ServiceWüste

WebID – sehr unangenehm

Web Id

Immer mehr Geschäfte werden heutzutage online abgeschlossen. Darunter auch zunehmend Geschäfte von großer Tragweite. Kein Wunder also, dass Unternehmen bei bestimmten Transaktionen und Vertragsabschlüssen genau wissen möchten, mit wem sie es zu tun haben.

Schauen wir zunächst auf ein klassisches Geschäft, das man in einem Laden abwickelt. Sagen wir, wir möchten einen hochwertigen Fernseher auf Teilzahlung kaufen. Dann wird man in das Kundenfinanzbüro gebeten, muss einen Fragebogen mit persönlichen Daten ausfüllen und zeigt dann dem Mitarbeiter seinen Ausweis vor. Das Unternehmen kann dann sicher sein, dass die Person, die da im Büro sitzt, auch diejenige ist, die sie vorgibt zu sein. Das ist auch beim Fahrzeugleasing im Autohaus so, bei Handyverträgen mit der Aushändigung teurer Smartphones usw.
Eine Person, ein Ausweis und ein Mensch, der das kontrolliert.

Im Online-Geschäft sieht das anders aus. Hier sind die Vertragspartner hunderte von Kilometern voneinander getrennt. Also muss die Verifikation der Personalien anders gehen. Hier kommen Verifikations- oder Identifikationsdienste ins Spiel.
Einer dieser Dienste ist WebID.
WebID nimmt den Unternehmen die Überprüfung der Identität ihrer Vertragskunden ab.

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Was machen diese Verifikationsdienste?

Wie können wir uns das vorstellen?
Ich kenne dieses Verfahren von einer Kreditkarte, die ich für eine Auslandsreise mal beantragt habe. Die LBB arbeitet auch mit einem Verifikationsdienst zusammen, ich weiß aber nicht mehr, welcher das war; das spielt aber keine Rolle.
Jedenfalls wurde mir ein Link übersandt, den ich anklicken musste. Dann stellte der Rechner eine Verbindung zu einem Dienst her. Dazu musste ich Kamera- und Mikrofonzugriff zulassen.
Auf dem Monitor erschien ein freundlicher Herr, der mich durch den Prozess leitete. Ob ich mit der Aufzeichnung einverstanden sei? Ja. Name und Vorname bitte. Wann und wo geboren? Bitte schauen Sie gerade in die Kamera, danke. Nun bitte die Vorderseite des Ausweises in die Kamera halten! Etwas höher, gut, danke. Nun die Rückseite. Alles klar, perfekt, danke, tschüß.
Wie lange hat das gedauert? Sagen wir 3 Minuten.

Nun mussten wir uns neulich via WebID identifizieren.
Das soll man am besten mit dem Smartphone oder Tablet machen.

Völlig unzeitgemäß: Gängiger Browser und iOS gehen nicht!

Erste Hürde: Unter dem gängigen Chrome-Browser und iOS funktioniert das nicht.
Man muss sich eine extra App herunterladen und installieren.

Extra App erforderlich

Vom Vertragspartner hat man zuvor eine Vorgangsnummer erhalten.
WebID ist ja nur ein Dienstleister und muss ja wissen, um wen und was es geht. Dank der Vorgangsnummer haben die alle benötigten Informationen.

Die Installation und Aktivierung der App ging sehr leicht, kein Problem. Dann startet man den Vorgang und sieht sich über die Frontkamera des Smartphones selbst. Oben rechts ist ein Feld eingeblendet, in dem dann später der Mitarbeiter von WebID zu sehen sein soll.
Anfang steht da jedoch nur ein Wartetext.

Unglaublich lange Wartezeit

Und diesen Wartetext sieht man auch ziemlich lange. „Verbindung wird aufgebaut“, „Ihr Gespräch wird gleich als nächstes beantwortet“, „Ein Agent wird sich gleich melden“, so ähnlich lauten die Hinweise, die einen hinhalten sollen.
Das dauert gut eine Stunde.
Und nach gut einer Stunde hatte ich keine Lust mehr und vermutete, dass die Verbindung eventuell hängt. Also nochmals die App geschlossen, neu gestartet, die Vorgangsnummer wieder eingegeben und dann erneut lange, lang gewartet.

