Die Überschrift enthält, wie viele erkannt haben dürften, ein Zitat aus dem Œuvre des feinsinnigen Grandseigneurs gehobenen Humors, Vicco von von Bülow, alias Loriot.
Ihn, in diesem Essay zu erwähnen, verstehe ich übrigens keineswegs als Plagiat, sondern als meinen Ausdruck tiefer Wertschätzung!
Dieser Hinweis über Risiken und Nebenwirkungen, musste an dieser Stelle leider sein. Denn früher war nicht nur mehr Lametta, sondern auch mehr Gelassenheit und mehr gesunder Menschenverstand. Ohne diesen expliziten Fingerzeig, kann es heutzutage nämlich durchaus sein, dass sich jemand genötigt fühlt, Stande Pede Claudia Roth anzurufen und etwas von kultureller Aneignung in das Smartphone zu keifen.
Loriot verstand es, wie kein Zweiter, in diesen vier harmlosen Worten, nicht weniger, als die ganze heimelig kleine Welt der Wirtschaftswunderzeit, in einer Art distinguierter Nonchalance vor seinem Publikum auszubreiten. Allerdings funktioniert das heute nicht mehr…zumindest nicht mehr so versöhnlich, nicht mehr so elegant.
Ich bitte um Nachsicht, nun etwas in nostalgischer Erinnerung zu schwelgen. Aber das ist ja schließlich mein Text. Insofern…
Als Loriot in einer berühmten Szene, Opa Hoppenstedt jenen ikonischen Satz, „früher war mehr Lametta“, sprechen ließ, begann besagte heimelig kleine Welt, nämlich peu á peu zu zerbröseln. Die Haare und Rudi Dutschkes Schachtelsätze wurden länger, allerdings auch noch unverständlicher…also Rudis Schachtelsätze, nicht die Haare. Die Blusen der Damen wurden transparenter, die Röcke kürzer und alles Traditionelle zumindest in Frage gestellt, wenn nicht gar mit Verachtung gestraft.
Grete Weiser und Hermann Prey verloren Stück für Stück an Boden gegen Uschi Obermeier und Jimmy Hendrix, und der Muff aus tausend Jahren staubte unter den den Talaren. Gegen 23:00 Uhr gingen die Leute zu Bett und pflanzen sich fort. Um 23:00 Uhr war nämlich Sendeschluss. Die Mattscheibe in den Wohnzimmern zeigte nach dem Abspielen der Nationalhymne, nur noch das Testbild; aus dem Lautsprecher des SABA T 7045 rauschte es, und Adenauer meinte mit „Kinder kriegen die Leute immer“, dass die umlagefinanzierte Rente bis in alle Ewigkeit in Stein gemeißelt sei.
Wer damals, als noch mehr Lametta war, meinte, kurz vor Mitternacht mal eben mit der Isetta zum Discounter zu fahren, um noch schnell einen Liter laktosefreie H-Milch zu erstehen, hatte das Nachsehen. Denn damals gab es weder Discounter, noch H-Milch, erst recht keine laktosefreie. Wer damals, als noch mehr Lametta war, einkaufen ging, schrieb sich vorher eine wohlüberlegte und möglichst vollständige Liste. Denn mittwochs waren alle Tante-Emma-Läden ab 13:00 Uhr geschlossen und 13:00 Uhr ebenfalls. Ich nehme an, dass solch archaische Öffnungszeiten heutzutage eine Skorbut-Endemie zur Folge hätten, und dass die Menschen in den Straßengräben reihenweise verhungerten.
Damals, als noch mehr Lametta war, nahm der deutsche Soldat Mobilat, Tante Tilli tauchte die Fingerspitzen ihrer Maniküre-Kundinnen in Palmolive, und Clementine sorgte dafür, dass durch Ariel die Wäsche weiß wurde. Heutzutage, nach dem alle Tante-Emma-Läden von den Discountern in den Ruin getrieben wurden, erklären Millionärinnen und Millionäre, wie Barbara Schöneberger und Günther Jauch, dass LIDL sich lohnt. Jauch rettet am Pfandrückgabeautomat sogar noch den Planeten!
Damals, als noch mehr Lametta war, kam der Hausarzt, wenn man krank war zu einem nach Hause. Deshalb nannte man ihn ja auch Hausarzt. Er ordnete Wadenwickel an, wenn die Kleinen Fieber hatten, und notfalls ein Zäpfchen, falls die Wadenwickel nichts brachten…aber nur dann! Bevor er ging, inspizierte er noch die Hausapotheke und schrieb die fehlenden Salben, Mullbinden, Pflaster und Tinkturen auf, die man sich danach für lau aus der Apotheke holte. Heute schleppt man sich halbtot zum Arzt, und dort angekommen, fressen einem die IGEL die Haare vom Kopf.
Damals, als noch mehr Lametta war, malochte Papa 60 Stunden pro Woche in drei Schichten am Hochofen, auf dem Bau, oder in der Zeche, und die Mutter kümmerte sich derweil um den Haushalt und die beiden Kinder. Papa kaufte ein bescheidenes Grundstück, baute mit den Brüdern, den Schwagern, den Cousins und den Freunden, ein schmuckes Häuschen für die Familie, und im Sommer krochen alle Viere im 1200er Käfer über den Brenner nach Rimini.
Heute ist der Traum vom Einfamilienhaus zum einen ein Affront gegenüber der Umwelt und zum anderen in unerreichbare Ferne gerückt, weil immer mehr Papas und Mamas 60 Stunden pro Woche in drei Jobs malochen müssen, damit am Ende des Geldes nur noch möglichst wenig Monat übrig ist.
Damals, als noch mehr Lametta war, gingen die Kinder zu Fuß in die Schule und wieder nach Hause. Dort machten sie nach dem Mittagessen ihre Hausaufgaben und verbrachten den Rest des Tages mit ihresgleichen im Freien. Sie spielten stundenlang Fangen, Klicker, oder Fußball und stibitzten auf den Streuobstwiesen das, was gerade reif war.
Heute werden die Kinder von Helikopter-Muttis der gehobenen Einkommensklasse, im zweit-SUV überall hingefahren. Nach der Schule erhitzen sie schnell ein Fertigmenü aus dem Tiefkühlfach in der Mikrowelle und futtern es, während sie geistesabwesend auf ihr Smartphones stieren. An Obst essen sie das, was Mutti aus dem Supermarkt mitbringt, Fußball spielen sie online auf der X-Box und brauchen deshalb nicht einmal das Haus zu verlassen…höchstens um den Arzt aufzusuchen und sich eine Adipositas diagnostizieren zu lassen.
Ich könnte diese Aufzählung mit zig weiteren Beispielen natürlich endlos fortsetzen. Am Ende bliebe jedoch ohnehin nur die Erkenntnis: Tempus Fugit!
Ich will damit keineswegs sagen, dass früher alles besser war. Aber zumindest war früher mehr Lametta.
- lametta-pixabay: Pixabay
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