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Satire

Erdogan, das Gottesgeschenk

Putsch in der Türkei.
Zuerst dachte ich: „Na, endlich. Endlich macht jemand mal Tabula rasa und beendet die Herrschaft des selbsternannten Sonnenkönigs vom Bosporus.“

Doch dann setzte der Verstand wieder ein und mir wurde Folgendes klar. Ein Militärputsch hat, bei allem, was wir aus der Geschichte wissen, bisher in den seltensten Fällen etwas Friedvolles nach sich gezogen.
Und würde die seltsame Herrschaft des Sultans Erdogan nicht von einer noch seltsameren Herrschaft des Militärs abgelöst?
Ja, und wer sagt denn, daß Erdogan selbsternannter Sonnenkönig ist? Nach dem, was man weiß, ist Erdogan aufgrund demokratischer Abläufe in seinem Amt. Gut, in der Türkei sieht Demokratie seit Erdogan anders aus, als anderswo; aber demokratische Grundzüge hatte das alles schon.

Erdogan empfindet den Putsch als Gottesgeschenk.
Ähnlich mochten die Nazistrategen Göbbels und Adolf Hitler himself auch nach dem Reichstagsbrand gefühlt haben.

Und so, wie man heute immer noch mutmaßt, daß seinerzeit 1933 die Nazis selbst die Finger mit im Spiel hatten, als das Symbol der deutschen Demokratie, der Reichstag, in Flammen aufging; ja so mutmaßt man heute bei Erdogan dasselbe.
Hat Erdogan den Putsch eventuell sogar selbst angezettelt oder doch zumindest anzetteln lassen?

Der Verdacht liegt nahe.

Denn nicht, wie unter Putschisten sonst so üblich, nachts um drei schlugen die Aufrührer los, sondern praktischerweise abends gegen elf. Früh genug, damit das ganze Land etwas davon mitbekommt. Früh genug, daß innerhalb kürzester Zeit die gesamte (gelenkte?) Nation mit Gegendemonstrationen auf der Straße unterwegs sein konnte. Normalerweise putscht man nachts, wenn alles schläft. Dann erfährt das schlaftrunkene Volk am nächsten Morgen über die gekaperten Rundfunk- und Fernsehstationen, wer nun an der Macht ist.

Aber nein, dieser Putsch fand zur allerbesten Primetime statt. Und seltsamerweise versteckten sich die Menschen nicht in ihren Häusern, wie sie es sonst immer tun, wenn auf den Straßen Schüsse fallen.

Großes Glück für Erdogan! Sein Volk stand hinter ihm, stellte sich den Panzern und Soldaten entgegen und prügelte die Putschisten in die Gefängnisse.
Noch größeres Glück für Erdogan: Ganz zufällig hatte er auch schon eine Liste mit rund 50.000 Namen in der Schreibtischschublade. Eine Liste mit Namen von Menschen, die von der Erdogan-Administration als dubios und einsperrungswürdig eingestuft werden.
Hat man ja, als demokratisch gewählter Obermufti immer in der Schublade: Säuberungslisten. Immer!

Reichspropangasminister Joseph Goebbels. Gute Vorbereitung zählt.

Reichspropangasminister Joseph Goebbels. Gute Vorbereitung zählt.

Und dann sehe man sich die Ziele der Putschisten an.
Normalerweise würde man, wenn man 8-jährige Kinder fragt, die Cowboy und Indianer spielen, einen Trupp losschicken, der den Häuptling der anderen fängt, und einen Trupp, der die Nachrichtenverbreitung verhindert und die Kundschafter ausschaltet.
Zuerst die Kundschafter stumm machen, damit nicht alle anderen „Feinde“ gewarnt werden können, dann schnell den Chef einkassieren und schon kann man sich selbst zum Chef ernennen. So würden das Achtjährige machen.