Mein Vertragspartner sagte am nächsten Tag am Telefon, dass dem Unternehmen bekannt sei, dass es am späten Nachmittag und frühen Abend bei Web-ID zu einem großen Andrang komme. Eine Lösung wäre es, vormittags da anzurufen.
Gute Idee, aber da sind halt eben viele Leute auch auf der Arbeit und können nicht mal eben eine ruhige, menschenfreie Umgebung finden und ggfs. ewig lange bei stehender Videoverbindung auf einen „Agent“ warten.
Immerhin ist der Kunde König und somit darf man erwarten, dass WebID sich nach dem Kunden richtet und eben für die Zeiten, in denen der Kunde die Dienstleistung nachfragt, auch entsprechende Kapazitäten bereitstellt. Eine gewisse Wartezeit ist ja hinnehmbar, sagen wir 5 bis 10 Minuten, aber doch nicht über eine Stunde!

Endlich meldet sich der freundliche Herr R.
Ich muss betonen, dass der Mitarbeiter sehr freundlich und höflich war. Allerdings wurde mir die ganze Zeit ein bisschen der Eindruck vermittelt, als sei ich ein Bittsteller oder wolle etwas beanspruchen, das mir nicht zusteht oder könnte irgendetwas im Schilde führen.

Dazu muss man wissen, dass WebID ja mit dem eigentlichen Geschäft nichts zu tun hat, nichts über die weiteren Umstände weiß und strenge Vorgaben der Auftraggeber und des Gesetzgebers (BAFin) erfüllen muss.
Es geht ja u.a. darum, Betrug zu vermeiden und verlässliche Identifikationen durchzuführen.

Eine der Vorgaben ist es, dass während der laufenden Video- und Tonaufzeichnung nur der Vertragspartner zu sehen und zu hören sein darf. „Sonst wird die Aufnahme ungültig!“
Damit soll natürlich vermieden werden, dass Kriminelle unbedarfte Strohleute vor die Kamera setzen, zig Verträge abschließen lassen, ohne dass die Betroffenen genau wissen, was da vor sich geht. Eine Beeinflussung der zu identifizierenden Person soll ausgeschlossen werden.

Betrug soll vermieden werden: Aber wir sind keine Betrüger!

Das ist ja auch okay. Aber es gibt Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen, die im Alltag eine leichte Unterstützung benötigen. Es gibt auch Millionen Menschen, die bei der Bedienung eines Smartphones auch heutzutage immer noch gewisse Schwierigkeiten haben.
Das gilt umso mehr, als es sich hier nicht um die normale Bedienung des Smartphones über die bekannten Tasten und Knöpfe handelt, sondern um eine App von WebID, die besonders dadurch unangenehm auffällt, dass anzuklickende Symbole winzig klein sind.
Ältere und Seheingeschränkte sind hier sehr stark benachteiligt und vor große Hürden gestellt.

Es darf aber, so der WebID-Agent, niemand zu hören und zu sehen sein. Selbst der kleinste Hinweis, wie z.B. „da oben, die kleine Taste“, führt zum Abbruch des Identifikationsverfahrens.

Nicht nur Fakten werden abgefragt: Ein Ratespiel

Abgefragt werden Name, Geburtsdatum, Geburtsort, Handynummer und die zur Kontaktaufnahme verwendete Mailadresse.
Aber der Agent fragt auch nach dem Zweck der Identifikation. Hier müsste man dann beispielsweise Kreditkartenantrag, Handyvertrag oder Leasinggeschäft sagen.
In unserem Fall fragt er aber auch noch: „Ja, da steht im Anmerkungsfeld noch ein Hinweis, den müssten Sie mir bitte sagen!“
Und da wird das Ganze nicht nur kurios, sondern albern.

