Über den Kotau der deutschen Kanzlerin, die bei Charlie Hebdo Kullertränen vergoss und nun einen Satiriker auf dem Scheiterhaufen der Anbiederung opfert
Ich gestehe: Mutti hatte was gut bei mir. Die Betonung liegt auf „hatte“. In den gefühlten einhundert Jahren ihres bisherigen Pontifikats habe ich mich immer wieder gefragt, ob die Frau weiß, was sie tut, und wenn ja, weshalb und in wessen Auftrag?
Ihr peinliches Pathos, mit dem sie die von ihr höchst selbst definierte Alternativlosigkeit ihres politischen Œuvre vor sich hertrug wie der Weihbischof eine Monstranz, ohne auch nur ansatzweise Alternativen, die es sehr wohl und immer gibt, in Betracht zu ziehen, hatte tendenziell schon stark autistische Züge.
Und dann ballerte Mutti, in Anlehnung an das berühmte Mantra des Drohnenkriegers aus Übersee, mal eben eine spontane Breitseite in die Mikros der völlig überraschten Journaille, dessen Widerhall um den Globus raste: „wir schaffen das“. Gemeint war, dass wir, will meinen die Steuerzahler hierzulande, für Kost und Logis der Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten irgendwie schon aufkommen würden.
Da hatte Mutti was gut bei mir. Zum einen, weil sie sich, möglicherweise sogar unbewusst, an das Grundgesetz, Abteilung Asylrecht erinnerte, nachdem sie das Recht auf Privatsphäre bereits en passant an die NSA verhökert hatte; zum anderen, weil irgend jemand für die dreckigen Waffendeals via Bundessicherheitsrat, mit denen die Kriege auf dem Globus befeuert, was sage ich: ermöglicht werden, ja schließlich gerade stehen muss. Und dieser irgend jemand ist: richtig, ebenfalls der Steuerzahler. Nur dass ich mich mit dem Gedanken, Kriegsopfer zu unterstützen eher anfreunden kann, als wenn meine Kohle im Rachen der Investmentbanker verschwinden. OK, gähn, kennen wir schon, andere Baustelle.
Dass das mit den Flüchtlingsströmen mengenmäßig irgendwie dann etwas aus dem Ruder laufen könnte, hatte die Pastorentochter aus der Täterä irgendwie nicht auf dem Radar, als sie ihr „wir schaffen das“ flötete. Es wurde immer mehr, die ihrer Einladung folgten. Einige davon ließen am Kölner Bahnhof die Sau raus, wie übrigens alljährlich die Lederhosen-Snobs im Suff beim Oktoberfest, aber das sind ja keine Neger oder Araber, das ist ja beinahe schon Folklore.
Die faschistische Grundtendenz bei der CSU und in weiten Teilen der Bevölkerung spielte fortan mit den Muckis und bescherte der AfD Traumquoten. Ergo musste jemand Mutti unter die Arme greifen und die Tür schließen, sprich die Drecksarbeit erledigen. Das kann zur Not auch mal ein Faschist wie Recep Tayyip Erdoğan sein, da ist Mutti nicht so wählerisch, wenn sie sich an die üblen Zeiten der Bückware in der Ostzone erinnert und ihre Felle davon schwimmen sieht.
Dass sie aber nun mit ihrer „Ermächtigung“ der deutsche Justiz förmlich aufoktroyiert, im Namen jenes faschistischen Türstehers gegen einen Künstler vorzugehen, und sei seine Kunst auch noch so doof, dass also Mutti das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung abschafft, um ihren Arsch zu retten, müsste eigentlich den Verfassungsschutz auf den Plan rufen.
Und falls es einige von Euch vergessen haben sollten: das letzte Mal, als von einer Ermächtigung die Rede war, schrieben wir den 23. März 1933. Damals sollte die Regierung „die Ermächtigung erlangen, ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat sowie ohne Gegenzeichnung des Reichspräsidenten Gesetze zu erlassen“. Kling ziemlich scheiße im Jahre des Herrn 2016, oder? Mutti HATTE was gut bei mir.
