Mir zwickt’s und zwackt’s im Bauch.
Es düst und saust in meinen Därmen und den Weg zum Klo bin ich heute schon mehrfach in aller Eile gegangen.
Ich weiß auch genau, was das ist; ich muß mir einen Virus eingefangen haben.
Denn gestern hatten das schon die Kinder und auch die Allerliebste ist gebläht. Zumindest hoffe ich das mal, denn ihr geblähter Bauch könnte auch von einer weiteren Schwangerschaft künden – und Kinder haben wir eigentlich schon genug.
Denn bis die mal was bläht, muß viel passieren.
Als halbungarische Wanderzigeunerin ist sie herbe Kost gewöhnt und vertilgt für gewöhnlich alles, was sich nicht mehr oder noch nicht bewegt.
Ab und an haben wir in unserem Kühlschrank Sachen, von denen keiner mehr so genau weiß, um was es sich ursprünglich mal gehandelt hat.
Alle streiten ab, dieses Etwas gekauft zu haben. Sucht man unter dem Verderb nach einem Haltbarkeitsdatum, stellt sich oft genug heraus, daß dieses Produkt aus der Zeit stammt, als es noch keine Haltbarkeitsdaten gab.
Der Allerliebsten ist das egal, sie riecht mal kurz dran und dann wird es verspeist.
Das ist mit ein Grund, warum ich die tiefgefrorenen Ratten für unsere Schlange nunmehr lieber in der Truhe im Keller aufbewahre. Denn den Weg in den Keller scheut die Allerliebste, weil es dort ja Spinnen geben könnte.
Neulich hat Anke Thunfisch gegessen und ich bin mir sicher, daß auf der Dose noch ein Hakenkreuz prangte. Ihr macht so etwas nichts aus, sie verträgt alles. Wenn es also die Allerliebste mal bläht, dann muß ein Virus im Umlauf sein.
Ich muß schon wieder aufs Klo und mich zerreißt es fast.
Allmählich wird mir grottenschlecht und meine Gesichtsfarbe wechselt ins Grünliche. Die Allerliebste beschließt, daß ich zum Arzt gehen soll. Dort würde man mir was verschreiben und das könnten dann alle in der Familie nehmen.
„Warum soll ich denn dann zum Arzt, geht du doch!“, protestiere ich.
„Weil du der Mann bist!“
Nun lasse ich mir als Hengst in dieser Herde nicht von der Mutterstute vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe. In seiner unergründlichen Weisheit hat Jehova die Frau dem Manne untertan gemacht. Ich schüttele also mein weises Haupt, schürze die Lippe und verweigere die Befehlsausführung. Soll doch die Allerliebste höchstselbst mit einem der nichtsnutzigen Blagen zum Arzt gehen.
Bei sowas muß man als Mann streng und hartnäckig sein.
Eine halbe Stunde später sitze ich im Wartezimmer von Doktor Feingrün.
Um mich herum hustet und schnupft alles. Die Alte neben mir hat einen, hoffentlich nicht ansteckenden, lilaroten Ausschlag im Gesicht und an den Händen. Vermutlich hat sie ihn am ganzen Körper, aber die Hände und das Gesicht sind die einzig unbedeckten Stellen.
So genau will ich es auch gar nicht wissen. Jedenfalls habe ich Mühe, mich so hinzusetzen, daß ich ihr halb den Rücken zudrehe, denn nur so kann ich vermeiden, daß sie mich mit ihrem Ausschlag ständig anhustet. Und nur so kann ich ihrem Verlangen entgegenwirken, ständig mit ihren pusteligen Fingern in der Zeitschrift herumzustochern, die ich mir vom Tisch in der Mitte des Wartezimmers genommen habe. Die Frau ist von dem Wunsch getrieben, auf die Bilder zu tippen und mich in ein Gespräch über die monegassische Fürstenfamilie zu verwickeln.
„Die Goldene Frau“ berichtet von Prinzessin Caroline und ihrer abgöttischen Liebe zu einem libanesischen Pflaumenpflücker. Zwar wissen offenbar weder die monegassische Prinzessin, noch der Pflaumenpflücker namens Abdullah Garamatam etwas von ihren gegenseitigen Gefühlen, das hindert aber das Schmalzblatt nicht daran, die beiden in einer Fotomontage zusammenzufügen und ihnen ein, offensichtlich aus einem anderen Foto ausgeschnittenes, Baby in die Arme zu kleben: „Carolines Mutterglück im Libanon?“
„Sie, die kenn ich“, kräht die Alte neben mir und piekt mit schrundigem Zeigefinger auf dem Gesicht der Adligen herum.
Ich blättere schnell um und stoße auf eine ebenso haarsträubende, wie spannend klingende Bildgeschichte, die Florian Silbereisen, den almsingenden Schmalzdudler, mit einem fetten Dackel auf dem Arm zeigt. Der Titel: „Florian Silbereisen als Glücksfee – Arbeitsloser gewann 1,7 Millionen Euro im Lotto“.
