Spitze Feder

Heilige Kühe

Kuehe Pixabay

Vor ein paar Jahren war ich mit der Familie in einem indischen Restaurant. Wir wollten einfach mal nicht schon wieder beim Griechen, oder beim Italiener einkehren, um uns mit deren Gaumenfreuden verwöhnen zu lassen.

Zugegeben: Ich bin jetzt nicht so der glühende Fan von allzu exotischen Gewürzen, oder der infernalischen Feuersbrunst, die gerade indische Gerichte auf der Zunge zu entfachen vermögen. Aber ich dachte, die Betreiber des Restaurants würden schon darauf achten, dass man nach dem Speisen eher mit dem Taxi, statt mit einem Rettungswagen, seines Weges zieht.

Was mir beim Studieren der Speisekarte jedoch sogleich auffiel, waren mehrere Gerichte, die mit Rindfleisch zubereitet wurden. Ich drückte dem Kellner deshalb meine Verwunderung aus, denn schließlich sind Kühe in Indien heilige Tiere, die in der Innenstadt von Kalkutta, oder Mumbai, auch mal eine Hauptverkehrsstraße blockieren dürfen, wenn ihnen der Sinn danach steht, sich auf einer Kreuzung niederzulassen, um dort wiederzukäuen, oder einfach nur, um zu chillend, selbst ohne Sekundenkleber an den Hufen.

Werbung

Die Viecher können sich in Indien tatsächlich alles erlauben, weil sie nun mal als heilige Tiere gelten und somit nicht geschlachtet, oder gar verspeist werden dürfen. Aber das erwähnte ich ja bereits. Der Kellner meinte leicht verschämt, das Restaurant müsse sich nun mal den hiesigen Gegebenheiten anpassen und den Vorlieben der Gäste Rechnung tragen.

Wer jetzt meint, den Status der Hornviecher in Indien deshalb milde belächeln, oder gar verspotten zu müssen, sollte tunlichst daran denken, dass die Wände rings um ihn herum aus Glas sind, und sich deshalb gut überlegen, mit Herablassung um sich zu werfen. Wir hüten nämlich im allerbesten Deutschland aller Zeiten deutlich mehr heilige Kühe, als der komplette indische Subkontinent!

Ich gestehe, dass sich diese Analogie nicht sofort erschließen mag. Deshalb nur ein paar Beispiele, was hierzulande so alles als sakrosankt eingestuft ist, was deshalb bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auch so bleiben muss, und was Micheline und Michel zwingend für ihr Seelenheil benötigen:

In Europa besteht auf den Autobahnen ein generelles Tempolimit, außer in Estland, in Lettland, auf den Färöer, in Montenegro, in Monaco, in Island und in Deutschland. Dass es in Island, in Monaco und auf den Färöer ohnehin keine Autobahnen gibt, sei nur als Randnotiz erwähnt. Fakt ist, dass einzig auf bundesdeutschen Autobahnen gerast werden darf, was die Kiste hergibt, zumindest auf 57 % davon.

Sämtliche Versuche, ein generelles Tempolimit einzuführen, scheiterten bisher kläglich. Da nützen auch knallharten Zahlen von vermeidbaren schweren Unfällen mit immensen Sachschäden und mit Toten und Verletzte nichts, die ursächlich und nachweislich mit der Raserei zusammenhängen, oder die Millionen Tonnen an Abgasen, die durch ein generelles Tempolimit vermieden werden könnten; ja nicht einmal die Millionen an harten Euro, die Micheline und Michel sparen könnten, wenn sie per Tempolimit langsamer fahren müssten und somit ihren Spritverbrauch senkten

Nein, keine Chance, das heiligs Blechle ist Micheline und Michel so heilig wie dem Inder seine Kuh. Dass zusätzlich zu diesem merkwürdig spirituellen Gebaren, Diesel günstiger besteuert wird, als Benzin, kann man nur noch als Sahnehäubchen auf der blechernen Hostie bezeichnen. Aber man darf sich seinen Glauben ja auch mal was kosten lassen, oder? Im Falle der Diesel-Subvention sind das gerade mal 8 Milliarden € pro Jahr. Quasi Peanuts, wie der ehemalige Chef der Deutschen Bank, Rolf Breuer, über solche Kleinbeträge zu sagen pflegte.

