Da sitze ich nach dem Frühstück und studiere die Tageszeitung. Ein Bericht fällt mir auf und ich sage zu Anke, meiner Allerliebsten: „Du, die schreiben hier, daß die Meteor…“
Weiter komme ich nicht, denn in ihrer unnachahmlichen Art verbessert mich meine kleine Halbungarin: „DER Meteor“ und betont dabei das Wort ‚der‘ ganz besonders deutlich.
„Nein, es heißt DIE Meteor, weil…“
Abermals schneidet sie mir das Wort ab und sagt: „Seit wann das denn? Das weiß doch jedes Kind, daß es DER Meteor heißt!“
„Jetzt lass mich doch mal ausreden, es heißt DIE Meteor, weil es sich um…“
„Du brauchst jetzt gar nicht nach Ausflüchten suchen, gib doch einfach zu, daß du dich versprochen hast.“
„Du bist unmöglich. Würdest du mich ein Mal, nur ein einziges Mal ausreden lassen, dann könnte ich dir genau erklären warum…“
„Das ist doch wieder einmal typisch! Wann, sag mir bitte wann habe ich dich mal nicht ausreden lassen?“
„Beinahe jedes Mal, wenn ich irgendetwas sagen möchte!“
„Das ist ja wohl die Höhe. Aber gut, dann sag jetzt, was du sagen wolltest!“, sagt die Allerliebste, lehnt sich zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und wippt dabei mit den Füßen.
Ich hole Luft und beginne: „Ja also…“
„Aber nicht, daß du wieder bei Adam und Eva anfängst!“
„Siehst du, du hast mich schon wieder unterbrochen!“, maule ich.
„Gar nicht wahr!“
„Doch! Ich komme überhaupt nicht dazu, irgendeinen Satz zu Ende zu führen, weil du nach den ersten zwei, drei Wörtern gleich etwas dazwischenbabbelst!“
„Mein Gott, was bist du umständlich. Eine Frau hätte schon längst gesagt, was sie sagen will, aber du redest nur um den heißen Brei herum und kommst nicht auf den Punkt.“
„Also wirklich! Du verdrehst die Tatsachen wieder einmal völlig! Ich komme deshalb nicht dazu, etwas zu sagen, weil du mir immer das Wort abschneidest und du wirfst mir vor, ich würde nicht zur Sache kommen.“
„Ist doch aber auch wahr! Jetzt reden wir schon fünf Minuten und nur weil du nicht zugeben willst, daß es DER Meteor heißt.“
„Es heißt ja auch normalerweise der Meteor, aber…“
„Siehst du, es geht doch! Du mußt nur auch mal was zugeben können“, sagt meine Frau milde und streichelt mir über die Wange, so wie es eine Mutter mit ihrem behinderten Kind tun würde, wenn es mal nicht gekleckert hat.
Gut, dann lasse ich es halt und Anke wird nie erfahren, daß das Forschungsschiff „Die Meteor“ in die Antarktis aufgebrochen ist. So ist das aber immer mit ihr. Anke ist sehr redselig und vor allem dippelschisserisch. Ein Dippelschisser ist im hiesigen Dialekt ein Kleinigkeitskrämer, also auf Hochdeutsch ein Pünktchenscheißer. Solche Leute nehmen alles immer ganz genau, vor allem wenn es andere betrifft. Nicht der kleinste Fehler beispielsweise in Aussprache oder Betonung entgeht ihnen und Anke ist die Königin der Dippelschisser.
Eine besondere Eigenschaft der Dippelschisser ist es aber, daß sie jeden Menschen auf der Welt, nur niemals sich selbst für einen Dippelschisser halten. Ein Dippelschisser kann es nämlich unter gar keinen Umständen ertragen, daß ihn irgendjemand auf einen eigenen Fehler aufmerksam macht. Dann ist derjenige sofort und für alle Zeiten beim Dippelschisser als Dippelschisser verschrien.
Ein Dippelschisser macht schlicht und ergreifend keine Fehler, er wird gefehlert und das immer von anderen.
Ich habe da so eine Jeans, die etwas eng ist. Die ziehe ich aber gerne an, weil sie meinen knackigen Hintern so publikumswirksam zur Geltung bringt. Leider ist dieser kleine Pinockel abgebrochen, der hinten am Bedienteil des Reißverschlusses angebracht war und verhindern soll, dass der Reißverschluss wieder aufgeht. Wie heißt so ein Pinockel eigentlich richtig?
Jedenfalls ist der abgebrochen und so kommt es, daß wir in der Stadt unterwegs sind und sich allmählich der Reißverschluss meiner Jeans öffnet. Das entgeht natürlich meinem angetrauten Dippelschisser nicht. Sie grinst und mit einem etwas hämischen Unterton sagt sie: „Mach mal deinen Hosenlatz zu, da gehen gleich die Vöglein fliegen.“
Ach Herrje, wie peinlich! Schnell ziehe ich den Zipper wieder hoch und im selben Moment fällt mir auf, daß Ankes Jeans ebenfalls ein Stück offensteht. „Du, dein Reißverschluss ist auch offen.“
„Das kann gar nicht sein!“
„Dann guck doch!“
„Da muß ich gar nicht hingucken, das KANN nicht sein.“
Dippelschisser machen eben keine Fehler und was nicht sein darf, das kann auch nicht sein. Trotzdem fasst Anke an den Reißverschluss und als sie bemerkt, daß ich Recht habe, zieht sie ihn schnell hoch. Statt jetzt einfach nur Danke zu sagen, muß sie sagen: „Das kommt nur davon, daß du mich vorhin wieder so gehetzt hast!“
„Ich habe dich doch gar nicht gehetzt. Darf ich dich daran erinnern, daß ich eine Viertelstunde in der Jacke an der Tür auf dich warten musste….“
„Da haben wir es mal wieder, du kannst nie, nie, nie etwas zugeben“, sagt Anke und stapft weiter.
