Spitze Feder

Hans-Dietrich auf seiner letzten Reise

genscher

Bilokation ist ein Begriff aus der – na ja, sagen wir es mal so, aus der Esoterik. Eine Melange aus den Worten „bi“ und „Lokal“. Bilokation hat aber weder was mit einer nach allen Seiten offenen sexuellen Präferenz zu tun, noch mit Champagner saufen während des Auslebens eben jener Neigung. Es umschreibt die befremdlich anmutende Eigenschaft, physisch an zwei Orten gleichzeitig sein zu können. Die Fundamentalisten unter den Naturwissenschaftlern werden jetzt einwenden, dass dieses vermeintlich exotische Verhalten im Sinne der Planckschen Unschärferelation ja kalter Kaffee ist. Subatomare Teilchen frönen der Bilokation bekanntlich in höchstem Maße. Da kannste jedes x-beliebige Elektron fragen.

Bei makroskopischen Objekten wird die Sache jedoch schwieriger und dürfte im Reich der Phantasie angesiedelt sein, sagt man zumindest, ich korrigiere: sagte man, bis zum Jahre 1974. Nein, es handelt sich nicht um Franz Beckenbauer im Endspiel um die Fussball-WM, dem dieses Kunststück gelang. Der ewig sabbelnden Nervensäge werden zwar aus Gründen, die sich mir entziehen, viele herausragende Eigenschaften angedichtet, aber so exorbitant gut war seine Performance nun auch nicht – weder als Fußballer, noch als Werbe-Fuzzi, dass er gleichzeitig im Stadion kicken und im Maggi Kochstudio, werbewirksam Tütensuppe schlürfend, saudämlich in die Kamera grinsen konnte.

Wenn es ausserhalb der Römisch Katholischen Kirche mit ihren über 8.000 Heiligen, in deren Dunstkreises alle Furz lang Wunder geschehen, überhaupt einen Menschen gibt, dem die märchenhafte Eigenschaft der Bilokation vergönnt war, dann zweifelsohne Hans-Dietrich Genscher, der in eben jenem Jahre des Herrn 1974 sein Amt als Bundesaußenminister antrat und von da an quasi den Rest seines beruflichen Lebens in Flugzeugen verbrachte – von kleinen Zwischenlandungen zum Tanken, zum Wechseln seines gelben Pullunders und zum gelegentlichen Parlieren mit den großen und kleinen Halunken dieser Welt mal abgesehen. Hinter vorgehaltener Hand erzählen sich Kenner des diplomatischen Parketts, man habe ihn auf dem Zenit seines Wirkens in zwei Flugzeugen gleichzeitig gesehen. Lässt man seine unermessliche Reisetätigkeit und seine Milliarden an Flugmeilen bis zu seiner freiwilligen Demission am 18. Mai 1992 Revue passieren, kann, was sage ich, muss man Bilokation schon rein rechnerisch ins Kalkül ziehen.

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Möglicherweise saß er, quasi omnilokal, während seiner legendären Ansprache auf dem Balkon der Bundesdeutschen Botschaft in Prag, zweifelsohne dem Höhepunkt seines Œuvre, sogar gleichzeitig in einer Maschine der Flugbereitschaft nach Washington und in einer zweiten nach Moskau.

Nun, das ist, wie bereits erwähnt, seit dem 18. Mai 1992 Geschichte. Dann, nach einem erfüllten arbeitsfreien Leben und acht Jahren Chillen, fiel es dem stets illoyalen Diener vieler Kanzler jedweder ideologischen Couleur wie Schuppen aus dem dünnen Haupthaar auf die markanten Ohren: Oh Gott, oh Gott, meine Rente!!! Und damit sich Hans-Dietrich auch im hohen Alter seine geliebten quietschgelben Pullunder nebst deren Reinigung nicht von der kargen Pension abhungern musste, gründete er anno 2000 die Hans-Dietrich Genscher Consult GmbH, ein Unternehmen, spezialisiert auf die etwas unappetitliche, aber saumäßig lukrative Aufgabe, in den ehemaligen Sowjet-Republiken beratungsresistente Potentaten zu beraten. Ein Widerspruch in Form eines verunglückten Stabreims? Nicht für Hans-Dietrich the Genschman.

Wer in mehreren Flugzeugen sitzen und gleichzeitig vom Balkon einer Villa aus der Gründerzeit bei Tausenden illegalen Campern aus der Täterä Tränen der Rührung auslösen kann, der ist auch in der Lage, Figuren wie Nursultan Nasarbajew, İlham Heydər oğlu Əliyev oder Gurbanguly Berdimuhamedow beizubringen, wie man sich bei der EU, was sage ich, wie man sich in der Welt der Nadelstreifen benimmt, damit die Geschäfte geschmeidig und geräuschlos über die Bühne gehen.

Tja, nun isser weg. Ende Gelände. Jetzt muss eben sein Spezi, der Gusenbauer Alfred ran und die Strippen weiter ziehen. Der kann zwar immer nur ein einem Ort sein, aber das Beratungs-Handwerk versteht der ehemalige Spezialdemokrat aus der Alpenrepublik aus dem Effeff und mit einem speziellen Wiener Schmäh. Sein erster Job besteht darin, zu verhindern, dass die Türken wieder vor seiner Heimatstadt stehen und randalieren. Davon träumt nämlich der osmanische Vollhorst Recep Tayyip Erdoğan, der durgeknallte Schafsaugenesser aus Ankara offensichtlich.

In diesem Sinne: mach´ s gut Hans-Dietrich. Und wegen Langeweile da oben musst Du Dir keine Sorgen machen. Da ist nämlich noch die olle Kamelle zwischen einem gewissen Herrn Luzifer und dem Alten anhängig. Das ist genau Dein Ding. Da musst Du beraten auf Teufel komm raus, sozusagen, Aber ich muss Dich warnen: das kann eine Ewigkeit dauern.

Bild: unter Verwendung von: By Gge – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=28425578

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    Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
    Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

    Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

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    Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Peter Grohmüller: © 3. April 2016 | Revision: 3. Februar 2020

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