Im weiteren Verlauf berichtet das Heft, der seit 32 Jahren arbeitslose Maurer Herbert W. (32), habe bei den Auftritten von Florian Silbereisen im „Adventsfest der tausend Kerzen“ seinen Hund beobachtet und mitgezählt, wie oft der Dackel mit dem Schwanz wedele. Die ermittelten Zahlen habe er dann auf einen Lottoschein eingetragen. Damit habe er nun den Millionengewinn erzielt.
Hätte ich doch meinen Hund auch nur häufiger den Silbereisen schauen lassen!
Glücklicherweise bin ich schon dran und darf ins Sprechzimmer.
Dazu muß ich an der modernen Rezeption vorbei, an der drei Arzthelferinnen Dienst tun. Ich erkundige mich, ob ich wirklich schon an der Reihe bin, denn da sitzen noch einige Leute im Wartezimmer, die schon vor mir da waren.
„Ach machen Sie sich keine Gedanken, die sitzen immer hier, jeden Tag“, beruhigt mich die Fee im weißen Kittel und bringt mich zu Doktor Feingrün.
„So, was haben wir denn?“ erkundigt er sich, schaut mich gar nicht an, sondern schreibt die ganze Zeit irgendetwas auf eine große grüne Karteikarte.
Hoffentlich ist das nicht meine Krankenakte, denke ich, denn mir zwackt es doch bloß im Bauch. Genau das sage ich dem Arzt auch, der dann doch kurz über seine randlose Brille in meine Richtung schaut und lapidar feststellt: „Reizung der Bauchspeicheldrüse infolge einer Fischvergiftung!“
Ich esse manchmal Fisch, gerne sogar. Aber in den vergangenen vier Wochen habe ich ganz gewiß keinen Fisch gegessen.
Auch das sage ich dem Arzt, der mich daraufhin auffordert, den Oberkörper freizumachen und mich auf die grüne Liege zu legen.
„Entspannen!“ kommandiert Dr. Feingrün und stößt mir die ausgestreckten Finger seiner rechten Hand tief in den Unterbauch. Das tut höllisch weh! Ich meine, so was tut immer höllisch weh, egal ob man was am Bauch hat oder nicht! Deshalb schreie ich folgerichtig: „Aua!“
„Sehen Sie, es ist die Bauchspeicheldrüse, von Fisch kriegt man schnell mal was.“
Ich spiele noch kurz mit dem Gedanken, eine Diskussion vom Zaun zu brechen, aber Dr. Feingrün schreibt schon wieder etwas in die Krankenakte und füllt ein Rezept aus. Gerade habe ich mich fertig angezogen, da steht er schon lächelnd an der Tür, drückt mir das Rezept in die Hand und schiebt mich hinaus.
Nun gut, also habe ich jetzt eine Fischvergiftung. In der Apotheke bekomme ich eine Flasche mit einem ekelhaft schmeckenden braunen Saft, eine Schachtel Pillen und muß 24 Euro bezahlen.
Immerhin habe ich die Genugtuung, daß auch die Allerliebste und die Kinder in den Genuß des braunen Saftes kommen.
Am nächsten Tag geht es uns allen besser.
Immer noch ist mir unklar, wie wir an eine Fischvergiftung gekommen sein sollen. Die Allerliebste schaut an die Decke und spitzt die Lippen, als ich das Thema noch einmal anspreche.
„Moment!“, beginne ich meine inquisitorische Untersuchung des Falle: „Hast Du etwas damit zu tun?“
„Nööö“, flötet sie und tut das mit einer seltsam hohen Stimme, die immer schon das beste Indiz dafür war, daß sie etwas zu verbergen hat.
„Also, Du hast uns vorgestern Frikadellen serviert. Und wir haben alle eine Fischvergiftung. Könntest Du Dir vorstellen, mir zu verraten, was Du in die Frikadellen alles reingetan hast?“
Die Halbungarin schaut gelangweilt aus dem Fenster, scheut den Blickkontakt und tut so, als gäbe es auf der gegenüberliegenden Straßenseite etwas Interessantes zu sehen.
„Raus mit der Sprache!“, setze ich sie unter Druck.
Wesentlich leiser gesteht sie endlich ein: „Im Kühlschrank waren doch noch so allerlei Sachen, die weg mußten. Und die habe ich zusammen mit dem Fleisch durch den Wolf gedreht.“
Ja, und es stellt sich heraus, daß darunter auch eine Packung ehemals frischer Buttermakrele war, die sich längst aus unseren Erinnerungen verabschiedet hatte, weil der Ankauf eben jener Buttermakrele schon mehr als sechs Monate zurück lag.
Ab sofort werde ich jede Woche den Kühlschrank einmal komplett von oben bis unten nach Ungenießbarem untersuchen und alles Verfaulte entsorgen.
Diese Ungarn!
©2007/2016
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