Die Allerliebste macht immer ‚Pssst‘, wenn nach den Nachrichten die Wettervorhersage kommt. Sie findet es ganz wichtig, zu wissen, wie das Wetter wohl wird. Mich interessiert das gar nicht, ich kann es ja sowieso nicht ändern und habe auch keinen Einfluß darauf. Meteorologisch gesehen bin ich also schicksalsergeben, wie ein Inder.
Allerdings interessiere ich mich immer dafür, wie heiß es an diesem oder jenem Tag war und wieviel Regen gefallen ist. Deshalb habe ich eine kleine Wetterstation, die im Wohnzimmer an der Wand hängt. Draußen auf dem Balkon ist ein Sensor angebracht, der die erforderlichen Meßwerte ermittelt und eine Prognose für die nächsten drei Tage anzeigt.
Im Treppenhaus treffe ich unausweichlich auf Frau Ruckdäschl. Frau Ruckdäschl hat vor 50 Jahren von Hamburg aus hierhin ins Badische geheiratet, sich aber Fragmente ihres norddeutschen Dialektes bewahrt. Deshalb nennt sie die Geranien auf ihrem Balkon liebevoll ‚Scherohnien‘. Und ebenfalls deshalb nennen wir Frau Ruckdäschl auch einfach ‚die Scherohnie‘.
Die Scherohnie lautert immer hinter der spaltbreit geöffneten Wohnungstür, auf daß ihr nichts entgehe, was sich im Treppenhaus tut. Irgendetwas zu besprechen gibt es für sie immer und so kommt man niemals ungeschoren an ihr, unserer selbsternannten Concierge vorbei.
„Ach, was ist es doch so heiß“, sagt sie zu mir. Ich nicke nur freundlich und brumme etwas Unverständliches. Mit den Jahren habe ich gelernt, daß man am schnellsten an ihr vorbeikommt, wenn man möglichst wenig spricht und so tut, als sei man sehr in Eile.
„Gibt’s heut‘ noch Regen?“, fragt sie mich und da ich glaube, auf meiner Wetterstation das Wolkensymbol gesehen zu haben, nicke ich nur und will an ihr vorbei. „Sie sind ja so ein gebildeter Mann“, sagt die Scherohnie und fährt fort: „auf sie kann man sich verlassen.“ Der leere Mineralwasserkasten, den ich bei mir trage, wird allmählich schwer und ich sage deshalb: „So!“
So ein kurz und heftig vorgetragenes ‚So‘ bedeutet nämlich in meiner Sprache: ‚Laß mich in Ruhe, alte Fettel, ich muß jetzt weiter.‘ Und da ich das ‚So‘ auch noch mit der passenden, übelgelaunten Mimik unterstreiche, versteht das normalerweise auch jeder genau so, wie ich es gemeint habe. Nur Frau Ruckdäschl nicht. „Sie, sind sie sich sicher?“, erkundigt sie sich.
„Sicher? Wegen was?“
„Wegen dem Regen.“
„Ja, ja.“
Die Scherohnie klärt mich auf: „Sonst müßte ich nämlich heute nachmittag noch auf den Friedhof, meinen Mann begießen.“
Ich sage einfach nochmals: „Ja, ja“ und bin an ihr vorbei. Ihr noch einmal zunickend kann ich endlich meinen Weg fortsetzen. Nachmittags regnet es tatsächlich und ich freue mich, daß meine kleine Wetterstation so zuverlässig arbeitet.
Bis zum Abend hatte ich den Vorfall aber schon wieder vergessen, da klingelt es an meiner Tür. Die Scherohnie steht davor und überreicht mir eine Flasche Wein. Noch bevor ich etwas sagen kann stammelt sie: „Danke, danke“ und ist auch schon wieder die Treppe runter.
Anke, meine Frau -meistens die Allerliebste-, ist ebenso wie ich ziemlich verwundert. „Warum schenkt uns ausgerechnet die Scherohnie eine Flasche Wein?“
„Keine Ahnung“, sage ich, „vielleicht hat sich in ihrem Kopf ein bißchen von dem Kalk gelöst. Wir lachen.
Am nächsten Tag komme ich an Frau Ruckdäschls Tür vorbei, ohne daß sie mich überfällt. Aber auf der Straße spricht mich Herr Ofenloch an: „Na, wie wird denn heut‘ das Wetter?“ Offenbar ist das Wetter für alle Leute ein wichtiges Thema. Ich zucke mit den Schultern und will einfach weitergehen, da fügt er hinzu: „Wenn’s regnet, muß ich nicht mit dem Fahrrad zu meinem Garten fahren und spritzen.“
Auf meiner Wetterstation war aber, so erinnere ich mich, nur das pralle Sonnensymbol zu sehen, deshalb sage ich zu ihm: „Heute scheint bloß die Sonne.“
Der alte Ofenloch nickt mir zu und macht dabei so ein überlegen, besserwisserisches Gesicht, das sagt: ‚Na, das wollen wir doch mal sehen.‘
Es bleibt trocken an diesem Tag und insgeheim freue ich mich, als ich später vom Balkon sehe, wie Ofenloch zu seinem Garten radelt. Ich bin ja nicht unbedingt schadenfroh, aber dieser Ofenloch hat mich schon so oft geärgert, daß ich auch kein Mitgefühl empfinden kann.
Die Tage vergehen und die Vorgänge rund um das Wetter sind schon völlig aus meiner Erinnerung getilgt. Rouven, mein Sohn, hat seine Fußballschuhe verloren und Tochter Josie will unbedingt irgendein rosafarbenes Teil zum Aufblasen, weil alle anderen Mädchen das auch haben. Man sieht, wir haben echte Probleme.
Am nächsten Morgen klopft es zaghaft an unserer Tür, es ist die Frau vom Haus schräg gegenüber, Frau Sauerbier. Normalerweise kenne ich nur ihre obere Körperhälfte, denn vor ihrem Wohnzimmerfenster wächst ein großer Wacholderbusch, in dessen Schutz und Schatten sie den ganzen lieben, langen Tag hinter ihrer Fensterbank am Fenster steht und die Nachbarn beobachtet.
Seit ich das weiß, sage ich jedes Mal, wenn ich an ihrem Haus vorbeigehe, laut „Guten Morgen, Frau Sauerbier“ oder einen anderen, der Tageszeit entsprechende Gruß. Sie grüßt zwar immer zurück, aber ganz offensichtlich fühlt sie sich gestört, weil sie lieber unentdeckt bliebe und wohl auch fest daran glaubt, daß niemand weiß, daß sie dort lauert.
Nun jedenfalls steht sie vor mir. Sie ist kleiner, als ich dachte und untenrum auch dicker, als man es vermutet hätte. Vielleicht, so überlege ich mir, steht sie auf einem Schemel oder Hocker, denn am Fenster wirkt sie bedeutend größer. Sie reibt etwas verlegen ihre kleinen, dicken Hände und hüstelt.
„Was kann ich denn für sie tun?“, frage ich sie.
„Ich wüßt gern, ob mein Mann und ich…
Bis hierher reicht der Entwurf. Wie könnte es wohl weitergehen?
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