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Spitze Feder

Barbaren sind immer die anderen

Man hört, sieht und liest es ja immer wieder in den Nachrichten, dass seit dem Ende des kalten Krieges dieses und jenes…Irak, Libyen, Sudan, Syrien…überall Barbaren, die mit unerbittlicher Härte gegen die eigene Bevölkerung…

Wenn die Verkünder jener fragwürdigen Erkenntnis mit dem Ende des kalten Krieges den Zusammenbruch der Sowjetunion meinen, kann ich nur sagen, dass der heutige heiße Krieg um ein Vielfaches barbarischer ist, als es der vermeintlich kalte jemals war. Bis zum 8. Dezember 1991 war ja soweit noch alles klar. Da gab es die Bösen, sprich: Den Warschauer Pakt und die Guten…die NATO…also uns.

Die Sowjetunion (vulgo: der Russe) übte im Warschauer Pakt und den assoziierten Vasallenstaaten wie Kuba, Ägypten, Benin, Burkina Faso, Guinea-Bissau und wie die „zeitweise sozialistische Staaten unter sowjetischen Einfluss“ sonst noch hießen, ein Regiment der eiserner Hand aus, vor dem man sich wahrlich nur fürchten konnte. Da waren sich alle einig: Konrad Adenauer, Lyndon B. Johnson, Winston Churchill, Charles de Gaulle, oder auch seine Heiligkeit Johannes XXIII…also ganz oben.

Da war nix mit Demokratie, freier Meinungsäußerung, oder sozialer Marktwirtschaft, wie bei uns heutzutage. Die Ägypter mussten beispielsweise ihre gesamte Baumwoll- und die Kubaner ihre komplette Zuckerrohrernte weit über Weltmarktpreis nach Moskau verkaufen. Das musst Du Dir mal vorstellen! Barbarisch, oder?

Damit sich die Welt wenigstens mit solch essentiellen Dinge wie Kupfer problemlos versorgen konnte, haben die US-amerikanischen Friedensmissionare der CIA 1973 den linksradikalen Präsidenten Salvador Allende, der der sozialistischen Idiotie verfallen war, die Chilenischen Bodenschätze gehörtem dem Chilenischen Volk…die Friedensmissionare der CIA haben also Salvador Allende mit einem geschmeidigen Militärputsch aus dem Amt gejagt und dem Verfechter des freien Welthandels Augusto Pinochets die Geschicke des Landes übertragen.

Im südamerikanischen Guatemala sorgten die Friedensmissionare der CIA 1954 mit der Operation SUCCESS dafür, dass der widerrechtlichen Grundstücksenteignung der US-Firma United Fruit Company durch den sozialistischen Staatspräsidenten Jacobo Arbenz ebenfalls ein Ende gesetzt wurde. Der dachte nämlich, dass der Boden in Guatemala dem guatemaltekischen Volk gehöre. Barbarisch, oder?

Bis Ende der 80er des vergangenen Jahrhunderts waren der Warschauer Pakt, also die Bösen, und die NATO, die Guten, mit über 80.000 Atomsprengköpfen bis an die Reißzähne hochgerüstet; mit den brachialsten Waffen, die der (un-)menschliche Erfindergeist jemals hervorgebrachte hatte. Man sprach vom x-fachen Overkill, sprich: Man hätte den Planeten mehrfach vernichten können – und genau deshalb haben es auch beide Seiten tunlichst vermieden, auf den roten Knopf zu drücken.

Im 21. Jahrhundert sind die Waffen zwar immernoch barbarisch, aber sie sind jetzt um Einiges smarter. Um eine arabische Großstadt nebst deren Bewohner einzuäschern, oder eine dort stattfindende Hochzeitsgesellschaft mal eben zu eliminieren, muss sich kein Soldat der freien, demokratischen Wertegemeinschaft mehr auf die beschwerliche Reise in ein fremdes, für Leib und Leben gefährliches Land machen. Die Schützen von heute verrichten ihr Tagwerk in klimatisierten Büros via Joystick, tausende Meilen vom Ground Zero ihrer Bomben entfernt – zu ihrer eigenen Sicherheit; Weihnachtsgeld und Überstundenzulage inklusive.