Bild Merkel: By Ralf Roletschek – Own work, CC BY-SA 3.0 at, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18602629
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“ dass also Mutti das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung abschafft“
Ach, die übliche Argumentation mit dem Grundrecht auf Meinungsäußerung. Also dem Grundgesetz im Allgemeinen. Wenn man sich aber den Artikel 5 GG, in dem die freie Meinungsäußerung verbrieft wird, auch mal komplett durchliest (was man eigentlich machen sollte, wenn man auf ihm seine gesamte Argumentation aufbauen lässt), dann liest man in Absatz 2:
„(2) Diese Rechte finden ihre Schranken (…) in dem Recht der persönlichen Ehre.“
Sprich: Wenn man jemanden beleidigt, dann ist das immer noch nicht erlaubt. Hier setzt auch der Volksverhetzungsparagraf an. Wenn ich laut skandieren würde, dass ich der Meinung sei, dass Auschwitz doch bitte schnell wieder in Betrieb genommen werden soll, und Juden und andere Volksgruppen bitte schnellstmöglich ausgerottet werden sollen, dann wäre das meine Meinung.
Aber auch hier kann ich mich nicht auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen, weil hier Schranken auferlegt werden.
„Freie Meinungsäußerung“ bedeutet hier, und auch im Kontext der „besorgten Bürger“, die teilweise oben aufgeführte Forderung absolut ernst geäußert haben, nicht, dass man ungestraft alles herausplappern darf, was man möchte, sondern nur, dass niemand aufgrund seiner Meinung nicht verfolgt werden darf.
Hätte Böhmermann also gesagt, dass er Herrn Erdogan und seine Art zu regieren ziemlich doof findet, wäre das eine Meinung. Ihm zu unterstellen, er würde Ziegen ficken, kann eine Beleidigung sein, und kratzt womöglich an Erdogans Würde – die in Deutschland durch Artikel 1.1GG besonders geschützt ist.
Der Schachzug von Frau Merkel war klug. Zum einen ist Erdogan jetzt besänftigt, zum anderen hat Merkel gegenüber der Weltöffentlichkeit demonstriert, dass Deutschland eisern an seiner Verfassung festhält, womöglich im Gegensatz zu gewissen anderen Nahost-Staaten, die einen Halbmond auf der Staatsflagge tragen…
Und zum dritten haben Richter und Staatsanwälte immer einen gewissen Ermessensspielraum, wie Gesetze auszulegen sind. Es liegt also an denen, zu entscheiden, ob das Verfahren überhaupt aufgenommen wird, gerade im Hinblick, dass die Regierung im gleichen Atemzug verkündet hat, den entsprechenden Paragrafen 103 StGB sowieso nochmal diskutieren zu wollen.
Ich vermute, am Ende wird es darauf hinaus laufen, dass sich Böhmermann bei Erdogan förmlich entschuldigen muss, aber das auch nur als Auflage des Freispruchs. So hat die Judikative als offizielle Instanz die Satirefreiheit, gerade im Hinblick der Schmährede gegenüber anderen Staatsoberhäuptern, gefestigt. Erdogan muss sich dann damit zufrieden geben, weil Recht gesprochen wurde, und Gerichtsurteile meist bindend sind, und Merkel hat für die Bundesrepublik nach außen hin Verfassungstreue und Diplomatie bewiesen, und kann weiterhin auf die Türkei als Verbündeten in welchen Fragen auch immer zählen.
Ist unterm Strich rationaler, als der jetzt ertönende empörte Aufschrei über Meinungsfreiheit, dessen Schreihhälse in 95% der Fälle nicht in der Lage waren, den entsprechenden Artikel im Grundgesetz komplett zu lesen.
> Der Schachzug von Frau Merkel war klug. Zum einen ist Erdogan jetzt
> besänftigt, zum anderen hat Merkel gegenüber der Weltöffentlichkeit
> demonstriert, dass Deutschland eisern an seiner Verfassung festhält,
> womöglich im Gegensatz zu gewissen anderen Nahost-Staaten, die einen
> Halbmond auf der Staatsflagge tragen…
Merk el hat sich damit nur vor der verantwortugn gedrückt zu sagen, daß Mejetätsbeleidigung in Ihrem Land ncih tstrafbar ist. Wenn sie nämlich §103 abschaffen will, brauch tise auch gar nciht erst die Justoz sich damit abquälen lassen.
