von Peter Grohmüller:
Wenn man hierzulande ein Kraftfahrzeug dauerhaft im öffentlichen Raum bewegen möchte, muss dieses von Amts wegen zugelassen sein, für jedermann erkennbar anhand der sogenannten polizeilichen Kennzeichen (vulgo Nummernschilder). Zu diesem Zweck begibt man sich auf die Zulassungsstelle und füllt einen Antrag aus. Dafür benötigt man einen gültigen Personalausweis und muss eine sogenannte Deckungskarte (heute elektronische Versicherungsnummer aus dem Netz) nebst eines gültigen Nachweises des einwandfreien technischen Zustands des Fahrzeugs (vulgo TÜV-Abnahme) vorlegen.
Danach darf man natürlich noch einiges an Talern berappen, die Nummernschilder kaufen und selbige dann fachgerecht am Fahrzeug montieren. Die Deckungskarte zeigt übrigens der Zulassungsstelle, dass der Halter in der Lage ist, seiner Haftpflicht nachzukommen, die Kosten eines möglichen Schadens, der mit der Benutzung des Fahrzeugs ursächlich in Zusammenhang steht, über die Schadensdeckungssumme seiner Versicherungsgesellschaft begleichen zu können. Mit der Verantwortung für das Fahrzeug, übernimmt der sogenannten Halter nämlich gleichzeitig die Haftpflicht.
Jetzt mag der Leser zurecht denken: Toll! Na und? Was ist daran bitteschön neu? Nix ist daran neu! Es ist schlicht und ergreifend eine Binsenweisheit, dass jeder, der für wen oder was auch immer Verantwortung übernimmt, damit gleichzeitig auch die Pflicht übernimmt, im Falle eines Schadens die Haftung zu tragen. Und was ist daran bitteschön neu? Nix ist daran neu, aber diese banale Einleitung musste einfach sein, und der Leser sollte sie bei der Lektüre des nachfolgenden Beitrags immer auf dem Schirm haben.
Und jetzt zum eigentlichen Thema: Verantwortung übernehmen.
Eine gängige Formel und, wie der Betrag zeigen wird, eine höchst sinnfreie Worthülse, die gebetsmühlenhaft den politischen Alltag durchzieht. Alle, die sich zur Wahl stellen, wollen „gestalten“ und „Verantwortung für das Land übernehmen“. Das ist auch in Ordnung so. Jeder kleine Handwerker trägt die Verantwortung für seine ausgeführten Arbeiten. Mit einem entscheidenden aber gewichtigen Unterschied zu den gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertretern: Der kleine Handwerker trägt mit seiner Verantwortung auch gleichzeitig die Haftpflicht für das, was er tut. Baut er also Mist und/oder fügt jemandem einen Schaden zu, muss er dafür gerade stehen. Ohne Wenn und Aber. Nicht so die deutsche Volksvertreterin und der deutsche Volksvertreter.
Karl Ernst Thomas de Maizière, der scheidende Bundesminister des Inneren hat für dieses immens wichtige Amt gleich zweimal die Verantwortung übernommen: 2009 und 2013, und zeichnete somit zweimal für sämtliche Institutionen verantwortlich, die für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger dieser Republik zuständig sind:
· Bundespolizei
· Bundesnachrichtendienst
· Bundesamt für Verfassungsschutz
· Bundeskriminalamt
· und, und, und
In den Verantwortungsbereich de Maizières fiel somit auch der verheerende Anschlag des sogenannten islamistischen Attentäters Anis Amri am 19. Dezember 2016 auf den Weihnachtsmarkt des Berliner Breitscheidplatzes mit 11 Toten und 55 Verletzten. Wie gemäß der üblichen Salamitaktik nach und nach bekanntgegeben wurde, oder besser: Bekanntgegeben werden musste, stand Amri lange vor seiner Bluttat auf dem Radar zig verschiedener Behörden, die wiederum unter Thomas de Maizières Verantwortung stehen…noch stehen. Er verlässt ja bekanntlich das Amt…noch bevor der nun erneut eingesetzte parlamentarische Untersuchungsausschuss sein Ergebnis präsentieren wird.