Da ist die Steuerbefreiung für Kerosin mit 7,5 Milliarden € pro Jahr sogar noch einen Tick günstiger. Aber die heilige Kuh, für 299 € die Woche all-inclusive nach Antalya zu fliegen, um dort die schönsten Wochen des Jahres zu verbringen, muss für den Fiskus ein Tabu bleiben. Punkt! Genauso wie die Steuerbefreiung für internationale Flüge, die mit 4,4 Milliarden € pro Jahr zu Buche schlägt. Micheline und Michel haben schließlich das Recht, jederzeit dahinzufliegen, wohin sie wollen, und die Möglichkeit, dieses Recht in Anspruch zu nehmen, schränkte man massiv ein, würde man Kerosin so versteuern, wie den Sprit für das heiligs Blechle. Man stelle sich vor, die Woche all-inclusive nach Antalya kostete statt 299 €, plötzlich 349 €, oder der Trip nach New York, 350 €, statt 280 €.

Dann wären da noch die astronomischen Gewinne, die internationale Großkonzerne, wie Amazon, Google, META & Co, im besten Deutschland aller Zeiten erwirtschaften, die sie aber nicht versteuern. Die fälligen 30 Milliarden € pro Jahr, die diese global Players „eigentlich“ zahlen müssten, sind für den Fiskus nämlich ebenfalls eine heilige Kuh, die man in Ruhe grasen lassen muss. Kapital ist nämlich ein scheues Reh und flüchtig wie eine Gazelle, das man nicht erschrecken darf.

Oder die Besteuerung von Finanzgeschäften mit homöopathischen 0,2%, für die man extra ein neues Wort namens Finanztransaktionssteuer kreiert hat, damit Micheline und Michel das nicht mit den 19% Umsatzsteuer verwechseln, die sie ab dem 1. Januar 2024 wieder für ein lecker Pilseken in der Eckkneipe zahlen müssen. Wäre nämlich für das dubiosen Scheinvermögen, das in den Bankentürmen generiert, „strukturiert“ und verkauft wird, eine stinknormale Umsatzsteuer von 19 % zu berappen, bedeutete dies alleine an der Börse in Frankfurt am Main, Steuereinnahmen von knapp 800 Milliarden € pro Jahr.

Aktuell fehlen der Ampel-Regierung, ich korrigiere: Aktuell fehlen den Bürgerinnen und Bürgern im besten Deutschland aller Zeiten, also uns allen, um die 100 Milliarden €, für Schulen, für Kitas, für den Straßenerhalt, für Brücken, für den Netzausbau, für den ÖPNV, für den sozialen Wohnungsbau, für Krankenhäuser, für Kunst und Kultur, und, und, und…

Wäre es da nicht endlich an der Zeit, diese heiligen Kühe zu schlachten? Wir müssen es ja nicht gleich dem indischen Präsidenten Narendra Modi unter die Nase reiben. Sonst hebt er vielleicht im religiösen Eifer die Preise für russisches Erdöl, das wir aufgrund des Embargos, mit sattem Aufschlag über Indien kaufen müssen, noch weiter an, und dann würden Sprit, Diesel und Kerosin bei uns noch teurer…

Bildquellen:
  • kuehe-pixabay: Bild von Simon auf Pixabay


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

Keine Schlagwörter vorhanden

Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Grohmüller: © 4. Dezember 2023

Lesen Sie doch auch:


Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
guest
0 Kommentare
älteste
neueste
Inline Feedbacks
View all comments



Rechtliches