Denn der Despot aus Kleinasien kann sich hierzulande mit §185 ausreichend gegen solche verbalen Absonderungen wehren. Mutti versucht nur Ihren Arsch zu retten und merkt nicht, daß sie noch tiefer im Sumpf versinkt.
> Wenn sie nämlich §103 abschaffen will, brauch tise auch gar nciht erst die Justoz sich damit abquälen lassen.
Das hat sie aber nicht zu entscheiden, sondern immer noch die Staatsanwaltschaft, ob sie die Justiz damit quälen will. Auch wenn das Gesetz abgeschafft werden soll, noch gilt es.
§103 und §185 unterscheiden sich insofern dadurch, dass §103 für ausländische Staatsoberhäupter gilt, und daher, weil er noch gültig ist, hier angewandt werden sollte. Auf welchen Paragrafen Erdogan sich jetzt bezieht, kann ihm eigentlich total egal sein, er fühlt sich beleidigt, und ruft den deutschen Botschafter ein, und damit kommt die Verwaltungsmaschinerie in Deutschland ins Rollen, und die Staatsanwaltschaft wird aktiv. Das passiert in jedem Fall.
Ich muss das jetzt mal für mich sortieren.
Ich halte einen satirischen Vortrag, in dem die Worte Meier und Ziegenfi*ker vorkommen.
Daraufhin erklärt mir Herr Meier von der Allgemeinen Dübel- und Schraubengesellschaft AG, dass er sich beleidigt fühlt.
Herr Meier mag nun ein Ars*hloch hoch drei sein, ein Idiot, ein Blödmann, aber er hat das Recht, sich beleidigt zu fühlen. Die Schmerzgrenze hierfür mag ja auch sehr individuell sein.
Ob dieser Herr Meier nun mit einer Anzeige Erfolg haben wird, das steht ja auf einem völlig anderen Blatt. Wahrscheinlich wird er das nicht, weil ich Satiriker bin und meine Worte wohl zu setzen wusste.
Aber, DASS dieser Meier sich beleidigt fühlt, mag ein gewisses Licht auf ihn werfen, aber es ist nunmal sein gutes Recht.
Jetzt nehmen wir an, ich hätte nicht Meier, sondern Queen Elizabeth II. gesagt.
Und et Lisbett fühlt sich ebenfalls beleidigt.
Und datt Liesbett stellt jetzt Strafanzeige. Dann habe ich also gegen diesen §103 verstoßen, der mir das Beleidigen ausländischer Staatsoberhäupter verbietet. Hätte ich also besser den englischen Premierminister beleidigt, oder? Der ist doch kein Staatsoberhaupt.
Aber gut, et Lisbett ist nu‘ beleidigt und ich bin der § 103-Brecher.
Jetzt folgt ein Riesenaufschrei in den Medien -was bei mir nicht der Fall sein wird, weil man so einen kleinen Schreiberling kaum kennt- aber wir nehmen das jetzt nur mal so an.
Also schaltet sich datt Mutti in Berlin ein und prüft.
Sie prüft mit Hilfe eines gewissen Herrn Maass und irgendwelchen anderen Auskennern, ob das Ganze ein Ding ist oder bloß ein Dingelchen oder so.
Schließlich kommt sie zu dem Schluß: Der Herr Wilhelm hat für datt Lisbett Ziegenfi*ker gesagt und das ist bäh, ba, pfui, auf jeden Fall nicht schön. Und wenn datt Lisbett sich nun beleidigt fühlt, dann trifft der §103 zu.
So what?
Das sind die Fakten!
Ich habe was gesagt.
Das Lisbett fühlt sich beleidigt.
Das Lisbett ist Staatsoberhaupt.
Also muss jetzt ein Gericht prüfen, ob der Herr Wilhelm, wie sich Lisbett das so einbildet, wirklich im Sinne des § 103 eine Majestätsbeleidigung begangen hat.
Darum geht es doch, oder?
Ich meine, wir können uns darüber streiten, ob man wegen eines heimlich gegessenen Brötchens eine Catering–Mitarbeiterin entlassen darf. Wir können auch darüber streiten, ob ein Herr Böhmermann in seiner Sendung Herrn Erdogan beleidigt hat.
Aber man kann doch nicht über das persönliche Empfinden von diesem Erdogan streiten.