Man hätte Anis Amri wegen verschiedener Delikte bereits Wochen vorher festnehmen können, und, wie sich später herausstellte, festnehmen müssen. Unter anderem war zum Zeitpunkt des Anschlags bereits bekannt, dass er alleine mit 14 verschiedenen Identitäten quer durch Europa reiste, dass er Kontakte zur radikal-salafistischen Szene pflegte, wie am 27. Oktober 2015 ein ehemaliger Zimmernachbar der Polizei mitteilte, dass er wegen des Besitzes von Drogen festgenommen und wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, dass der Verfassungsschutz dies alles wusste, Amri jedoch gewähren ließ, um eventuell an seine Hintermänner heran zu kommen…Kurzum: Die vermeintlich dilettantische Polizeiarbeit hatte durchaus System und Thomas de Maizière trägt dafür selbstredend die Verantwortung, die er bei Amtsantritt übernommen hat.
Die trug er natürlich auch in der sogenannten Abhör-Affäre, als über den Whistleblower Edward Snowden bekannt wurde, dass der US-Geheimdienst NSA und dessen britisches Pendant GCHQ sämtliche Telefonate, Mails, SMS-Nachrichten etc. flächendeckend aufzeichnen…übrigens mit aktiver Unterstützung durch den BND, wie sich später herausstellte.
Es wäre ein Leichtes für de Maizière und auch ein Stück weit seine moralische Pflicht gewesen, coram publico zu erklären, dass die USA laut Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut über alliierte Vorbehaltsrechte verfügen und deshalb Post und Telefone (übrigens auch das Handy der Kanzlerin) ganz legal überwachen dürfen. Ende der Durchsage.
Statt dessen belogen er und der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla mit schäbigen Verharmlosung und dreisten Vertuschungen die Bevölkerung nach Strich und Faden …da wäre nichts…alles nur Spekulationen…krude Aussagen eines Landesverräters…die amerikanischen Freunde hätten dies de Maizière bei einem Besuch in Washington glaubhaft versichert…die NSA-Affäre sei somit beendet.
Da de Maizière als Innenminister damals die Verantwortung trug, hätte er aus Gründen der selbigen eigentlich zwingend zurücktreten müssen. Da er diesen Schritt selbst nach den billigend in Kauf genommenen 11 Toten und 55 Verletzten nicht unternahm, sollte sich doch jedem vernünftig denkenden Menschen die Frage stellen, weshalb ihn die Bundeskanzlerin als seine Vorgesetzte nicht seines Amtes entbunden und damit faktisch selbst die Verantwortung für sein unglaubliches Fehlverhalten übernommen hatte.
Ich gestehe, das war natürlich reine Polemik.
Karl Ernst Thomas de Maizière wird demnächst im Schloss Bellevue von dem Herrn Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier nach einer würdevollen Laudatio auf seine unermüdliche Arbeit für das Wohl der Bundesrepublik seine Entlassungsurkunde nebst astronomischen Pensionsansprüchen erhalten, von denen unter anderen die 55 Überlebenden des Massakers vom Breitscheidplatz nur träumen können. Danach wird er feierlich aus seiner Verantwortung verabschiedet, wie alle Minister vor ihm, und alle nach ihm. Ende der Durchsage, zum zweiten.
Man könnte an dieser Stelle noch eine endlose Reihe von Vorkommnissen aufzählen, in denen jemand aus der Politik die Verantwortung für wen oder was auch immer hat oder hatte:
· 800 Millionen € für eine Drohne, die nicht fliegen darf
· über hundert ermordete Zivilisten in Kundus (Afghanistan)
· tausende im ehemaligen Jugoslawien
· die Pleite der HSH-Nordbank
· hunderte von Milliarden € für Bankenrettungen
· Elbphilharmonie
· BER
· Stuttgart 21
· und, und, und…
Letzten Endes kostet diese Verantwortung die Verantwortlichen nicht mal einen Appel und ein Ei, denn sie kostet sie garnix. Im Gegensatz zu uns Normalsterblichen, die den ganzen Politbetrieb über unsere Steuern alimentieren dürfen und für den ganzen Mist zu Kasse gebeten werden, bedeutet Verantwortung in der Politik nämlich allesmögliche, aber niemals Haftpflicht.
Wenn mich vor dem Supermarkt im nächsten Wahlkampf ein Kandidat, aus welchem Lager auch immer, anspricht und mir mitteilt, dass er gerne meine Stimme hätte, da er Verantwortung für unser Land übernehmen wolle, werde ich ihm sagen: Ich auch!
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