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Spitze Feder

High-End aus der Kreidezeit

Vor kurzen hat der VOLKS(!)-Wagen Konzern seinen neuen Hypersportwagen Bugatti Chiron vorgestellt. Angetrieben wird das futuristische, 2,7 Millionen € teure Geschoss von einem mächtigen 16-Zylinder-Aggregat mit 8 Litern Hubraum und vier Turboladern, was dem Gefährt, respektive dessen Besitzer 1.500 PS und ein maximales Drehmoment von 1600 Nm bei 2.000 U/min. – 6.000 U/min. zur Verfügung stellt. Die Beschleunigungswerte sind atemberaubend: In gerade mal 2,5 Sekunden sprintet der Bolide aus dem Stand auf 100 km/h und in 6,5 Sekunden von 0 auf 200 km/h. In nur 13,6 Sekunden nach dem ersten Tritt aufs Gaspedal, katapultiert er seinen wohlhabenden Besitzer auf die Marke von 300 km/h. Bei Tempo 420 km/h endet schließlich die Vorstellung. Weshalb sich der Vorstand bei der Namensgebung ausgerechnet am Halbbruder des Zeus orientierte und nicht beim mächtigsten aller Götter, bleibt wohl sein Geheimnis.

Zuxriddin / Pixabay

Oder schwante den Damen (?) und Herren bereits bei den ersten Entwürfen, dass ihr neustes Spielzeug für Superreiche im Grunde genommen ein Anachronismus erster Güte wird? Die Energiequelle für die unbändige Kraft des Chiron, ist nämlich beileibe nicht so innovativ, wie der Anblick der Kohlefaser-Flunder vermuten lässt. Wer etwa einen Materie-Antimaterie-, einen Warp-Antrieb oder gar den Flux-Kondensator aus dem DeLorean des legendären Dr. Emmett L. „Doc“ Brown erwartet hätte, sieht sich enttäuscht. Es handelt sich schlichtweg um schnödes Super-Plus Benzin, von dem sich der Chiron, je nach Fahrweise, bescheidene 15,2 bis 35,2 Liter/100 km genehmigt – nach Werksangaben wohlbemerkt. Wer weiß, dass sich diese Prospektwerte in der Regel von den Praxisdaten erheblich unterscheiden, wird sich nicht wundern, dass es am Ende beim Chiron durchaus auch der eine oder andere Liter mehr sein kann. Aber ob nun 35,2 Liter/100 km, oder meinetwegen auch 52 Liter, letztendlich ist und bleibt es eben Super-Plus Benzin. Nicht wirklich innovativ, oder? Mit der mehr oder weniger gleichen Plörre im Tank ist nämlich Bertha Benz im August 1888 mit dem Automobil ihres Gatten, dem Benz Patent-Motorwagen Nummer 1, von Mannheim nach Pforzheim getuckert, also bereits vor knapp 130 Jahren!

Wie sich mittlerweile herumgesprochen haben dürfte, stammen die Ursprünge unserer Kraftstoffe, ob nun Heizöl, Kerosin, Diesel oder Benzin, aus der Jura- und Kreidezeit. Vor etwa 100 bis 200 Millionen Jahren schwebten Trillionen Tonnen abgestorbener Kleinstlebewesen und ebensolche Mengen an fauligem Algen-Schmodder auf den Meeresgrund, wo das Ganze mangels Sauerstoff nicht komplett verweste, sondern sich über Äonen in eine schmierigen, giftige, stinkenden Pampe namens Erdöl verwandelte, die wir heute fördern und in Raffinerien zu eben jenem Sprit veredeln, den ausnahmslos alle PKW mit Verbrennungsmotor, vom Tata Nano bis zum Bugatti Chiron, fröhlich verballern.

Selbst wenn eine steirische Kampfmaschine namens Arnold Schwarzenegger mit dem Chiron auf dessen Präsentation in Florida liebäugelte, die Antriebstechnologie, die letztendlich hinter dem PS-Monster aus dem französischen Moslheim steckt, stammt keineswegs aus dem Labor der Cyberdyne Systems, wie etwa der Terminator in dem gleichnamigen Film von James Cameron. Der Bugatti Chiron ist trotz modernster Werkstoffe und Unmengen von Elektronik letztendlich High-End aus der Kreidezeit.

Mit dem Nio EP9 hat das chinesische Startup NextEV einen Sportwagen vorgestellt, dessen Höchstgeschwindigkeit zwar „nur“ bei 313 km/h liegt, im Gegensatz zu dem Schmuckstück deutscher Brontosaurus-Ingenieurskunst verprasst der Bolide aus dem Reich der Mitte allerdings keine 35,2 Liter Sprit auf 100 km, sondern nullkommanull. Der Nio EP9 ist nämlich der aktuell schnellsten Elektro-Sportwagen der Welt. Wer auf den Top-Speed des Bugatti Chiron von 420 km/h verzichten kann und sich statt dessen mit besagten 313 km/h begnügt, kann sogar noch richtig Geld sparen. Die Elektro-Rennflunder gibt es nämlich zu Schnäppchenpreis von 1,1 Millionen €, also weniger als die Hälfte, was der zahlungskräftige Kunde bei Bugatti auf die Theke blättern muss.

Und bevor jetzt wieder ein hysterischer Shit-Storm losbricht, weil es irgendwie völlig unsinnig ist, ein Fahrzeug aus China mit einem deutschen Qualitätsprodukt zu vergleichen: Einfach mal ganz relaxed mit dem IPhone googeln, woher die ganzen Komponenten für einen stinknormalen VW Golf eigentlich stammen, aus denen in unseren heiligen deutschen Werkshallen dann Fahrzeuge mit dem Attribut made in Germany zusammengenagelt werden. Und bitte nicht wundern, wenn auf der Liste neben Mexiko, Indien und Bangladesch auch einige Brocken aus China erscheinen, dem Heimatland des Elektronikriesen Foxconn Technology Group, bei dem Apple auch Dein I-Phone bauen lässt.

Bild: Käfer – bernswaelz / Pixabay

Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 17. September 2020 | Peter Grohmüller 17. September 2020

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