Ich sei immer so bissig, sagen manche. Es sei doch böse, wenn man etwas über andere schreibe, sagen sie. Ich sage dann: „Moment mal, ich bin Autor, Journalist und Satiriker, es ist meine Aufgabe, über die Dinge zu schreiben, das ist doch mein Beruf!“
Ja schon, das sei ja auch alles gut und schön, und das was ich schreibe, das sei ja auch flott, gut lesbar und schön bissig. Aber in diesem oder jenem speziellen Fall, da könne man das nicht so schreiben, da dürfe man nicht bissig sein, da müsse man sich zurückhalten.
„Zurückhalten? Ich soll also meine Kunst beschneiden und mit einem Maulkorb arbeiten? Wegen was? Warum? Weshalb? Weswegen?“
Ja, das sei doch klug und man wirke auch viel netter und überhaupt…
„Nein, ich will Brot essen und das Schreiben bringt mir das Geld ein, um mir Brot kaufen zu können.“
Dann solle ich doch lustige Sachen schreiben oder Märchen oder Kochrezepte…
Gut, das sehe ich ein. Also schreibe ich heute die alt-ostpreußische Märchen- und Kochgeschichte vom Nudeltopf auf:
Die dicke Nudel saß schon ziemlich lang in ihrer Soße und freute sich des Lebens. Sie mochte es, wenn es ihr und den anderen Nüdelchen schön warm um die Brust war und ganz besonders liebte sie es, wenn die Soße anfing etwas fest zu werden und sich um ihre Nudeltaille so ein angenehm polsternder Fettrand bildete.
So lebte die dicke Nudel jahrein, jahraus glücklich vor sich hin und weil es eine ganz besonders nette dicke Nudel war, mochten die anderen Nudeln im Topf sie auch sehr gerne.
Ja, man konnte sogar sagen, daß die dicke Nudel so etwas wie die Chefin unter den Nudeln dieses Topfes war, zumindest war sie sehr angesehen.
Eines Tages, man weiß heute gar nicht mehr woher, hüpfte ein kleiner und wunderschöner Nudelrigatoni in den Topf. Mal schwamm er in diese Ecke des Topfes, mal in jene; und überall unterhielt er sich mit den anderen Nudeln, die auch ihn sehr mochten. Der Rigatoni sei besonders witzig und charmant und wisse zu allem und zu jedem was zu sagen. Nein, was für ein brillianter Gesprächspartner er doch sei.
Der dicken Nudel war das egal. Sie saß gerade so gemütlich in ihrem Fettrand und wollte sich durch den kleinen umtriebigen Kasper nicht stören lassen.
Doch auf der anderen Seite war sie ja gerne Chefin im Topf, gerade erst hatte sie sich mit den kleinen türkischen Suppennüdelchen am Boden des Topfes angefreundet und man schätze sie ganz allgemein im Topf, weil sie sich so eindringlich um die nachbarschaftsübergreifende Nudelverständigung verdient gemacht hatte.
Böse Zungen behaupteten, das ganze Getue um die türkischen Suppennüdelchen sei doch nur eine aufgesetzte Farce, in Wirklichkeit gehe es der dicken Nudel doch gar nicht um die weltweite Einheit der Nudeln, ja es gehe nicht einmal um die Vertretung gemeinsamer Interessen in diesem Topf, sondern die dicke Nudel ließe sich nur mal mit diesem oder jenem ein, um als berühmteste Nudel im ganzen Topf zu gelten. Schließlich wähle man ja alle paar Jahre eine Abgesandte für das große Nudelparlament und da wolle die dicke Nudel mit jedem gut Freund sein, um auch von diesen Nudeln die Stimmen zu bekommen.
Nein, das mit den türkischen Suppennüdelchen sei sowieso schon am Ende, da habe die dicke Nudel keine Lust mehr dazu, jetzt sei sie ständig in der Ecke mit den grünen Spinattortellini zu sehen, ja wenn man richtig hinschaue, könne man erkennen, daß sie selbst sogar schon oben herum ein ganz kleines bißchen grün geworden sei.
Ach was, das komme doch nicht vom Spinat, tönte es vor allem unter den Nudelfrauen im Topf, die sei bloß zu lange außerhalb der Soße gewesen und fange jetzt schon an zu schimmeln.