Seit der Russe als Supermacht von der Weltbühne verschwunden ist, können sich die Friedensmissionare beinahe auf dem kompletten Globus um die Durchsetzungen von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten kümmern – und natürlich um den freien, länderübergreifenden Zugang zu sämtlichen Ressourcen und last but not least um den freien Welthandel mit diesen Rohstoffen. Um Himmels Willen, beinahe hätte ich es vergessen: Und natürlich um Brunnen und Mädchenschulen…ganz wichtig.

Deshalb hat sich die demokratische Wertegemeinschaft auch durch viele erfolgreiche Friedensmissionen solch übler Despoten wie Nur Muhammad Taraki, Muammar al-Gaddafi, Saddam Hussein etc. entledigt und der ehemals von brutaler, sozialistischer Misswirtschaft unterjochten Bevölkerung endlich Frieden, Freiheit, Wohlstand und vor allen Dingen Brunnen und Mädchenschulen gebracht, damit die Menschen im Irak und ihn Libyen endlich ihre Bodenschätze zu ihrem eigenen Wohle vermarkten können. Allem voran natürlich Erdgas und Erdöl…

Als nächstes muss noch Baschar Hafiz al-Assad weg. Genau jener Diktator, der dem syrischen Volk Freiheit, Demokratie und Menschenrechte vorenthalten will…und auch Brunnen und Mädchenschulen. Zudem lehnt er es strikt ab, dass eine Pipeline durch Syrien gebaut wird, die Gas aus Katar über Kuweit, Saudi Arabien und die Türkei in die EU liefern soll. Statt dessen zieht Assad es vor, dass die Iraner, die das gleiche Feld wie die Kataris ausbeuten, jenes Gas über eine neue Pipeline durch Syrien an wen auch immer verticken. Barbarisch, oder?

Dummerweise ist hier der Russe mit im Boot, da Syrien über viele Generationen mit dem Iwan freundschaftlich…Da kann man jetzt nicht so einfach mal eine CIA-Friedensmission á la Chile…oder vielleicht doch? Seit 2011 fließen jedenfalls weder Öl noch Gas, dafür aber jede Menge Waffen aus dem Ausland durch Syrien, um einen lokal begrenzten, aber profitablen Bürgerkrieg am Köcheln zu halten, damit eines Tages, wenn die Pläne der demokratischen Wertegemeinschaft aufgehen, der brutale Diktator Assad aus dem Amt gejagt werden kann. Schließlich hat der elende Mistkerl Fass-Bomben und Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eigesetzt. Barbarisch, oder?

Wie, dafür gibt es keine Beweise? Und was ist mit der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschrechte? Wie bitte? Das ist ein einziger Exil-Syrer, der in London Twitter-Nachrichten und Handy-Filmchen an die westlichen Medien verhökert. OK. Aber die Weißhelme! Wie bitte? Die wurden von einem ehemaligen britischen Söldner gebildet und mit Hunderten von Millionen Dollar zugeschissen, damit sie gegen Assad…

Aber das Giftgas, das wurde wirklich gegen die syrische Bevölkerung eingesetzt. Stimmt! Aber nicht von Assad, wie immer behauptet wird. Diese Barbarei wurde von der Al Nusra Front veranstaltet, um sie Assad in die Schuhe zu schieben, damit die demokratische Wertegemeinschaft Luftangriffe gegen Damaskus fliegen konnte. Die gleiche Al Nusra Front, die vorher von der demokratische Wertegemeinschaft mit Waffen und eben jenem Giftgas versorgt wurde…

Aber das völlig unerheblich. Assad muss weg. Feierabend. Genauso wie Nur Muhammad Taraki, Muammar al-Gaddafi und Saddam Hussein weg mussten, damit die demokratische Wertegemeinschaft der geschundenen Bevölkerung auf dem Globus endlich, endlich Frieden, Freiheit, Wohlstand und vor allen Dingen Brunnen und Mädchenschulen…

Wie, das soll zynisch sein? Was den bitteschön? Das soeben Gelesene, oder das, was tagtäglich im Namen der demokratische Wertegemeinschaft veranstaltet wird? Hallo Leute: Es ist ein und dasselbe. Barbaren sind immer die anderen.


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Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 17. September 2020 | Peter Grohmüller 17. September 2020

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