Gestern noch war ich das Arschloch und die dumme Sau, weil ich mich an das vorgeschriebene Tempolimit gehalten habe. Heute bin ich abartig, verdächtig und gehöre in die Anstalt. Was für ein schrecklicher Mensch ich doch bin!
Was habe ich getan?
Ich bin gestern mit meinem neuen Toyota Yaris etwas herumgefahren. Ich hatte noch ein Buch bei einem Freund abzuliefern und habe anschließend einen ruhigen Platz gesucht, um meine neue Dashcam richtig einzurichten.
Ich habe die Dashcam, über die ich hier ja schon geschrieben habe, nämlich in meinem ersten Elan etwas ungünstig platziert. Die ausgesuchte Stelle hinterm Rückspiegel an der Windschutzscheibe ist schon okay, allerdings muss auf der linken Seite das von hinten kommende Kabel der hinteren Kamera eingestöpselt werden. Und genau für den Stecker fehlen mir 2 mm Platz, weil da die Halterung vom Rückspiegel im Weg ist. Also muss die nochmal ab und ein kleines Stück versetzt werden.
Außerdem wollte ich noch einen Polarisationsfilter aufs Objektiv stecken, um Reflexionen vom Armaturenbrett zu verhindern und die SD-Karte wollte ich auch noch austauschen. Eine von Verbatim war nicht gut und schnell genug, weshalb ich beim Dashcam-Shop.de noch eine schnellere von Viofo nachgeordert hatte.
Man muss ja bedenken, dass die Dashcam permanent aufzeichnet und die ältesten Aufnahmen auch immer gleich wieder löscht. Das muss eine SD-Karte auch erstmal aushalten und billige tun das eben nicht.
Ach ja, einen Hot-Button hatte ich mir auch noch bestellt. Die Viofo-Dashacam 229 Pro reagiert zwar auf Sprachkommandos und hat natürlich an der Kamera einen Safe-Button, aber es gibt einen billigen Zusatzknopf, den man frei im Auto platzieren kann, und den hatte ich mir auch gekauft.
Es ist so: Die Kamera zeichnet ja permanent auf. Die Videos sind bei mir immer 2 Minuten lang, dann fängt eine neue Aufnahme an. Ich habe noch keine Erfahrungen, wie viele Aufnahmen die Kamera macht, aber eins ist gewiss, wenn die maximale Anzahl erreicht ist, wird die älteste überschrieben. Das ist ja richtig, so, denn ich will ja nicht auf Ewigkeiten alle Fahrten aufzeichnen, sondern im Falle eines Falles Unfälle, Vandalismus u.ä. aufzeichnen. Jetzt kann es natürlich sein, dass vor der Kamera etwas passiert, dass ich gerne aufgezeichnet haben und behalten möchte. Das könnte z.B. eine kuriose Situation sein oder ein krasses Fehlverhalten, das nicht in einen Unfall mündete etc.
Damit die Kamera dann so einen Clip nicht überschreibt, kann man ein Sprachkommando sagen oder einen Knopf an der Kamera drücken und dann wird die letzte Aufnahme dauerhaft geschützt und nicht überschrieben.
Und dafür gibts einen kleinen Fernsteuerknopf, den man überall im Auto ankleben kann. Ich habe es an der Mittelkonsole gemacht, wo der Knopf gut zu erreichen ist.
So, und all das wollte ich in Ruhe irgendwo machen, wo mir niemand auf den Senkel geht. Also bin ich ins neue, noch unbebaute Gewerbegebiet „In den Milben“ in Edingen gefahren, wo außer Straßen und Parkbuchten weit und breit nichts und niemand ist.
Da stehe ich also, sitze bei geöffneter Fahrertür in meinem Auto und verstaue das Kabel hinterm Wagenhimmel, höre dabei leise Radio und freue mich, weil die Sonne etwas scheint. Alles geht mir gut von der Hand, die gekauften Teile passen alle, alles funktioniert.
Und dann kommt da aus Richtung Neckarhausen dieses Ehepaar gelaufen. Wäre ich nicht selbst schon so alt, hätte ich „dieses Rentnerehepaar“ geschrieben.
Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie das Paar so etwa 30 Meter entfernt stehenbleibt und offenbar über mich redet. Der Mann zeigt öfter mit dem Finger in meine Richtung.
Dann kommen sie näher. 10 Meter entfernt bleiben sie stehen und beobachten genau, was ich tue.
Als ich aussteige, um an der Heckklappe die Rückfahrkamera anzukleben, grüße ich freundlich mit „Hallo“ und mache weiter.