Woher um alles in der Welt, soll ich denn wissen, was da in dem Anmerkungsfeld steht? Keine Ahnung. Das war in keinster Weise vorher in der gesamten Abwicklung von Bedeutung und es kann auch nicht hergeleitet werden, was er meinen könnte und nun von einem erwartet.
Das sage ich auch. „Ja, da muss noch eine Angabe von Ihnen kommen, das wird hier erwartet.“
Ja, was denn? Würde man eine klare Frage stellen, würde ich antworten. Beispielsweise: „Mit wem wollen Sie das Geschäft abschließen?“ Dann würde ich beispielsweise sagen: „Mit der Telekom“ oder „mit der Toyota-Kreditbank“ oder „mit Goldbörse24“ oder so was.
Aber nein, der Mann beharrt darauf. Ich sage (jetzt mal als Beispiel): „Es geht um eine Blabla-Finanzierung.“
„Oh, da muss ich erst nachfragen, ob das als Antwort reicht.“

Es wird unangenehm, lästig und alles in allem kundenunfreundlich

Ab hier ist das Gespräch nicht mehr nur lästig, sondern wird unangenehm. Ich mag mit dem Herrn nicht mehr sprechen. Er hat mich vor der Kamera gesehen, ich bin ein echter Mensch, haben alles brav aufgesagt, jetzt reichts!

Nach kurzer Zeit meldet er sich wieder. Ja, das ging in Ordnung, aber eigentlich hätte ich so etwas sagen sollen wie „Blabla-Kreditbank, Abteilung Zimmermann, Hinterhof 3 mit Grünkohl“.
Natürlich ist die letzte Aussage Quatsch. Aber es geht gar nicht darum, welche Information er von mir haben wollte, sondern darum, dass keine klare Frage gestellt wird, sondern ein Ratespiel. Da stehe noch was im Sonderfeld, Anmerkungsfeld oder wie auch immer er das genannt hat. Das kann kein Kunde wissen.

Am besten in den Keller setzen

Ich muss meine Mailadresse sagen und sage sie, wie aus der Pistole geschossen. Allerdings vergesse ich, einen Bindestrich mit aufzusagen. Meine Frau souffliert ganz leise, kaum wahrnehmbar: „Minus!“

„Abbruch! Leider war jetzt jemand im Hintergrund zu hören, damit ist die Aufnahme ungültig! Wir müssen ganz von vorne anfangen!“

Da hat kein Krimineller mir eine Pistole an den Kopf gehalten, da hat kein Mafioso aus dem Hintergrund Zwang oder Druck ausgeübt, da hat jemand geflüstert. Abbruch!

Was soll denn dieser Mist? Solche Vorgaben gehen an den Lebensumständen und der Realität völlig vorbei.
Wenn eine ältere Person mit WebID konfrontiert wird, darf nichtmal der Enkel helfen und Unterstützung geben.
Eine behinderte Person scheitert je nach Behinderung vermutlich vollkommen.

Wie gesagt, außer der sich identifizierenden Person darf niemand sonst zu hören oder zu sehen sein. Das sei eine Vorgabe von der Aufsichtsbehörde. Mag so sein, ist aber lebensfremder Quatsch.

Drei Versuche sind gestattet, dann hast Du Pech!

Also alles noch einmal von vorne!
Alles nochmal neu.
Unser Fehler, zugegeben, aber normales Leben.

Bittsteller

Wir sind doch keine Bittsteller!

Wieder mache ich alle Angaben. Endlich ist der Mann von WebID zufrieden. Nun noch bitte den Ausweis abfotografieren. „Dazu schalten Sie jetzt von der vorderen auf die rückseitige Kamera um. Nutzen Sie das Symbol mit den zwei Pfeilen oben!“
Dazu muss ich das Smartphone in die Hand nehmen, es bewegt sich also. Ist doch völlig klar und völlig normal.
Beim Anheben ist für den Bruchteil einer Sekunde meine Frau zu sehen.

ABBRUCH!

Sehr freundlich, aber inzwischen auch energisch, sagt der Herr von WebID, er könne jetzt genau noch einmal eine Aufnahme starten, dann sei es vorbei.
Es wird also zusätzlich noch ein gewisser Druck aufgebaut. Du Kunde hast alles falsch gemacht, du bekommst jetzt genau noch eine Chance, sonst kannst das Geschäft in den Wind schreiben! Zack! Das sagt er natürlich nicht, aber dieses Gefühl bekommst Du.

