Der Dackel: Liegt in seiner Hütte und genießt den warmen Sonnentag, nur die Schnauze schaut etwas hervor und ab und zu zuckt die kleine schwarze Nase, weil sich eine hartnäckig, lästige Fliege immer wieder darauf niederlassen will. Es ist ein Frühlingsidyll, die Vöglein singen, das Geräusch von Rasenmähern liegt in der Luft.
Der Garten in dem die Hundehütte steht, gehört Ehepaar Pospichiel und ist von einem Zaun umgeben.
Ein Klappern durchbricht die Frühlingsszenerie, der Briefträger der ja keine Briefe mehr trägt, sondern in einer Karre vor sich herschiebt, also der Briefschieber versorgt die Häuser in jener Straße mit frischer Reklame, Rechnungen und den verschwindend wenigen Privatbriefen und Postkarten, die noch verschickt werden. Als der Briefschieber sich dem in Rede stehenden Haus mit Garten nähert, hebt der Dackel seinen Kopf und schiebt ihn soweit aus der Hundehütte, daß er sehen kann ob sich etwa ein gefährlicher Angreifer nähert.
Aber es ist nur der Briefschieber und der ist kein Angreifer, sondern ein Freund, der jeden Tag ein paar Bröckchen Hundefutter als kleines Leckerli für jeden Hund auf seiner Strecke in der Tasche hat. So hetzt und rennt der Dackel, kaum hat er die gelbblaue Uniform des Briefschiebers entdeckt, zum Gartentor, hüpft dort etwas arschlahm hoch und bellt den Schieber freudig an. Der gibt ihm die verabredeten und zur festen Sitte gewordenen Bröckchen, der Dackel freut sich, der Schieber wirft die Post ein und der Dackel will gerade wieder in seiner Hundehütte verschwinden.
Ein paar Meter weiter hat Herr Peter Postleid diese Szene aus seinem Auto heraus beobachtet und notiert in sein Notizbuch, der Dackel habe den Briefträger angebellt und sei nur durch die Gabe von Futter wieder zu beruhigen gewesen. Herr Postleid ist Mitarbeiter des Ordnungsamtes und in dieser Eigenschaft für alles zuständig, was Bürger so an schweren Verbrechen und schlimmen Vergehen vollführen. Ob sie nun verbotenerweise benutzte Kaffeefilter in die Altglastonne werfen oder eine Zigarettenkippe auf dem Gehweg austreten oder ob sie in der Mittagszeit bohren, hämmern oder musizieren, alles das sind Fälle in denen der schmächtige Mann in seiner blaugrauen Uniform eingreifen muß. Erst gestern hat er einer Witwe ein Ordnungsgeld von 30 Euro abgenommen, weil die alte Dame hartnäckig auf ihrem Fensterbrett Vogelfutter ausstreute und dadurch die Tauben, die Ratten der Lüfte, anlockte. Diesem frevelhaften Tun hatte Postleid eine gute halbe Stunde zugeschaut und alles mit seinem Fotoapparat dokumentiert. Dann gebot er dem verbrecherischen Akt Einhalt und kassierte das Bußgeld.
Von diesem Dackel hier hatte er schon Schlimmes gehört. Nachbarn haben sich beim Amt beschwert, der Dackel würde Passanten anbellen, wenn diese am Grundstück der Pospichiels vorbeigehen. Vermutlich handelt es sich um eine Art Kampfhund, hatte sich Postleid gedacht und mit Notizblock und Kamera auf die Lauer gelegt.
Erste Beweise für die Gefährlichkeit des Hundes hatte er ja vor wenigen Minuten bei der Annäherung des Briefschiebers erheben können. Immerhin war der Hund aus seiner Hütte gekommen, das kommt ja quasi einem Angriff gleich.
Leider ist der Dackel aber nun so klein, daß Herr Postleid kein Foto von dem gefährlichen Tun des Hundes hatte anfertigen können. Deshalb steigt Postleid nun aus und nähert sich dem Grundstück der Pospichiels von Süden her über den Bürgersteig. Er schaut unbedarft in die Gegend und geht zügig, er imitiert den Gang eines harmlosen Passanten.
Doch der Dackel ist schon fast wieder an seiner Hundehütte angekommen und dreht nur einmal kurz den Kopf in Richtung des von Postleid verursachten Schrittgeräusches.
