Spitze Feder

Dunkelflaute

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Habt Ihr es auch bemerkt… gleich heute Morgen nach dem Aufstehen? Ach so, ihr wisst gar nicht, was ich meine. Sorry!

Dann helfe ich Euch gerne auf die Sprünge. Prinzipiell konnte man heute morgen ja tatsächlich nichts Besonderes feststellen. Zumindest nicht an der Performance, mit der die Kaffeemaschine und der Toaster arbeiteten. Alexa grüßte wie immer freundlich und fragte, welche Musik man zu den aufgebackenen Dr. Oetker-Croissants gerne hören möchte. Die Breaking News auf dem Smartphone funktionieren tadellos, und der 1. FC Bayern München ist noch immer Tabellenführer.

Keine Katastrophen, keine Apokalypse, kein Rollback in eine energetische Askese, die angeblich dräuten. Nix, null der Gleichen. Obwohl seit heute Nacht, Schlag 00:00 Uhr, die letzten drei verbliebenen Kernkraftwerke sozusagen „Shut Down“ sind. Obwohl es somit hierzulande keine friedliche Nutzung der Kernenergie mehr gibt und ab sofort im Netz auch keinen deutschen Atomstrom mehr. So weit, so trivial.

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Um die Tragweite dieser Zeitenwende, auch und gerade, außerhalb Bayerns irgendwie erfassen zu können, fürchte ich, mit ein paar Zahlen aufwarten zu müssen, wohl wissend, dass ein Großteil der Leserinnen und Leser vermutlich nichts weniger goutiert, als Zahlen. Auch bitte ich um Nachsicht, wenn ich das gleichermaßen unwissenschaftliche, wie dümmliche Vokabular übernehme, das die Diskussion um die „Energieerzeugung“ beherrscht, denn ich möchte den nachfolgenden Zahlensalat nicht noch zusätzlich mit semantischer Erbsenzählerei vergällen.

Here we go:

Im Jahre 2022 wurden in Deutschland 506,8 Terawattstunden (TWh) Strom produziert. Der Anteil der Atomkraft lag (bis heute, Schlag 00:00 Uhr) mit 4,4 %, bei rund 22,3 TWh. Im gleichen Jahr konnten netto 26,3 TWh, im Gegenwert von knapp 3 Milliarden €, aus Überproduktion exportiert werden. Dies zum Thema „Die Lichter gehen ohne Atomstrom aus“. Die Stromerzeugung aus sogenannten regenerativen Quellen, sprich: aus Windkraft, Photovoltaik, Wasserkraft und Biogas, lag im gleichen Zeitraum bei 233,9 TWh, also um den Faktor 10 höher, als die, der Kernkraftwerke. Tendenz steigend, seit der hauptamtliche, fossile Bremser im Bundeswirtschaftsministerium, am 8. Dezember 2021 vom Netz genommen wurde.

Für die „friedliche“ Nutzung der Atomenergie, also für eine Contradictio in Adiecto, wurden die Bürgerinnen und Bürger laut Angaben der Bundesregierung (Stand 2019), bisher mit 300 Milliarden € zur Ader gelassen. Das entspricht umgerechnet 4,3 Cent/kWh…ohne die Kosten für die Endlagerung des Atommülls irgendwie auf den Strompreis umzulegen. Da eine Anlage für eine Betriebsdauer von 1.000.000 Jahren, ob nun unter, oder über Tage, ohnehin ein technisches Hirngespinst ist, wurden diese Kosten wohl, nonchalant, nun ja…

Nun fokussiert sich das Mimmimi aus naturwissenschaftlich und technisch nachweislich völlig unbefleckten Kreisen der Union und der Liberalen, auf die Chimäre, eine CO2-freie Stromerzeugung aus rein parteipolitischen Gründen abzuschalten, sei auch und gerade aus Klimaschutzgründen ein Affront. Dass eine schwarz-gelbe Bundesregierung genau dies so in ein Gesetz gegossen hat, wird von der Union und den Liberalen seltsamerweise ausgeblendet. Anyway: Diese intellektuelle Dunkelflaute geht so weit, dass Markus Söder sogar fordert, Bayern müsse die Kernkraftwerke notfalls im Alleingang weiterbetreiben. Hierzu erlaube ich mir, einen Landsmann von Söder zu zitieren, nämlich den großen Aschaffenburger Mystiker und Haupthaar-Influencer Urban Priol, der einst meinte: „Und wenn Du denkst, es geht nicht blöder, kommt ein Tweet von Markus Söder“.

Nun gut, man ist von dem bajuwarischen Sonnenkönig ja so einiges an denkbefreiter Wirrnis gewohnt. Wenn es die Umfragewerte der CSU erfordern, und weil deren selige 50 %+X-Zeiten nun mal definitiv vorüber sind, umarmt er wahlweise auch mal einen Baum, oder überholt das neofaschistische Pack namens AfD brachial rechts, ohne mit der Wimper zu zucken. Was der Söder Markus bisher leider noch nicht in Erwägung gezogen hat, um mit seinem tumben Populismus auch noch den letzten niederbayrischen Einödhof zu beglücken, ist ein Bad im Starnberger See, wie sein Bruder im völlig umnachteten Geiste, Ludwig II. von Bayern. Bei seiner nicht enden wollenden, populistischen Logorrhoe, könnte man beinahe den Eindruck gewinnen, jemand lade dem krachledernen Duracell-Karnickel regelmäßig die Akkus mit 100% Atomstrom und hielte die enervierende Landplage aus Nürnberger so am Laufen.

Um die per se unlösbare Frage nach einem Atommüll-Endlager einfach mal auszuklammern und die Dunkelflaute der Pro-Atomkraft-Influencer*:innen ein wenig zu erhellen, ist es ratsam, sich einmal „ergebnisoffen“ mit der angeblich nur marginalen CO-2-Emission eines Kernkraftwerkes zu befassen. Das mag im reinen Betrieb ja durchaus stimmen. Insofern könnte man sich aus Gründen der Luftreinhaltung, beinahe in die Phalanx jener Staaten einreihen, die gerade Dutzende neue Kernkraftwerke aus dem Boden stampfen. Betrachtet man allerdings, ebenfalls „ergebnisoffen“ den CO2-Fußabtruck der kompletten Technologie, also vom Bau der Gebäude und Anlagen, vom Abbau und dem Transport des Uran-Erzes und dessen Weiterverarbeitung zu Brennstäben, usw., sieht die ganze Geschichte hingegen nicht nur moralisch, sondern auch ökologisch ziemlich Scheiße aus.

Man könnte sich, in christlich-sozialer und freiheitlich-liberaler Denke, natürlich auch einfach zurücklehnen und sagen, dass uns in Deutschland die blutigen Kriege um die Uranerz-Lagerstätten, die Umweltzerstörung im fernen Kasachstan, in Namibia, in Niger, oder sonstwo, die über Jahrtausende vergifteten Mondlandschaften, der astronomische Energiebedarf und die aberwitzigen CO2-Emissionen, bis die produzierten Brennstäbe dann letztendlich in unseren Meilern umweltfreundlich zum Einsatz kommen…man könnte sich einfach zurücklehnen und sagen, dass uns das alles nix angeht.

Das wäre dann die totale Dunkelflaute…in Bayern und auch anderswo.

Bildquellen:
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Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Peter Grohmüller: © 17. April 2023

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