es und finde das hübsche Kind an seinem Schreibtisch. In den Ohren stöpselt sich irgendwelche Musik dahin und die Kleine summt und singt dazu; dabei malt sie ein Pferdebild aus und bestreut das Gemalte mit glitzerndem Puder. Ein kreatives und süßes Kind, die Wonne meines Herzens.
Sie merkt gar nicht, daß ich hereingekommen bin und mit den Nüstern blähe. Ja, hier liegt so was in der Luft. Das Kind selbst riecht vehement nach Himbeere. Das ist im Augenblick ihre Lieblingsduftnote und sogar ihre Zahnpasta schmeckt nach süßer Himbeere. Hab‘ sie neulich morgens mal aus Versehen genommen… eklig!
Aber durch die Himbeere riecht es etwas nach Braunbäre‘, genauergesagt nach einem toten Braunbären, der vorher ganz viel Aal gegessen hat.
„Kind, wonach riecht es hier“, sage ich und das arme, zarte Kindelein fährt vor Schreck zusammen.
„Papa! Spinnst Du? Du hast mich voll erschreckt!“
„Wonach es hier riecht, will ich wissen.“
„Himbeer!“
„Nee, ich mein‘ das andere, dieses Stinkige.“
„Keine Ahnung.“
„Muß ich suchen?“
„Das IST NIX zum Suchen.“
„Ich such‘ jetzt!“
„Nee!“
„Doch!“
„Neeeee!“
„Dohoch!“
„Das IST MEIN ZIMMER!“
„Mach mal die Augen zu!“
„Ja, hab ich, und jetzt?“
„Das was Du jetzt siehst, das ist Deins!“
„Ich seh‘ aber nix.“
„Merkste was?“
„Hier is‘ nix!“
„Was riecht da so?“
„Nihix!“
„Ich such‘ jetzt!“
Mit dem letzten Satz beginnt meine väter-amtlich angeordnete Haussuchung und dabei verliere ich die dringend der Luftverpestung verdächtige minderjährige Person eigenen Geblüts nicht aus den Augen.
Ihr Blick wandert zum großen Schrank hinüber und schon beende ich die Durchsuchung der Kommodenschublade und wende mich zielgerichtet dem Schrank zu.
Meine Fresse! Die Kleine hat in ihrem Schrank mehr Klamotten zum Rauswachsen, als ich in meinem ganzen Leben bisher besessen habe. Aber eins ist klar, ich nähere mich dem toten Aal, denn der Geruch wird intensiver, ja er schneidet mir die Luft ab, legt sich wie ein Pelz auf meine Mandeln und ein starker Würgereiz setzt ein.
Unten links in der Ecke, hinter den Rollschuhen steht eine LIDL-Tüte und aus der modert es wabberig, kotzig und aalig empor. Eine braune Pampe, die an Jauche erinnert, rinnt quer durch den Schrank und hat sich schon in einem Stapel Pullover nach oben kapillarisiert.
„Was ist das?“
„NIX!“
„Was in der Tüte ist, will ich wissen.“
„Guck doch!“
„Mach ich auch jetzt.“
„Mir doch egal!“
Ich nehme die Tüte hoch und unten tropft es faulig raus.
„Los! Was ist da drin! Du kriegst 10 Jahre weniger, wenn Du ein Geständnis ablegst!“
„Nix is‘ da drin. Bloß was von der Oma.“
„Wie? Was? Was von der Oma?“
„Zucchini!“
„Wie bitte?“
„Zuchiiiiniii!“
Ich stopfe die tropfende Tüte in den Papierkorb, nehme das inzwischen in Tränen ausgebrochene Kind kurzerhand unter den Arm und trage beides, Delinquentin und Corpus Delicti, ins elterliche Wohn- und Gerichtszimmer.
Meine Frau erkennt sofort die Situation, nimmt die Obstschale vom Tisch und legt das große Hausbuch der mittelalterlichen Medizin auf den Tisch. Keine Ahnung, was das Buch bei den Kindern bewirkt oder was sie glauben, was es mit dem Buch auf sich haben könnte, jedenfalls lag es da mal zufällig, als wir die beiden Kinder wegen des Sekundenklebers auf Frau Ruckdäschls Fahrradsattel verurteilt hatten und seitdem wissen wir, daß die Kinder glauben, das es mit diesem Buch irgendeine eine besondere Bewandtnis hat und dass allein seine Anwesenheit jede nur erdenkliche Strafe um das Hundertfache verschärfe.
Die Kleine schluchzt angesichts des Buches auf und ich setze sie vor dem Tisch ab. Meine Frau schaut mich fragend an und ich hebe den Papierkorb: „Zucchini!“
„Ich hab‘ damit nichts zu tun“, beteuert unser Sohn und verdrückt sich vorsichtshalber. Er tut gut daran! Meine Frau ist, wie alle Frauen, eine Merkerin. Sie vergisst alles, sie kann sich an nichts Wichtiges erinnern und möge es auch nur Sekunden vorher geschehen sein. Aber wenn irgendjemand in unserer Familie auch nur den kleinsten Fehler macht, im falschen Moment falsch guckt, sich an der falschen Stelle räuspert, DAS speichert sie in ihrem Gehirn im Racheabteil (direkt unter dem permanent abgespeicherten Schuhkatalog) ab. Das kann sie auch nach Jahren noch abrufen und so kommt es, daß wenn eines unserer Kinder abgeurteilt werden muß, auch für das jeweils andere Kind noch genügend abgespeichert ist, um auch ihm dann im gleichen Abwasch auch eine Strafe zukommen zu lassen. Verjährung? Gibt es nicht, Punkt.