Doch dazu kommt es nicht mehr: Die App verabschiedet sich trotz stabiler Internetverbindung ins Nirwana.

Erneute Verbindung nicht mehr möglich

Wir versuchen es erneut. App aufrufen, die Bearbeitungsnummer eingeben und dann sollte es ja eigentlich klappen, dass eine Verbindung zu eben diesem Herrn wieder hergestellt wird.
Aber nix. Gewartet, vertröstet, noch länger gewartet… Keiner meldet sich, keine Verbindung….

Es wird dann ein Knopf angeboten: „Termin vereinbaren!“

Ich klicke den an und bekomme einige feste Termine am übernächsten Tag angezeigt. Wir entscheiden uns für 16.15 Uhr.
Per Mail kommt später eine Bestätigung für 15.15 Uhr. Na ja.

Alles in allem empfinde ich das Ganze als sehr unangenehm.
Ich habe regelrecht Angst vor dem bevorstehenden Termin um 15.15 Uhr.
Was, wenn ich wieder eine Antwort auf eine Rätselfrage nicht weiß? Was, wenn die Technik Zicken macht? Was, wenn ich das kleine anzuklickende Symbol nicht richtig sehen kann?

Leute, ich möchte, dass ihr eine Dienstleistung für mich erbringt. Ich bin weder ein Bittsteller, noch ein Krimineller, noch ein Hellseher.

Noch eine Anmerkung:
Unsere Welt entwickelt sich ja immer mehr zu einer Online-Welt. Seit Ewigkeiten ist z.B. davon die Rede, dass Behördengänge künftig online erledigt werden können. Mancherorts funktioniert das in kleinen Teilbereichen auch schon.
Aber wenn immer mehr Menschen diese Dienste in Anspruch nehmen möchten, dann muss das auch funktionieren.
Allein schon die Online-Funktion des Personalausweises funktioniert ja kaum irgendwo. Es ist dem Normalanwender nicht klar, mit welchem Lesengerät, welcher Methode und welcher App er den Ausweis zur zweifelsfreien Identifikation nutzen kann.
Dabei wäre das technisch problemlos möglich. Und praktisch wäre es obendrein. Ausweis ans Smartphone halten oder in ein billiges Lesegerät stecken, eine PIN eingeben und fertig.
Fingerabdrucksensoren, Stimmerkennung und Face-ID, das gibt es alles doch schon und diese Verfahren gelten als extrem sicher. Aber nein, man muss einen Dienst wie WebID kontaktieren, die Technik funktioniert nicht richtig, es gibt Fallstricke zur Fehlbedienung durch den unbedarften Nutzer und dann wird noch zeitlicher Druck aufgebaut. Das von uns angedachte Geschäft verzögert sich jetzt dadurch um weitere 3 bis 4 Tage.

Bildquellen:
  • bittsteller: Peter Wilhelm ki
  • DALL·E-2024-09-07-08.10.36-A-cartoon-style-image-depicting-an-elderly-man-kneeling-in-front-of-a-smartphone-on-a-living-room-table-appearing-as-a-supplicant-with-his-hands-cla: Peter Wilhelm ki
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In der „Servicewüste“ navigieren wir durch die oft trockenen Landschaften des Einzelhandels, der Behörden und des Online-Shoppings, wo Kunden sich vernachlässigt oder ungerecht behandelt fühlen. Diese Rubrik beleuchtet prägnante Beispiele solcher Erfahrungen. Doch es geht nicht nur um Kritik: Wir heben auch jene Oasen hervor, wo Unternehmen sich durch außergewöhnlich guten Service abheben und beweisen, dass eine „Servicewüste“ nicht die Norm sein muss.

Entdecken Sie mehr darüber, wie einige Marken es schaffen, in einer Welt voller Herausforderungen positiv aufzufallen.

Lesezeit ca.: 14 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 7. September 2024

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