Sehen können sich die beiden nicht, sowohl der Dackel, als auch der Mann von Ordnungsamt haben kurze Beine.
Gefahr? Der Dackel entscheidet sich für die Faulheit und legt sich wieder in die Hundehütte. Postleid hat die gesamte Länge des Pospichielschen Grundstücks abgeschritten und kehrt nun um, irgendwann muß das Tier doch angreifen, schließlich liegt ihm eine Anzeige besorgter Bürger vor.
Vielleicht liegt es an den Gummisohlen, die der Ordnungsmann trägt, er bevorzugt nämlich leise Sohlen, damit ihn verbrecherisch Kaugummi wegwerfende Bürger nicht kommen hören, wenn er im Park mal wieder hinter einem Busch lauert. Erst heute Morgen hatte er eine ganze Gruppe sportbegeisterter Hausfrauen gebührenpflichtig verwarnt, weil diese mit ihren Nordic-Walking-Stöcken Löcher in die frisch geharkten Wege des Stadtparks gepiekst hatten. Sowas geht ja nun gar nicht, das ist gegen die öffentliche Ordnung. Und weil die Frauen partout nicht einsehen wollten, daß der kleine Mann vom Ordnungsamt eine wichtige Amtsperson ist, hatte er die Nordic-Walking-Stöcke kurzerhand beschlagnahmt: „Die können Sie sich heute Nachmittag gegen Bezahlung des Ordnungsgeldes im Ordnungsamt abholen, jawoll!“ Jetzt lag das ganze Bündel Stöcke hinten in seinem Wagen.
Vielleicht hilft es, wenn er etwas pfeift, denkt sich Postleid und geht den Gehweg nun langsameren Schrittes zurück und pfeift dabei „Der Mai ist gekommen“. Das interessiert nun den Dackel schon ein bißchen mehr und er schiebt wieder seinen Kopf aus der Hütte. Postleid hüpft ein wenig zwischen seinen Schritten, dann kann er nämlich einen Blick auf das gefährliche Tier erhaschen. Ein klein wenig ist er schon enttäuscht, als er feststellt, daß der Dackel nur interessiert schaut.
Vermutlich ist das Tier noch zu sehr durch die Gaben des Briefschiebers gesättigt und man muß einen größeren Reiz anwenden, um die Aggressivität zu wecken. Immerhin, das weiß Postleid aus der Fachliteratur, kann der Biß eines Dackels sieben Hornissen töten!
Er pfeift etwas lauter und hüpft noch ein paar Mal auf und ab. Dabei hält er mit der linken Hand seinen Fotoapparat hoch und löst diesen immer dann aus, wenn er auf dem höchsten Punkt seines Hüpfers angekommen ist. Er muß ja schließlich auch Beweisfotos anfertigen. Das Blitzen der Kamera bewegt den Dackel nun doch dazu, sich zu bewegen. Da hüpft doch einer und der pfeift auch noch und blitzen tut der auch, vielleicht bringt der auch Leckerlis.
Der Dackel reckt seinen Po in die Luft, schiebt die Vorderbeine weit nach vorne und streckt sich, dann gähnt er ausgiebig und bewegt sich mit wedelndem Schwanz langsam in Richtung Zaun. Dort hat Postleid einen fünf Zentimeter breiten Spalt entdeckt, durch den er den Angriff des bösartigen Tieres genau beobachten und mit der Kamera dokumentieren kann. „Nun komm doch schon, Du Hund, Du!“
Der Dackel bleibt skeptisch etwa fünf Meter entfernt stehen und Postleid gelingt es, das erste vernünftige Bild von der Bestie zu schießen. Auf dem Bild, das Postleid sofort auf dem rückwärtigen Display seiner Kamera überprüft, hat der Dackel rote Augen und der Mann vom Ordnungsamt reibt sich die Hände, na prima, da sieht man wie blutrünstig der Kläffer ist.
