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Spitze Feder

Nur das Notwendigste

Irgendwie habe ich gerade ein Déjà-vu – es ist wie in den Sechzigern. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen es noch regelmäßige Sirenentests gab. Damit sollten sowohl die Sirenen, als auch die Bevölkerung auf den Fall der Fälle vorbereitet sein, wenn der Russe oder seine Raketen kämen. Man sollte sich dann, also wenn der Iwan tatsächlich auf der Matte stand, hurtig in den Luftschutzbunker oder in den heimischen Keller verkrümeln. Wer sich gerade auf freier Flur bewegte und den Atompilz in den Himmel aufsteigen sah, sollte sich auf dem Acker in gebückter Stellung tarnen und seinen Kopf mit einer Aktentasche oder ähnlichem bedecken. Solche und weitere nützliche Tips wurden einem bereits in der Schule ans Herz gelegt. Harrte man bei einem Luftangriff dann in Keller oder Bunker aus, bis sich der Fallout russischer Atombomben verzogen hatte, musste man unbedingt das Radio einschalten und den Anweisungen des Katastrophenschutzes Folge leisten.

Kann aber nie dazu. Nach ein paar Minuten infernalischen Geheuls war der Spuk vorbei, und die Klasse wurde vom Lehrer ermahnt, wieder still zu sitzen. Der Russe hatte es sich jedes Mal anders überlegt. Nebenbei bemerkt hatte der Russe niemals irgend jemanden angegriffen, aber das ist eine andere Baustelle. In jenen Wirtschaftswunder-Zeiten gemahnte der damalige Bundeskanzler Ludwig Erhard seine Landleute im Sinne eben jenes Katastrophenschutzes, einen adäquaten Vorrat an Lebensmitteln anzulegen, diesen regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls aufzufrischen. Schließlich sollte die Leibesfülle, die den neuen Wohlstand repräsentierte, auch in Zeiten kriegerischer Entbehrung gepflegt werden können.

Da wir Deutschen seit über 70 Jahren keinen Krieg mehr angezettelt haben, der unser eigenes Territorium involviert hätte, verbreitete sich in der Bevölkerung eine geradezu sträfliche Gedankenlosigkeit, was die persönliche Vorsorge gegenüber Eventualitäten der lästigen Art betrifft. Wir regen uns zwar darüber auf, dass gefühlt alles teurer wird, aber die Supermärkte haben beinahe rund um die Uhr geöffnet, und zur Not gibt es auch nach Mitternacht oder sonntags alles Lebensnotwendige bei der Tanke. Zwar zu völlig überzogenen Preisen, aber immerhin.

Weshalb also Lebensmittel bunkern? Man möchte Bundesinnenminister Thomas de Maizière nun wirklich nicht das Format eines Ludwig Erhard andichten – weder physisch, noch intellektuell. Man ist ja mittlerweile gewohnt, dass er aufgrund seines bekanntermaßen eingeschränkten Horizonts Aufsehen erregende Ideen bei dritten zu klauen pflegt, oder eben uralte Schinken auf den Plattenteller legt, um damit „auf die neuen Herausforderungen reagieren zu können“. Mit der Idee des Hamsterns tritt er gerade noch rechtzeitig auf den Plan. Denn noch gibt es einige wenige, die den vorletzten deutschen Angriffskrieg und die Zeit danach in den Trümmern miterlebt haben. Die kann man mit dem Hinweis auf eventuell drohendes Magenknurren noch animieren, den Umsatz der Dosensuppenhersteller in die Höhe zu treiben und die Nachfolgegenerationen eventuell mitzureißen.

Nun fragt sich der Michel zu Recht, was er doch bitteschön und in welchen Mengen bunkern sollte. Wir sind es, wie bereits erwähnt, ja gewohnt, beim Supermarkt immer alles zu bekommen. Deshalb ist sich der friedensverwöhnte Bürger einfach nicht mehr bewusst, dass es anders kommen könnte. Gottlob gibt es aber zu diesem Zweck das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – wusste ich bisher auch nicht. Man merkt, der Bundesregierung kann man vertrauen. Die kümmert sich wirklich um alles, was den Michel in seiner Bequemlichkeit einschränken könnte. Und da es so aussieht, dass wir mal wieder eine richtig zünftige Katastrophe brauchen, um auch den letzten Spöttern und Zweiflern am alternativlosen Handeln von Merkel & Co das lose Maul zu stopfen, wird die marktgerechte Inszenierung des Hosentaschen-Armageddon vermutlich gerade auf dem Reißbrett durchexerziert.

Thomas de Maizière und seine Innen-Katastrophen-Beauftragte haben hierzu schon mal alle möglichen Szenarien durchgespielt, und ich sage Euch, das wird wahrlich kein Zuckerschlecken. Es reicht schon, wenn durch eine Cyber-Attacke zwei Wochen der Strom ausfällt. Da geht quasi nix mehr. Wasserversorgung, Sprit, Lebensmittel, Bares? Vergiss es! Da mittlerweile alles überall irgendwie direkt oder indirekt Strom braucht – jede Pumpe im Wasserwerk und an den Tankstellen, jede Kasse im Supermarkt, der Kühlschrank zu Hause, etc. – sind wir ohne den Saft aus der Steckdose ganz schön in den Arsch gekniffen. Noch nicht einmal Pokémon Go! Denn auch mit dem Internet und den Mobilfunkverbindungen wäre dann Essig. Grausamer Gedanke. Aber, wie bereits erwähnt, kümmert sich unsere Bundesregierung um alles, um uns die Zeit der bevorstehenden Entbehrungen so angenehm wie möglich….Nein, der Satz war dann doch irgendwie Scheiße. Jedenfalls gibt es von dem oben erwähnten Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eine Web-Site, auf der man sich alle Infos für die Zeit des geplanten Darbens downloaden kann.

http://www.bbk.bund.de/DE/Ratgeber/VorsorgefuerdenKat-fall/VorsorgefuerdenKat-fall.html

Aber das sollte man gleich tun und – ganz wichtig – sofort ausdrucken, solange es noch Strom gibt. Ich muss hier leider Schluss machen, da ich dringend zum Einkaufen muss.

Notrationen gibt es hier zu kaufen (klick!).

notration

Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 3. Februar 2020 | Peter Grohmüller 3. Februar 2020

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