Den kleinen Rigatoni interessierte das Ganze nicht und er entpuppte sich im Topf als famoser Unterhalter, der allenthalben beliebt und geschätzt war. Vor allem die kleinen Buchstabennudeln mochten seine Kasperlevorführungen und die älteren Ravioli liebten seine bunten Abende, wenn er Stimmen von Klößen und Kartoffeln nachmachte und sich hin und wieder wie Reis oder Grünkern verkleidete.
Es dauerte nicht lange, da schwamm die dicke Nudel, die inzwischen ausgiebig in Sauce gebadet hatte und so dem grünen Schimmel wirkungsvoll entgegengetreten war, zum kleinen Rigatoni und sprach: „Du scheinst mir ein gar lustiger Gesell‘ zu sein, komm lass mich mitmachen, lass auch mich eine Ulknudel sein!“
„Aber klar, meine liebe dicke Nudel, gerne kannst Du mit mir Schabernack und Mummenschanz treiben, mir liegt es am Herzen, den anderen Nudeln Frohsinn, Heiterkeit und Erbauung zu bringen; aber sag, dicke Nudel, was kannst Du denn Besonderes?“
Da mußte die dicke Nudel doch erst eine Weile überlegen und sagte schließlich: „Ich bin bei den anderen Nudeln sehr beliebt.“
„Oh, das ist schön“, sagte der Rigatoni, „aber höre, liebe Schwester dicke Nudel, ich finde das ist ein bißchen wenig. Aber sei nicht traurig, es gibt viele Nudeln, die nichts können und nichts wissen. Ich habe auch für Dich genug zu tun in meiner kleinen Truppe der ehrenamtlichen Gaukler hier im Topf. Du darfst die Karten abreißen.“
Und wie der kleine Rigatoni das so sagte und sich dabei neckisch in der Soße hin und her wiegte, überkam die dicke Nudel ein gar merkwürdiges warmes Gefühl unterm feuchten Saucenrand. Eigentlich war der Rigatoni, so fand sie, ja ein ganz süßes Nüdelchen. Vielleicht könnte sie mit dem ja mal in eine dunkle Ecke am Boden des Topfes abtauchen und ein wenig herumnudeln.
Obwohl der kleine Rigatoni diesem Tun nicht abgeneigt war und es allenthalben hieß, er sei nebenbei auch noch ein ganz flottes Nüdelchen, so ließ er sich doch weder mit der dicken Nudel, noch mit den anderen weiblichen Nudeln ein. Vor Jahren war er mal zu lange neben einem niedlichen schwäbischen Schabespätzle geschwommen und das hatte ihm Ärger mit seiner Heimnudel eingebracht. Seitdem beschränkte er sich aufs Freundlichsein und Gucken.
„Ich lasse mir daheim doch nicht die feinen Rillen aus meinem schönen Nudelkörper bürsten, nur weil ich wieder auswärtig genascht habe“, sagte er einmal dazu.
Das aber nahm ihm die dicke Nudel krumm. Wie konnte so ein dahergelaufener Schwätzer und Klamaukmacher es wagen, sie die große und beliebte dicke Nudel abzuweisen? Sie war doch schließlich jedermanns Freund und würde demnächst garantiert ins große Nudelparlament gewählt. Und da kommt dann so ein Rigatoni daher, der zudem auch noch aus Hartweizen besteht, während sie doch eine echte Einernudel war, unglaublich, was der sich rausnimmt!
Von da an grinste sie dem kleinen Rigatoni immer freundlich ins Gesicht, wenn sie ihn sah, versprach ihm auch immer wieder, ihm bei der Belustigung der anderen Nudeln zur Seite zu stehen, in Wirklichkeit aber ballte sie unterhalb des Soßenspiegels, dort wo es keiner sah, ihren Weizenkleber vor Wut zusammen und tat gar nichts, sondern ließ den kleinen Rigatoni mit seinen Aufführungen einfach hängen.
Davon bekamen die anderen Nudeln nichts mit und sie glaubten sogar, die dicke Nudel sei zu einer tragenden Säule der kleinen Gruppe von Gauklern geworden, die sich um den Rigatoni geschart hatte.