Der Dackel zieht es vor, sich erstmal wieder hinzulegen und die Sache aus eben dieser Distanz von fünf Metern im Auge zu behalten. Das passt nun dem Ordnungsmann so gar nicht ins Konzept, schließlich hält er sich schon über 45 Minuten vor dem Haus der Pospichiels auf und muß noch auf den Westfriedhof, dort soll um diese Zeit ein besonders hartnäckiger Gesetzesbrecher unter böswilligem Verlassen der dafür angelegten Wege das Grab seiner Frau unter Zuhilfenahme einer Abkürzung quer über eine Wiese ansteuern. Dafür wird Postleid heute 10 Euro kassieren und -was ihm immer besonders viel Freude macht- eine ernsthafte Verwarnung aussprechen.
Der Bürger an sich glaubt ja oftmals, es sei damit getan, dem Mann vom Ordnungsamt den geforderten Obolus zu zahlen, doch da haben die Leute die Rechnung ohne Postleid gemacht. In dessen Stellenbeschreibung heißt es nämlich, er solle „die Bürger für die Belange der öffentlichen Ordnung sensibilisieren“. Und das legt Postleid sehr umfangreich und phantasievoll aus. Um ein aufklärendes Gespräch mit ihm kommt kein Bürger herum und diese Gespräche können sich auch schon mal ein halbes Stündchen hinziehen. Gerne würde Postleid ja zu drakonischeren Strafen greifen und ihm steht der Sinn nach Pranger, Teeren und Federn und öffentlichem Auspeitschen. Ja, das Peitschen würde er sogar selbst übernehmen und sogar die Peitsche von zu Hause mitbringen, aber leider war eine diesbezügliche Eingabe an die Amtsleitung erstaunlicherweise einfach unbeantwortet geblieben, weshalb sich Postleid für das Erste mit Bußgeldern, der eindringlichen Ermahnung und der Beschlagnahme gefährlicher Tatwerkzeuge zufriedengeben muß.
Aber ja! Er hat ja noch die Nordic-Walking-Stöcke! Davon holt er nun einen und schiebt diesen durch den Spalt im Zaun. Dabei ruft er: „Komm, Hund, komm!“
Und tatsächlich, der Dackel reckt und streckt sich wieder, schüttelt sich die Sonne aus dem Fell und gähnt einmal in Richtung des Stocks, der da durch den Zaun wackelt.
Ein Angriff! Endlich hat der Dackel Aggression gezeigt! Jetzt kommt der auch noch her! Postleid knipst mit der einen Hand das blutrünstige Treiben des Wolfsabkömmlings und sticht mit der anderem mit den beschlagnahmten Sportstab auf den sich nähernden Aggressor ein.
Der Dackel will den Stock eigentlich nur beschnuppern, ihm ist das Ganze völlig egal, da kommen den ganzen Tag Leute vorbei und vor allem die Kinder stecken immer mal wieder irgendwas durch den Zaunspalt. da hätte er als Dackel mit immerhin 11 Jahren ja viel zu tun, würde er da jedes Mal in Aufregung geraten.
Aber als ihn dieser Stock nun an der Nase trifft, kläfft er doch mal kurz zur Warnung, heult dann einmal kurz vor Schmerz und zieht es vor, wieder in seine Hütte zu verschwinden.
Postleid ist erregt, in seiner Hose spannt sich etwas und mit zitternden Fingern steckt er seine Kamera ein, die Beweise sind gesichert. Er zieht den Stock wieder zurück und eilt zu seinem Wagen. Dort ergreift er sein Funkgerät und spricht hastig hinein, das Tierheim muß kommen, der Hund sofort in Gewahrsam genommen werden, nur mit Not habe er einen heimtückischen Angriff des sich wie ein Berserker gebärdenden nahezu kalbsgroßen Viehs überlebt. Alles fotografiert und notiert!
Die Leute vom Tierschutz und von der Polizei werden den Rest erledigen, er muß weiter. Zwar hat er den Zeitpunkt des gemeingefährlichen Wegverlassers auf dem Friedhof nun verpasst, zu sehr hat ihn der Kampf mit dem bissigen Monstrum in Anspruch genommen, doch jetzt ist genau die richtige Zeit, um einen anderen Bösewicht zu überführen. Da parkt nämlich am Altenheim „Amalienstift“ immer einer der Mitarbeiter an einer mit „Nur vorwärts einparken!“ bezeichneten Stelle hartnäckig rückwärts ein.
Dem wird er nun das Handwerk legen!
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