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Spitze Feder

Die Mitte ist voll

Als 1978 die unvergleichliche Helga Feddersen und der heutige Grandseigneur des niveauvollen, feinsinnigen Humors, Dieter Hallervorden,

…den Song „You ’re the One That I Want“ von John Travolta und Olivia Newton-John, mit ihrer Version „Die Wanne ist voll“ verhohnepipelten, ging das noch.

Also das, mit der vollen Wanne. Da wurde am späten Samstagnachmittag selbige nämliche Oberkante-Unterlippe gefüllt und die ganze Familie darin gebadet. Danach roch es im wohlig warmen Wohnzimmer nach Nivea, Verpoorten, Asbach Uralt und Peter Stuyvesant, und in Fernsehen gab Harald Juhnke im Smoking, stets moderat angetrunken, den galanten Showmaster.

Heute ist eine derart gedankenlose Verschwendung von Ressourcen das absolute No-Go. Wannenbad? Oberkante-Unterlippe? Ach du liebe Zeit, das geht garnicht! Maximal drei Minuten duschen…lauwarm, dann ist Ende Gelände! Wir müssen schließlich Energie und Wasser sparen! Deshalb sitzen Micheline und Michel 2023, nach der gänsehäutigen Körperreinigung, in Wolldecken gehüllt, bei lausigen 18° C, fröstelnd, aber immerhin systemerhaltend, vor der Glotze.

Darin werden dann Filme von netto 90 Minuten Länge, durch eine uferlose Menge an Werbung, bis zur kompletten Unkenntlichkeit des Sujets püriert und auf drei Stunden aufgeblasen. Das nennt man dann kulturelle Bereicherung durch das Privatfernsehen. In jenen Clips, cruisen hippe, junge Menschen, zu hippen Beats, in hippen Elektroautos durch hippe, mit LED illuminierte Städte und retten damit den Planeten…wenn sie nicht gerade Kötbölla in sich hineinstopfen und, ausser sich vor Freude, für schmales Geld beim Schweden mit Presspappe ihre Wohnung neu einrichten.

Unverzichtbar dabei ist, dass es gleich eine Gruppe junger, fröhlicher Menschen ist. Denn um der Political Correctnes vollumfänglich Rechnung zu tragen und um Himmels Wille ja keine Minderheit auszuklammern, müssen die hippen Werbeträger:*Innen, aus Männern und Frauen bestehen, und mindestens eine, oder einer davon, muss schwarz sein, oder zumindest, deutlich erkennbar, Migrationshintergrund haben. Eine junge, hippe Frau mit Hijab, die feinmaschige Polyester-Auslegware beim Möbeldiscounter bewirbt, sollte es schon sein, nachdem der Tand jahrelang von einer grenzdebilen, drallen Blondine aus Ludwigshafen beworben wurde. Denn die Political Correctnes genießt mittlerweile einen Status von Verfassungsrang, den die Parteien der Mitte mit verlogenem Brustton der Überzeugung betonen…was sage ich: betonen müssen!

Und als Parteien der Mitte bezeichnen sich nahezu alle – über Parteigrenzen hinweg, wie man so unschön sagt. Ob nun CDU, CSU, FDP, SPD, oder Grüne…Wir sind Mitte! Zutreffender wäre ja: Wir sind Mittelmaß, aber man möchte ja die Mittemäßigkeit auf keinen Fall diskreditieren. Deshalb sind sie eben: Mitte. Und die ist nun voll. Dafür ist die Wanne leer.

OK, einige aus jener Mittelmäßigkeit streiten sich zuweilen, wie die Kesselflicker, wenn die Kameras und die Mikrofone eingeschaltet sind, und mit viel Wohlwollen, könnte man dies sogar als Diskussion bezeichnen…was einer Demokratie ja grundsätzlich zuträglich ist. Leider suggeriert dieses telegene Gezeter allerdings auch so etwas, wie Engagement in der Sache und um die besten Ideen. Damit Micheline und Michel denken, dies sei gelebtes Engagement, um Verantwortung zu übernehmen, um das Land voran zu bringen, um die Zukunft zu gestalten, um die Transformation von was auch immer, wohin auch immer, zu meistern, um Arbeitsplätze, um Wettbewerb, um die Umwelt, bla, bla, Rhabarber…der übliche Wahlkampf-Sprech eben. Aber das ist Pipifax.

Man muss sich einfach nur vor Augen hält, dass diese fünf Parteien, die allesamt für sich reklamieren, die Mitte der Gesellschaft zu sein, bei der letzten Bundestagswahl zusammen 76,1% der Stimme bekamen. Damit ist diese Mitte geradezu bleischwer und sedierend. Im Grunde genommen haben die Bürgerinnen und Bürger in Sachen politische Vielfalt eine ähnliche Auswahl, wie auf der Menükarte in jeder beliebigen Junkfood-Kaschemme.

Wenn man sich dann noch die Performance dieser fünf Parteien der Mitte der letzten 50 Jahre und die hanebüchenen Auswirkungen ihrer Politik vor Augen hält, könnte man beinahe auf den illoyalen Gedanken kommen, dass sich CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne ausschließlich um die Haute Cuisine der reichsten 10% der Bevölkerung kümmern, die mittlerweile schon 60% des Gesamtvermögens in Deutschland besitzen…Tendenz steigend.

Wenn man sich dann noch den Zuspruch der blauen Neofaschisten in der Bevölkerung vor Augen führt, kann man in Sachen Sozialhygiene mit Fug und Recht von einem krachenden Scheitern der Mitte sprechen. Denn diesen ekelerregenden Haufen Dreck müssen sich CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne ans Revers heften lassen. Leute, ich fürchte, diese Mitte ist voll, pappsatt und deplatziert. Wir benötigen etwas Anderes. Wie wäre es mit einer Regierung, die sich ausnahmsweise mal um das Wohlergehen der anderen 90% der Bevölkerung kümmert? Die müssen immerhin seit Jahrzehnten geistig moralischen Junkfood fressen.

Aber man soll ja nicht nur schwarz sehen, oder? Laut statistischem Bundesamt befinden sich 15,8% der Bürgerinnen und Bürger im besten Deutschland aller Zeiten, unterhalb der Armutsgrenze, Tendenz steigend. Diese können sich den Dreck in besagten Junkfood-Kaschemmen ohnehin nicht leisten und entgehen somit zumindest der Gefahr von Adipositas. Insofern…

Die Mitte ist voll. Weitermachen! Alles wird gut.

Bildquellen

  • gude-weg: Peter Wilhelm

Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 11. April 2023 | Peter Grohmüller 11. April 2023

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