Immerhin gibt es diesen § 103.
Jetzt zu jammern, hilft ja nix.
Und den jetzt schnell abschaffen zu wollen (den Paragraphen, nicht den Erdogan) hilft ja auch nix: Passiert ist passiert.
Natürlich bin ich für die Freiheit der Kunst und halte der Satire immer den Rücken frei.
Und deshalb finde ich, daß diese gar nicht mal so gute Schmähgedicht auf Erdogan, so gerade eben noch unter die künstlerische Freiheit fällt und Satire ist.
Aber das ändert doch nun alles nix daran, daß Erdogan das Recht auf seiner Seite hat.
Ist halt scheiße gelaufen. Da hätte man lieber den §103 schon vor ein paar Jahren mal abschaffen sollen, oder Herrn Böhmermann sagen müssen, daß seine Durchlaucht vom Bosporus hier so einen Paragraphen auf seiner Seite hat.
Warum Frau Merkel da jetzt den Kotau macht und wer da wem wo rein kriecht, steht auch wieder auf nem anderen Blatt. Aber Frau Mutti kann ja jetzt nicht so tun, als gäbe es den §103 nicht.
@Peter Wilhelm: Lieber Peter, ich finde Du bringst die Sache gut auf den Punkt. Was wir nicht vergessen dürfen ist das Erdogan sich auf DEUTSCHES Recht beruft. Der § 103 mag überholt und unnötig sein, aber er steht nun mal in UNSEREM Gesetz. Insofern müssen wir uns schon an die eigene Nase fassen…. Es ist ja eigentlich an Ironie nicht zu überbieten, das wir gegenüber der Türkei und anderen Ländern immer unsere Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz hochhalten und Erdogan es dann dann schafft sich zielsicher auf so ziemlich den einzigen Paragraphen im StGB zu berufen in dem diese Unabhängigkeit de Facto NICHT gegeben ist. Der große Fehler den Merkel gemacht hat bestand meiner Meinung nach darin das Gedicht a priori als „bewust verletztend“ zu bezeichen. Sie hätte sagen müssen: „Lieber Herr Erdogan, über so etwas entscheiden bei uns die Gerichte – da mischt sich die Politik nicht ein.
Ich bin ein großer Fan von Ian Böhmermann – ach wenn er schon bessere Momente hatte als bei seinem Schmähgedicht und – ja – auch ich habe gelacht! Trotzdem – ich persönlich finde es richtig und konsequent, dass Merkel diese Ermächtigung erteilt hat – weil sie nämlich genau dadurch die Verurteilung von Böhmermann nicht der Politik, sondern den Gerichten überlässt. Das halte ich für richtiger, als (sinngemäß) zu sagen: „Herr Erdogan, wir lassen Ihre Klage nicht zu, weil wir sie für ein A…. halten“ Denn genau, dass wäre politische Opportunität und hat Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun.
Das eine Meinung zu der ich mich aus demokratischer Überzeug und aufgrund eines tief verankerten Rechtsverständnisses durchgedrungen habe. Und ich glaube Merkel hatte ähnliche Überlegungen. Vom Bauch her hätte es mich auch gefreut wenn Erdogan eins auf die Mütze kriegt und ich hoffe auch , dass er mit seiner Klage scheitert!
@Simon
Ich habe vor einigen Jahren mal das Gerücht gehört, es gäbe in diesem unserem Lande doch noch einen Menschen, der vom einwandfreien Funktionieren unseres Rechtsstaates überzeugt sei. Schätze, dass Du gemeint warst. Chapeau! Natürlich endet das Recht auf freie Meinungsäußerung, wenn persönliche Diffamierungen ins Spiel kommen. Das habe ich in meinem Beitrag mit keiner Silbe bestritten.
Was mir granatenmäßig auf den Sack geht, ist der Umstand, dass Mutti, mediengeil wie immer (ist das jetzt auch Majestätsbeleidigung?), sich in die von Dir so hochgelobte Mühle der Justiz einmischt. Was soll das? Erdoğan hat doch bereits einen Münchner Winkeladvokaten damit beauftragt, Böhmermann vor den Kadi zu zerren. Und wenn dieser Mensch bei der Staatsanwaltschaft vorstellig wird, sprich: Strafantrag stellt, geht das ganz große Roben-Gedöns doch ohnehin los. Nochmal die Frage: warum mischt sich Mutti in die Sache ein?