„Zucchini?“, fragt meine Frau und blickt die Kleine an.
Die nickt, schluchzt und macht ihr Liebes-Mädchen-Gesicht dazu. Diese kleine Kröte!
Auf intensive und hochnotpeinliche Befragung durch meine Frau, die durch intensives Pieksen mit langen Mütterfingern in die kindliche Brust selbst mittelalterliche Inquisitionsbefragungen an Härte übersteigt, so man denn dem heulenden Geschluchze des Kindes Glauben schenken mag, gibt das Kind schließlich die Freveltat zu.
Seit Wochen habe der Opa im Garten Zucchini geerntet und immer mal den Enkelkindern ein Tütchen voll mitgegeben, auf daß die Mama etwas Leckeres davon koche…
Nun gut, als der Liebe Gott die Zucchini gemacht hat, hat er wahrscheinlich gerade an nichts gedacht, zumindest schmecken Zucchini so.
Und da hilft es auch nichts, wenn ganze Heerscharen von Hausfrauen sagen, sie täten da viel Knoblauch dran oder füllten die geschmacksneutralen Gurkenimitatoren mit so allerlei Leckerem. Man könnte auch Baumwollsocken so würzen oder füllen…
Zucchini ist die überflüssigste Kürbisfrucht der Welt und wird an Überflüssigkeit nur noch vom Pottwal übertroffen.
Gut, Pottwale sind schön und wer mag, der kann ja auch Zucchini schön finden, aber beide braucht die Welt in Wirklichkeit nicht.
Ist ja gut und schön, daß sich Greenpeace schützend vor die Pottwale wirft, aber ganz ehrlich gesagt habe ich im Fernsehen bereits alles Wissenswerte über Pottwale erfahren, sogar wie die es miteinander treiben, und dennoch will sich in mir keine intensive innere Beziehung zu diesem Teil der Schöpfung einstellen. Ich habe noch nie einen Pottwal gesehen, werde vermutlich in absehbarer Zeit auch keinen sehen und wenn es auf einmal keine mehr gäbe, ich würde sie nicht unmittelbar und dringend vermissen.
Klingt hart, ist aber einfach so. Der Pottwal an sich trägt nicht unbedingt zur Bereicherung meines Lebens bei. Das ist auch übrigens mit dem Gürteltier so. Nur kann man Gürteltiere essen und die die schon mal eins gegessen haben, die sagen, Gürteltier sei lecker.
Vom Wal sagt das kaum jemand und die die immer Wal essen, die muß ich mir bloß angucken, dann weiß ich, das die für mich kein Maßstab sind.
Jedenfalls brauche ich persönlich keinen Pottwal und ich brauche auch keine Zucchini.
Andersherum gesehen ist es aber von ganz großer Bedeutung, daß bei uns im Allgemeinen keine Pottwale gegessen werden, denn wie hätte das Kinderzimmer erst gestunken, wenn meine Tochter statt der Zucchini einen Beutel voller Pottwale im Schrank gehabt hätte? Nicht auszudenken!
Gut, werden wir wieder Ernst und gönnen den Pottwalen ihr Dasein. Der Zucchini gönne ich das nicht und wie es sich im Zuge der weiteren Beweiserhebung herausstellt, hassen auch unsere Kinder diese Frucht der Überflüssigkeit.
So haben die beiden beschlossen, die vom Gurken-Großvater mühsam erzeugten Wasserfrüchte zu unterschlagen, damit wir sie ihnen nicht als Mahlzeit servieren können.
Also hat meine Tochter also die vom Opa im Schweiße seines Fußes Angesichts angebaute Blödfrucht haufenweise vor uns im Kleiderschrank versteckt.
Ach übrigens: Meine Frau HASST Zucchini!
Wie sollen wir nun das Kind verurteilen? Keiner von uns wollte jemals diesen Gurkenersatz essen und ich hätte die Dooffrucht auch auf den Kompost geworfen oder jemandem geschenkt, den ich nicht leiden kann…
Woher nähmen wir also jedwede Berechtigung, dem Kind nun Strafe zukommen zu lassen.
„Weil Du das Zeug im Schrank versteckt hast!“ begründet meine Frau die noch nicht bezifferte Strafe.
„Wobei man strafmildernd berücksichtigen muß“, ergänze ich, „daß die Kleine keine Pottwale genommen hat.“
„Meine Frau guckt mich an wie einen Vollidioten, tippt sich an die Stirn und sagt nur: „Männer!“
Schrank ausräumen, alles auswaschen, die ganze versiffte Wäsche in den Keller bringen und später alles wieder ordentlich einräumen, das ist der erste Teil des Urteils. Ich denke praktischer und lege noch ein Fünf-Mal-Autowaschen obendrauf.
„Boah, ey, das ist ja voll gemein!“ mault die Kleine und schon hat sie sich die anschließende Sicherungsverwahrung bei eintägigem Hausarrest eingefangen.
Nee, ich bin froh, daß sie keine Pottwale genommen hat.
©2010
- Pottwal11: Peter Wilhelm KI
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