Das Ehepaar kommt näher. Er reckt sich und fragt: „Darf man mal fragen, was Sie da machen?“
„Ich mach halt hier so Sachen.“
„Das ist ja keine Antwort auf meine Frage.“
„Ich mach was an meinem Auto fest.“
„Sie wissen schon, dass Sie quer in drei Parkbuchten stehen?“
„Ja, das weiß ich. Hier sind ganz viele Parkbuchten und nirgendwo steht irgendjemand, und weil ich was ausprobieren will, passt mir das gerade so am besten.“
„So geht das aber nicht! Wir sind schließlich hier in Deutschland.“
„Das merkt man.“
„Was soll das denn heißen?“
„Das soll heißen, dass jemand, der an einem schönen Sonntagmittag in einem abgelegenen Gewerbegebiet ungestört etwas machen will, sofort das Misstrauen wildfremder Leute auf sich zieht.“
„Mit Recht!“
„Genau!“
„Sind Sie doch nicht so unfreundlich!
Die Frau mischt sich ein: „Ja genau, Sie sind unfreundlich, wir wollen ja nur was wissen.“
„Was wollen Sie denn wissen?“
Sie: „Ja, was Sie hier machen, das ist nämlich verdächtig.“
„Wenn also an einem Sonntagmittag jemand irgendwo auf einem Parkplatz steht und ein Kabel durch ein Auto zieht, dann finden Sie das verdächtig?“
Er: „Lassen Sie mich mal in Ihren Kofferraum sehen!“
Ich: „Wozu?“
Er: „Ob da was Abartiges drin ist.“
Ich lasse das Kabel sinken, gehe einen Schritt auf die beiden zu, die weichen zurück, und ich sage mit gesenkter Stimme: „Ich verrate Ihnen jetzt was. Darüber habe ich mit noch niemandem gesprochen: In meinem Kofferraum befinden sich ein Warnkasten und ein Verbandsdreieck!“
Sie: „Ich melde das!“ Und sie zückt ihr Smartphone und fängt an, mich zu filmen.
Ich grinse nur und wende mich kopfschüttelnd wieder meiner Arbeit zu.
Er: „Man hört ja in letzter Zeit so viel und Sie sind so ein Typ.“
Das macht mich neugierig: „Was für ein Typ bin ich denn?“
Sie: „Das haben wir schon von weitem gesagt. Sie haben so etwas Abartiges an sich, wie sie sich so bewegen und wie Sie so gucken. Voll wie so einer, der was im Schilde führt.“
„Okay, ich kann Sie beruhigen. Ich bin seit 20 Jahren nicht mehr abartig gewesen und ich führe auch nix im Schilde.“
Er: „So Leute, wie Sie, die gehören in eine Anstalt. Einfach weggesperrt. Das hat doch alles seine Ordnung hier in Deutschland. So etwas hat’s früher nicht gegeben. Das kann doch wohl nicht wahr sein!“
„Jetzt mal ernsthaft. Sie gehen hier sonntags spazieren. Dann sehen Sie jemanden, der etwas an einem Auto macht. Und da kommen Sie zu allererst auf die Idee, dieser Jemand muss etwas Abartiges machen und müsse in eine Anstalt gesperrt werden. Das finden Sie normal?“
„Gertrud, hast Du das alles auf Video? Das müssen wir drin vorspielen!“ (Zu Erklärung: Mit drin meinen die Eingeborenen hier meist ‚auf dem Rathaus‘, ‚bei einer Behörde‘ oder so.)
Sie: „Schreib die Nummer auf!“
Sie filmt, er schreibt und ich drücke das Kabel hinter die Gummidichtung.
Er: „Wir rufen gleich an, tät‘ mich nicht wundern, wenn man Sie hier noch abholt.“
Ich: „Amerikanische Wissenschaftler haben festgestellt, dass nahezu 100 % aller Eimer oben eine Öffnung haben.“
Das Ehepaar: Trollt sich zeternd.
Ich frage Euch: Was treibt ganz normale Menschen an, sich so zu verhalten?
Wie krank müssen diese Leute im Kopf sein, einen anderen einfach zu belästigen, in ein sinnloses Gespräch zu verwickeln, gegen seinen Willen zu filmen, ihn zu beleidigen, abholen lassen zu wollen und wegsperren lassen zu wollen?
Ich glaube, solche Leute sind es, die so jemanden wie Hitler möglich gemacht haben. Was meinst Du?
- abartig: Peter Wilhelm ki
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