Weil sie keine andere Wahl hat! Weil sie Speichel lecken muss. Weil Erdoğan sie am Nasenring durch die Arena führt, wann immer er dazu Bock hat. Merkel hat mit diesem üblen Despoten, der seine eigenen Leute zu Tausenden abschlachten und neuerdings auf syrische Flüchtlinge schießen lässt, der nachweislich den IS (zumindest logistisch) unterstützt und Oppositionelle reihenweise ins Loch wirft, einen dreckigen Deal abgeschlossen, um zu Hause als diejenige dazustehen, die die Flüchtlingsströme gestoppt hat.
@Peter Grohmüller:
Die deutsche Justiz ist schon deutlich eine der besseren, wenn nicht sogar die Beste im Moment. Was wäre uns denn lieber? Italienische Verhältnisse mit Zivilprozessen die eher durch den Alterstod der Beteiligten als durch Urteil beendet werden?, die Todesstrafe wie in den USA?, die Scharia?.
Es gibt einen Paragrafen im Strafgesetzbuch und die Deutsche Bundeskanzlerin setzt sich dafür ein, dass dieser Paragraf auch durchgesetzt wird? Skandal!
Zeigt nicht eigentlich dieser Fall sehr genau, dass das deutsche Rechtssystem funktioniert?, dass wir nicht die Verfassung außer Kraft setzen, nur weil es uns gerade angemessen erscheint?
Die Kanzlerin ist nicht zu beneiden. Einerseits sieht sie, dass ein großer Teil des Volkes Angst hat vor den Migranten (Es wählt keiner die AFD, weil die so sympathisch sind), andererseits scheint es aber auch keien andere Lösung zu geben, als mit unliebsamen Staaten zusammen zu arbeiten. Und damit ist nicht nur die Türkei gemeint.
Vielleicht sollten wir aber auch nicht vergessen, dass die Türkei kein Schurkenstaat ist, sondern immerhin am Rande eines EU-Beitritts steht. Die Zypern-Politik der Türkei interessiert ja schon seit Jahren niemanden.
Ich kann mich solange nicht über ein Verhalten einer Person, sei es Lieschen Müller oder Angela Merkel, aufregen, wie ich keine bessere Handlungsalternative habe.
btw.: „Winkeladvokat“ wurde vom LG Köln noch als Beleidigung gesehen; höhere Gerichte fanden das aber nicht so eindeutig.
„Despot“ hat ein Gericht hingegen schon als Beleidigung empfunden. Aber das nur am Rande.
> Es gibt einen Paragrafen im Strafgesetzbuch und die Deutsche
> Bundeskanzlerin setzt sich dafür ein, dass dieser Paragraf auch durchgesetzt
> wird? Skandal!
Es ist schon ein Unterschied, ob ein Gesetz aus dem vorletzten Jahrhundert das keiner mehr für sinnvoll hält angewendet werden muß oder nicht. In dem Gesetz steht nämlich auch, daß die Regierung entscheiden kann, das Gesetz nicht anzuwenden. Nachdem sie selbst öffentlich geäußert hat, daß sie das Gesetz abschaffen will und es nicht für sinnvoll hält, wäre es für sie ganz einfach gewesen zu Erdogan zu sagen „Hayır!“. Denn er hat die Möglichkeit, wie jeder andere auch, sich mit den „normalen“ Gesetzen zu wehren, was er ja auch tut. Aber sie mußte ja bei Erdogan eine persönliche Koloskopie durchführen.
@Lochkartenstanzer:
Solange es das Gesetz noch gibt, muss es angewendet werden.
Erdogan ist ein Staatsoberhaupt, also ist der Paragraf anwendbar.
Mit welcher Begründung hätte sie die Vorschrift nicht anwenden sollen:
„Ja, gut, wir stehen zwar zu dem Paragrafen, deshalb haben wir ihn noch nicht streichen lassen, aber für Herrn Erdogan (weil er kein guter Demokrat ist), bzw. Herrn Böhmermann (weil er so ein dufter Typ ist) machen wir eine Ausnahme“? – nicht wirklich, oder?