Geschickt war die dicke Nudel nämlich just immer dann hinterm Rigatoni durch den Topf geschwommen, wenn wieder einmal Bilder für das neue Nudelplakat gemacht wurden.
So kam es, daß die dicke Nudel, unterstützt von den Spinattortellini tatsächlich ins Nudelparlament gewählt wurde.
Stolz schwamm sie forthin durch den Topf, ließ sich überall feiern und bestand sogar darauf, daß sie von den anderen Nudeln mit „Frau Nudelparlamentarierin“ angesprochen wurde.
Nun war es so, daß der kleine Rigatoni eine ganz besondere Idee hatte. Er wollte zwischen dem Nudeltopf und dem Reiskocher ein dünnes Seil spannen und hatte schon Kontakt zu zwei Semmelknödeln aufgenommen, die auf diesem Seil tanzen und so die Nudeln und den Reis gleichermaßen unterhalten wollten.
Auf gar keinen Fall gehe das, wurde ihm vom Nudelparlament beschieden, die Gefahr sei viel zu groß. Am Ende zerschneide das dünne Seil noch einen der Knödel in zwei Hälften oder es könne reißen und einer der Knödel stürze auf die benachbarte heiße Kochplatte, um Himmels Willen! Nein, er solle diese größenwahnsinnigen Albernheiten doch bitte unterlassen. Allenfalls der Gastauftritt von zwei polnischen Markklößchen sei möglich und das bitteschön auch nur innerhalb des Topfes, aber doch nicht so ein Event!
Darüber ärgerte sich der kleine Rigatoni sher. Über Jahre hinweg hatte er bis dahin mit seinen bunten Abenden, mit seinem Kasperletheater und seinen lustigen Aufführungen im ganzen Topf für Erbauung und Heiterkeit gesorgt und jetzt, wo er doch diese tolle Idee hatte, wollte man ihn nicht lassen.
Das kränkte ihn, weil man in gewisser Weise ja auch zum Ausdruck gebracht hatte, daß man es ihm nicht zutraute, ein gutes, sicheres Seil zu spannen und diese tolle Veranstaltung mit den Semmelknödeln durchzuführen.
Beleidigt zog sich der kleine Rigatoni ein paar Tage auf den Boden des Topfes zurück, saugte sich mit Soße voll und schmollte.
„Seht her! Jetzt läßt mich dieser Rigatoni, dieser kleine Angeber, Aufschneider und Frauenverächter mit der ganzen Unterhaltung für Euch Nudeln ganz alleine“, tönte die dicke Nudel und versuchte für die anderen Nudeln etwas zu tanzen. Das sah albern aus und keiner lachte. Sie sei jetzt die Ulknudel im Topf und nur sie, die dicke Nudel, sei prädestiniert, künftig für Klamauk und Schabernack zu sorgen.“
Der große Makkaroni und der etwas schräge Gabelspaghetti tauchten zum Rigatoni hinab und stupsten ihn wieder an die Oberfläche. „Mann, es hat doch keinen Sinn, sich hier sinnlos mit Soße vollzusaugen und am Boden des Topfes anzubrennen. Mach keinen Scheiß! Du bist doch eine Rampensau, Du mußt weitermachen, laß Dich doch nicht hängen, Du bist schon ganz weich und teigig, jetzt schwimm mal ein paar Runden durch den Topf und spreche mit den Leuten, dann wirst Du sehen, daß die Dich alle noch ganz fürchterlich lieb haben und nichts anderes wollen, als das Du für sie Klamauk und Schabernack treibst“, sagten der große Makkaroni und der etwas schräge Gabelspaghetti zum kleinen Rigatoni.
„Nix da“, schimpfte die dicke Nudel: „Weggegangen, Platz vergangen! Der Rigatoni ist zum Topfboden abgetaucht und jetzt bin ich hier im Topf diejenige, die Schabernack treibt. Seht her, Leute, ich kann auf der Soßenhaut gar lustig herumtollen, ist das nicht fein, ist das nicht toll?“
Eine kleine Chillieschote schwamm zu ihr herüber und erklärte sich solidarisch. Auch er finde, daß der kleine Rigatoni zu weit gegangen sei und wolle jetzt künftig sie unterstützen. „Siehste“, sagte die dicke Nudel, „die Leute lieben mich, die anderen Nudeln wollen mich, nur mich, nur mich allein, ach, was bin ich fein!“
Der dicke Makkaroni, der etwas schräge Gabelspaghetti und eine hübsche Spirelli-Nudel, die sich ihnen zugesellt hatte, hakten den kleinen Rigatoni unter und schoben den etwas Mutlosen durch den ganzen Topf.