Und wieder einmal mehr hat sie mir einfach das Wort abgeschnitten.
Wenig später sitzen wir in einem Café und trinken etwas. Normalerweise trinke ich am liebsten schwarzen Kaffee, aber an diesem Tag war mir nach süßem Milchkaffee. Etwa acht Stückchen Würfelzucker waren notwendig, um dem Kaffee die richtige Süße zu verleihen.
„Warum nimmst du denn soviel Zucker?“, fragt Anke erstaunt.
„Weil….“
„Du nimmst doch sonst nie Zucker.“
„Ja, ich wollte aber…“
„Hast du deinen Geschmack umgestellt?“
„Nein, ich…“
„Soviel Zucker hast du ja noch nie genommen.“
„Aber heute will ich…“
„Jetzt sag nicht, daß das nicht fürchterlich süß ist. Das muß doch sowas von süß sein, daß man es nicht trinken kann. Meine Güte, acht Stückchen Würfelzucker, wenn ich da schon dran denke, dann wird es mir übel. Das muß ja klebrig sein wie Sirup, wie kann man denn sowas bloß trinken, erst Milchkaffee, schon daß du Milchkaffee genommen hast ist ja was ganz Besonderes und dann auch noch mit soviel Zucker. Beim Kaffee hatte ich mich ja schon gewundert, aber jetzt noch der viele Zucker. Das kann ich jetzt gar nicht verstehen, so kenne ich dich ja gar nicht und ich kenne dich schon ziemlich lang…“
„Mir war halt danach“, werfe ich kurz ein.
„Du lässt mich nie ausreden!“ raunzt sie mich an. „Niemals kannst du mich ausreden lassen!“
„Du wolltest doch wissen, warum ich Zucker genommen habe.“
„Pah, das interessiert mich doch eigentlich gar nicht, es war mir nur aufgefallen.
„Na, dann ist ja gut“, sage ich und rühre meinen Kaffee um. Im Augenwinkel sehe ich aber schon, daß sich was Neues anbahnt, Anke schiebt ihre Unterlippe vor, sie schmollt.
„Ist was?“, erkundige ich mich.
„Nö!“
„Doch, ich seh doch, daß irgendwas ist.“
„Nö!“
„Dann ist ja gut.“
„Nix ist gut!“
„Also ist doch was.“
„Ich bin sauer.“
„Und wegen was?“
„Weil du mir immer die Schuld gibst!“
Wie bitte? Ich gehe im Kopf blitzartig den gesamten Tag und alle geführten Dialoge durch. Dafür habe ich ein ganz besonderes Talent entwickelt. Da Anke immer darauf beharrt, ich hätte dieses oder jenes gesagt oder nicht gesagt, muß ich mir immer ganz genau merken können, was wir so im Verlauf der letzten Zeit gesprochen haben. Aber mir fällt in diesem Moment wirklich nichts ein, wobei ich ihr die Schuld an irgendwas gegeben hätte.
„Ich? Ich habe doch gar nichts gesagt“, sage ich deshalb, überlege aber krampfhaft weiter.
„Ach, erst machst du mir Vorwürfe ohne Ende und jetzt willst du wieder von nichts wissen.“
„Sag halt einfach, was dich stört.“
„Du hast mir die Schuld gegeben.“
„Woran sollst du die Schuld haben und wann habe ich das gesagt?“
„Vorhin!“
„Was vorhin?“
„Vorhin hast du gesagt, du hättest in der Jacke an der Tür auf mich warten müssen. Jetzt bin ich wieder Schuld.“
„Also wirklich, es ging um die Tatsache, daß du behauptet hast, ich hätte dich gehetzt und deshalb wäre das mit deinem Reißverschluß passiert. Daraufhin habe ich nur bemerkt, daß ja wohl von Hetze keine Rede sein kann, wenn ich in aller Ruhe auf dich warte.“
„In aller Ruhe! Weißt du eigentlich, welche Druck du auf mich ausübst, wenn du da so in der Jacke herumstehst?“
„Das war doch gar nicht so.“
„Siehst du, du kannst niemals einen Fehler zugeben.“
„Doch, kann ich, aber…“
„Niemals!“
„Du unterbrichst mich schon wieder, ich…“
„Niemals!“
„Anke, lass mich doch ausreden.“
„Nie!“
„Wenn du nicht wissen willst, was ich sagen will, dann…“
„Nie!“
„Dann lasse ich es eben.“
„Nie!“
Ich liebe diese Frau! Und im Laufe der Jahre habe ich mich daran gewöhnt, daß sie ein kleiner Dippelschisser ist. Doch mittlerweile ist unsere Tochter Josie schon 9 Jahre alt und zunehmend muß ich feststellen, daß ich da einen Dippelschisser-Ableger großziehe.
Erst gestern hat mir die Kleine mitten im Satz das Wort abgeschnitten. Noch reicht es, wenn ich nur die Augenbrauen hochziehe und sie streng anschaue. Aber wie soll das erst werden, wenn sie beginnt, meiner väterlichen Autorität zu entwachsen?
Kommt mich irgendwer im Heim besuchen?
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