So geht alles seien verfassungsmäßigen, demokratischen, rechtsstaatlichen Gang – und am Ende wird niemanden was passieren.
@Sebastian
Dass die deutsche Justiz „sogar im Moment die beste ist“, lasse ich jetzt einfach mal so stehen;
ich kann es ohnehin nicht überprüfen. Es geht mir auch meilenweit am Arsch vorbei, ob es in anderen Ländern juristisch „besser“ oder „schlechter“ zugeht. Früher musste ich mir anhören: „dann geh´ doch in die DDR, wenn es Dir hier nicht passt“ und war eigentlich der Meinung, dieses Totschlagargument hätte ausgedient.
Anyway: zum Thema deutsche Justiz.
Klaus Zumwinkel hat den deutschen Fiskus um über eine Million € beschissen. Da er kein Otto Normalverbraucher, sondern ein angesehener Manager ist, hat man eben so lange „ermittelt“ bis 100.000 € verjährt waren. Somit kam der Betrüger um einen Haftstrafe, die das Gesetzt ab einer Million zwingend vorschreibt und zahlte die Geldstrafe online aus seinem schweizer Chalet.
In Frankfurt gab es mal ein schlagkräftiges Team bei der Steuerfahndung, das in einem Jahr über eine Milliarde € hinterzogene Steuern aufdeckte und auch eintrieb. Dummerweise auch bei der Commerzbank und bei der Deutsche Bank, in deren Beiräten sich allerlei Minister tummelten. Das Team wurde abgesetzt, in den vorzeitigen Ruhestand versetzt und einer der Kollegen mittels eines „Gutachtens“ zum Querulanten abgestempelt. Ich könnte noch eine ganze Latte an Beispielen anführen, die belegen, dass die deutsche Justiz sogar im Moment die beste ist.
@Peter Grohmüller:
Naja, von „einfach mal so stehen lassen“ kann dann ja nicht so die Rede sein 😉
Aber man soll nichts behaupten, was man nicht belegen kann, habe ich mal gelernt. Ich habe leider keine Ahnung, wie ich hier inden Kommentaren vernünftig verlinke, aber hier berichtet der Focus über eine Untersuchung eines „World Justice Projects“ wonach Deutschlands Rechtssystem recht weit vorne dabei ist, das Zivilrecht sogar auf Platz 2.
Zur Causa Zumwinkel:
Ich denke nicht, dass ein Rechtssystem daran gemessen werden kann, ob es Leute mit vergleichbar unerschöpflichen finanziellen Mitteln schaffen können, einzelne Vorschriften für sich zu nutzen. In dem Fall muss – und das ist ein gutes System – wie jeder andere strafrechtliche Verstoß auch di esteuerhinterziehung genauestens nachgewiesen werden. Es ist leicht vorstelbar, dass Zumwinkel Mittel und Wege hat, diese NAchweise erheblich zu erschweren, oder?
Was aber soll dann die Lehre daraus sein? – Verurteilungen auf Verdacht ermöglichen, vage Wahrscheinlichkeitn ausreichen lassen für eine Verurteilung? Nein, in einem solchen System möchte ich nicht leben.
Die Steuerfahndung Frankfurt:
Eigentlich bin ich sogar froh um das Beispiel. Mein letzter Kenntnisstand in dieser Sache war, dass der Gutachter, der alle Mitglieder des Teams (vier oder fünf) verurteilt wurde, sowohl straf- als auch zivilrechtlic. Die Mitgleider sind wieder rehablitiert worden. Die Prozesse gegen das Land laufen jedoch wohl noch (oder wurden still beendet, ich habe es jedenfalls nicht mitbekommen).
Angefacht wurde das Ganze aber wohl auch durch wiederkehrende Gerüchte im Rahmen der Polizei und Steuerbehörden, dass die Ermittlungen des Teams sehr willkürlich waren, und auch durch Zuwendungen gesteuert worden worden. Inwiefern das stimmt, weiss natürlich niemand.
Alles in allem hat sich die Justiz auch hier nicht mit Ruhm bekleckert, aber hat angesichts der präsentierten Beweislage keine andere Wahl gehabt, denke ich. Und die Rehabilitierung spricht eher wieder für das Rechtssystem.