„Mensch, wo warst Du die ganze Zeit? Los mach mal wieder was Tolles! Wann machst Du wieder mal was Unterhaltsames?“ hieß es aus allen Ecken des Topfes und dem kleinen Rigatoni ging es zunehmend besser. Er fasste wieder Mut und beschloss schließlich weiter zu machen.
„Pass auf“, sagten ihm seine drei Mitstreiter, „einfach so Klamauk machen, das geht wirklich nicht. Deine Ideen sind gut und Dein Schabernack ist vom Feinsten. Doch was, wenn tatsächlich mal ein Semmelknödel abstürzt? Was wenn so ein polnisches Markklößchen in unserer Soße ertrinkt, die sind doch nur dünne Brühe gewöhnt. Das müssen wir ganz anders aufziehen. So wie Du es bisher gemacht hast, so war es gut, aber man kann das alles noch viel besser organisieren.“
Die dicke Nudel schimpfte Zeter und Mordio, wie konnte es der kleine Rigatoni wagen, jetzt doch wieder vom Topfboden aufzutauchen und Klamauk machen zu wollen? Schließlich habe sie sich doch in aufopfernder Weise und in heldenhaftem Tun nun des Klamauks angenommen. „Jetzt braucht der auch nicht mehr zu kommen! Seht, ich habe doch schon viele Helfer, die kleine Chillieschote und einen Zwiebelring und der Speckwürfel will auch, daß nur ich das mache. Wir sind die echten Klamaukmacher, nur wir sind berechtigt, hier für Schabernack zu sorgen. Die anderen da, die sich um den kleinen Rigatoni scharen, das sind doch Nachgemacht, Reingeplackte, auf jeden Fall nicht die Echten.“
„Uns ist das egal“, sagten die anderen Nudeln, „Hauptsache irgendwer macht überhaupt Klamauk, sonst wird’s ja langweilig. Und uns ist es lieber, da gibt es zwei Gauklertruppen, da haben wir mehr Abwechslung, als daß es gar keine mehr gibt. Und vom kleinen Rigatoni wissen wir wenigstens, daß er das auch wirklich kann. Sein Klamauk war immer sehr schön. Vor der dicken Nudel haben wir ja nie viel gesehen.“
„Das darf Euch doch nicht egal sein“, schimpfte die dicke Nudel, erntete allenthalben aber nur desinteressiertes Schulterzucken.
„Komm, lass uns doch in Ruhe mit Deinen Albernheiten. Du willst doch bloß immer ganz oben schwimmen. Los, mach Klamauk, dicke Nudel, und zeige was Du kannst“, sagten die anderen Nudeln.
„So kann es doch nicht weitergehen“, meinte der etwas schräge Gabelspaghetti zum kleinen Rigatoni. „Ihr habt Euch doch mal gut verstanden, da war doch mal was Gemeinsames, da kann man sich doch nicht einfach so zerstreiten. Lasst es uns doch gemeinsam versuchen, wir wollen doch alle nur den Klamauk.“
Und es begab sich, daß der etwas schräge Gabelspaghetti die dicke Nudel fragte, ob sie sich nicht mal mit dem kleinen Rigatoni treffen wolle, nur sie drei, der etwas schräge Gabelspaghetti, der kleine Rigatoni und die dicke Nudel. Der kleine Rigatoni habe schon zugesagt und das wäre doch eine gute Gelegenheit, das Kriegsbeil zu begraben.“
Die dicke Nudel sagte zu.
So saßen dann eines Abends der etwas schräge Gabelspaghetti und der kleine Rigatoni auf einem Berg Nudelwasserschaum und warteten auf die dicke Nudel.
Doch die dicke Nudel kam nicht.
Tja, und wenn sie nicht gestorben sind, dann warten sie noch heute.
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