„Zivilcourage kennzeichnet die Eigenschaft einer Persönlichkeit, die bereit ist, sich in ihrem alltäglichen bürgerlichen Umfeld für die Durchsetzung von Gerechtigkeit und sozialen Normen einzusetzen, auch wenn dies unangenehm oder sogar für die eigene Unversehrtheit problematisch werden könnte.“ Quelle: Wikipedia.
Ende der Achtziger wurde ich durch lautes Geschrei, auf einen Mann aufmerksam, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine ihm in Größe und Statur deutlich unterlegene Frau massiv bedrohte. Ich ging sofort vor die Tür, rannte auf ihn zu und brüllte ihn an: „Hei, Du Arschloch. Such Dir einen Gegner und kein Opfer!“. Ich stellte mich zwischen die beiden, sagte der Frau, sie solle sofort ins Haus gehen und die Türe abschließen und zu dem angetrunkenen Idioten, er solle sich verpissen, solange ich ihm noch die Gelegenheit dazu ließe. Zivilcourage?
Anfang der Neunziger fuhr ich mit meinem damals ungefähr sechsjährigen Sohn in der Straßenbahn. Darin randalierte ein offensichtlich betrunkener Idiot, pöbelte zwei Frauen mit Migrationshintergrund an und schrie durch den Wagen, dass man diese im Dritten Reich vergast hätte. Alle anderen Fahrgäste schauten aus dem Fenster. Da ich im Beisein meines Sohnes die Lage nicht weiter eskalieren wollte, ging ich zum Fahrer, fragte ihn, ob er das nicht mitbekommen habe und forderte ihn auf, sofort die Polizei zu rufen, um diesen Vollidioten festnehmen zu lassen. Die Reaktion des Fahrers war gleich Null. Zivilcourage?
Angesichts des eiskalten Polizistenmordes am vergangenen Freitag in Mannheim, melden sich nun erwartungsgemäß wieder Politikerinnen und Politiker jedweder Couleur zu Wort, drücken ihre tiefe Betroffenheit aus, dass so etwas nicht hinnehmbar sei, dass der Rechtsstaat jetzt mit aller Härte reagieren müsse und versteigen sich in weiteres stereotypes Geschwätz. Den Gipfel populistischer Erbärmlichkeit erklomm sogleich der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter, mit seinem Aufruf an die Bevölkerung, zu „mehr Zivilcourage gegen Extremismus jeglicher Art“.
Nur, damit kein Missverständnis entsteht: Ich gebe Christian Specht keine Mitschuld an diesem widerlichen Hassverbrechen. Punkt! Der brutale Mord des mutmaßlichen islamistischen Extremisten, ist durch nichts zu rechtfertigen, und den Messerstecher trifft die alleinige Verantwortung für die Bluttat. Nochmals Punkt und Ende der Durchsage!
Bevor Kiesewetter sein mediengeiles Maul im Deutschlandfunk derart entgleisen ließ, um quotenträchtig auf der Betroffenheitswelle mitzusurfen, hätte er besser eben jenen Christian Specht, seinen Parteikollegen und Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, gefragt, wie es sein könne, dass der bekannte rechtsradikale Scharfmacher und „Islamkritiker“, Michael Stürzenberger, in Mannheim überhaupt ein Podium für seine xenophobe Hetze und seinen Fremdenhass geboten bekam, und weshalb man diese „Kundgebung“, mit den absehbaren, gezielten Provokation, seitens der Behörden nicht von vornherein verbot.
Roderich Kiesewetter hätte aber auch Peter Tschentscher (SPD), den 1. Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, fragen können, weshalb rund 1.000 fanatische Islamisten die Genehmigung erhielten, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, gemäß Artikel 8 unseres Grundgesetzes, derart schäbig zu missbrauchen, um auf einer Demonstration unbehelligt das Kalifat zu fordern und auf die Bundesrepublik Deutschland, auf unseren Rechtsstaat und die Demokratie zu scheißen.
Roderich Kiesewetter hätte aber auch Friedrich Merz, seinen CDU-Parteichef, fragen können, weshalb er mit seiner gezielten Hetze, „Asylbewerber lassen sich die Zähne machen und nehmen anderen Termine weg“, dreist und wissentlich log und damit vorsätzlich Öl ins Feuer rechtsradikaler Hetzkampagnen goss. Und, und, und…
Roderich Kiesewetters politische Heimat versteht unter Zivilcourage anscheinend, sich von der AfD keinesfalls die Butter vom Brot nehmen zu lassen, koste es, was es wolle, und jede noch so widerwärtige Aussage der scheußlichen rechten Ultras, couragiert, mit einer noch widerwärtigeren zu kontern, um den harten Kern aus alten und neuen Nazis, die es in Deutschland leider immer noch gibt, zu hofieren und deren Wählerstimmen abzuschöpfen.
Wie wäre es mit staatlicher Courage, statt mit schäbigen Appellen an die Bevölkerung? Wie wäre es, religiöse Demagogen und Hassprediger unverzüglich in das nächstbeste Flugzeug zu setzen und sie in ihre religiöse Heimat nach Saudi-Arabien, in die Türkei, oder sonstwohin zu verfrachten?
Wie wäre es, in die Losung „nie wieder“, auch Kundgebungen offener Demokratiefeinde einzubeziehen und diese rigoros zu verbieten? Wie wäre es, seriöse Wissenschaftler in die entsprechenden Polit-Formate einzuladen, statt fragwürdige Parteibuch-Experten? Wie wäre es, mit der Expertise jener Wissenschaftler und mit unwiderlegbaren Fakten, vor einem Millionenpublikum die Verlogenheit der AfD mit unumstößlichen Argumenten Punkt für Punkt zu entlarven und sachlich zu widerlegen?
Wie wäre es mit Respekt?
Wie wäre es mit Empathie?
Wie wäre es mit Aufrichtigkeit, jenseits aller Parteiinteressen?
Wie wäre es, offen und ehrlich einzugestehen, dass die Politik in den letzten Jahrzehnten vieles falsch gemacht habe, manches sogar wissentlich, auch wenn dies unangenehm sein könnte, auch auf die Gefahr hin, bei der nächsten Wahl dadurch das Mandat zu verlieren?
Wie wäre es, mehr Demokratie, mehr Wahrheit, mehr Wahrhaftigkeit zu wagen?
Das wäre echte Zivilcourage, wie ich sie verstehe…und Roderich Kiesewetter könnte sich sein törichtes Geschwätz in die Haare schmieren!
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: Demagogen, Hassprediger, Zivilcourage