Was das ganze jetzt mit der DDR zu tun hat, die ich in meinem Posting in keiner Weise erwähnt habe, kann ich nicht nachvollziehen; noch weniger, inwiefern da ein „Totschlagargument“ zu finden sein soll. Meiner Erfahrung nach wird der Begriff „Totschlagargument“ immer dann gerne genutzt, wenn sich jemand gerade nicht mit einem Argument befassen „will“.
Sorry, aber der oft zitierte Vergleich zwischen dem Münchner Oktoberfest und den Vorfällen in Köln ist IMO bodenloser Schwachsinn.
Wie fast alle gebürtigen Müncher habe ich zur Wies`n eine gewisse Hassliebe entwickelt und natürlich ist das ganze ein kommerzialisiertes Riesenbesäufnis, aber eben nicht nur. Die Wies´n hat viele Facetten und eben auch viel Nettes und Einzigartiges. Eine kann ich behaupten: Ich kenne das Oktoberfest – aus jeder Perspetive und in jedem Bewusstseinszustand. Sexismus wird von den allermeisten Besuchern NICHT tolleriert, die Leute sind hilfsbereit, das Personal geschult. Die Münchner Stadtverwaltung hat es geschaft das Chaos in den letzten Jahren so in den Griff zu bekommen, dass – im Anbetracht des enormen Alkoholkonsums – eigentlich recht wenig passiert. Die Polizeipräsenz ist enorm. Grundsätzlich nur 8er-Streifen, das USK halt sich im Huntergrund. Ich gabe noch nie erlebt, dass die Polizei nicht nach weingen Minuten zur Stelle war. Meine Frau wurde in 20 Jahren genau EINMAL blöd angegraben. Das war letztes Jahr im Schottenhammel. Eine Meldung und die Security war da und hat den Kerl recht unsanft rausbefördert.
Und nun zu den nüchternen Zahlen: An 18 Wiesentagen mit 5,9 Mio Besuchern wurden 2015 genau 17 sexuelle Belästigungen angezeigt und zwei Vergewaltigungen. Das zu vergleichen mit ca. 600 Anzeigen in einer Nacht mit ca. 2000 Leuten ist absolut unseriös. Und selbst wen man die von der TAZ kolpotierte „Dunkelziffer“ von 200 Fällen zugrunde legt steht das in keiner Relation.
Ihr Beitrag ist leider wenig mehr als eine zusammenhanglose Aneinanderreihung von Klischees und Scheinargumenten die doch recht beliebig sind. Verstehen Sie mich nicht falsch: In vielen Punkten gebe ich Ihnen Recht, aber in einer Zeit in der die öffentliche Diskussion ohnehin von Stereotypen und Schwarz-Weiß-Denken (Gutmnesch vs. Nazi), (Kulturbereicherer vs. Verbrecher), (Erdogan vs. Böhmermann) beherrscht wird brauche ich nicht noch einen „Wutbürgerausbruch“ – vielmehr eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Problematik.
Nochmal ganz langsam: ich erfreue mich an dem glücklichen Umstand, dass ich in diese Republik geboren wurde. Und ja, ich stimme zu, dass wir ein „im Großen und Ganzen“ funktionierendes Rechtssystem haben. Ich sehe auch ein, dass ich mit meinen „Wutbürger“-Überzeichnungen wohl über das Ziel hinausgeschossen bin. Mea Culpa.
Was ich eigentlich damit ausdrücken/verdeutlichen wollte, dass unseren Gesetzen im Ernstfall, sprich vor Gericht, immer ein Ermessensspielraum innewohnt, und dass dieser mit der Qualität und der Gerissenheit der Anwälte, letztendlich also mit dem Portemonnaie zugunsten des Angeklagten wohlwollend ausgereizt wird.
Das andere, noch wesentlich üblere, Manko unseres Rechtssystems ist, dass die Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit immer groteskere Züge annimmt. Wir haben NOCH keine amerikanischen Verhältnisse. Aber die Lobbyisten aus den großen Kanzleien, die zum Teil sogar im Auftrag des Justizministeriums neue Gesetze, gleich mit den passenden Lücken für ihre Klientel, formulieren, bringen uns dem Scheckbuch-Recht immer näher. Aber wie würde Mutti sagen? : „Wir sind auf einem guten Weg“.