Nicht aber die Putschisten in der Türkei. Gut, das mag daran liegen, daß die AKP über die Jahre wichtige Schlüsselstellen im Militär schon mit Erdogan-Anhängern besetzt hat, und nun der Putsch von der mittleren Ebene aus gesteuert werden mußte.
Die Frage ist aber nicht, ob die mittlere Ebene des türkischen Militärs doofer ist als 8-jährige, sondern ob diese Ebene überhaupt in der Lage gewesen wäre, eine solche Aktion zu starten.
Und wie sie es tat, das spottet ja fast schon jeder Beschreibung. Ein paar Bömbchen hier, etwas Geballere da und schon gab man sich geschlagen.

Mit entsprechender Vorbereitung ist jedes Militär jedes Landes in der Lage, die Regierung kaltzustellen.

Christoph Neumann, deutscher Professor der Geschichte und Kultur der Türkei, hob hervor, dass niemand mit einem Militärputsch gerechnet habe. Die AKP habe erfolgreich ihren Einfluss auf das türkische Militär erhöht und die wesentlichen Kommandeursposten mit Erdoğan-loyalen Personen besetzt. Dennoch habe es offenbar in den mittelhohen Rängen genug Opposition gegeben, um auf eigene Faust zu handeln. Neu sei die Gegenwehr von Zivilisten auf der Straße bei einem Militärputsch.

Zur Stellung des Staatsoberhauptes nach dem Putschversuch sagte Neumann: „Der Putsch stärkt Erdoğan. Er wird zum Diktator. Es hat ihn bestätigt, weil es ihm gelungen ist, den Putsch abzuwenden. Das gibt ihm erneut eine Gelegenheit, seine Macht zu stärken. Er kann jetzt immer darauf verweisen, dass es im Land Kräfte gibt, die die Ordnung bedrohen.“

Der deutsche Islamwissenschaftler und Journalist Rainer Hermann schrieb, einiges spreche für die These, dass hohe Offiziere Erdoğans Säuberungsaktion in Militär und Justiz zuvorkommen wollten:

„Zu den zahlreichen Ungereimtheiten des Putschversuchs gehörte, dass bereits am Samstag eine großangelegte Säuberungsaktion einsetzte. Sie verfolgte angeblich das Ziel, die Justiz von den Richtern und Staatsanwälten zu säubern, die den Coup von Teilen des Militärs unterstützt haben und auch Anhänger des Predigers Fethullah Gülen sein sollen.“

Beide Zitate aus Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Putschversuch_in_der_Türkei_2016

Gut, so könnte natürlich auch ein Schuh daraus werden!
Erdogan zaubert gar nicht urplötzlich diese geheimnisvollen Säuberungslisten aus der Schublade, sondern er hatte sich schon lange auf eine Säuberung vorbereitet.
Ob er nur auf einen passenden Anlaß wartete, um sein Gesicht vor dem Ausland zu wahren, oder ob er den Anlaß jetzt „herbeizauberte“, das wissen wir noch nicht. Es kann aber durchaus auch sein, daß das Militär Wind von den geplanten Säuberungen bekommen hatte, mutmaßte, diese stünden kurz bevor, und deshalb recht unkoordiniert und überhastet losgeschlagen hat.

Egal. Denn unterm Strich kommt nur eins dabei heraus: Erdogan wird jetzt zum Diktator. Er regiert mit Notstandsverordnungen am Parlament vorbei, genau wie einst Adolf Hitler.

Satire

Satire ist eine Kunstform, mit der Personen, Ereignisse oder Zustände kritisiert, verspottet oder angeprangert werden. Typische Stilmittel der Satire sind die Übertreibung als Überhöhung oder die Untertreibung als bewusste Bagatellisierung bis ins Lächerliche oder Absurde.

Üblicherweise ist Satire eine Kritik von unten (Bürgerempfinden) gegen oben (Repräsentanz der Macht), vorzugsweise in den Feldern Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 3. Februar 2020 | Peter Wilhelm 3. Februar 2020

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