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Siggi verdient sich was

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Die Sonne scheint und mein Kaffee schmeckt herrlich. Bei schönem Wetter sitze ich nämlich besonders gerne vor meinem Lieblingskaffeehaus, wo der Wirt einige Stühle und Tische aufgestellt hat. Ich lege immer einen Stapel Blätter und einen Kugelschreiber auf den Tisch und schütze vor, ganz fleißig zu sein. In Wirklichkeit gebe ich mich aber hemmungslos hedonistisch dem Müßiggang hin. Allenfalls hebe ich manchmal die müden Augenlider, um vorbeigehene Personen zu begutachten oder werfe verstohlene Blicke auf die anderen Gäste des Kaffeehauses.

Von Halbrechts sehe ich, wie sich Siggi nähert. Siggi wird sich garantiert zu mir an den Tisch setzen, deshalb schiebe ich mit dem Fuß einen der Stühle etwas zurück und nicke nur mit dem Kopf in Richtung Stuhl. Siggi versteht die Einladung, nimmt wortlos Platz und nach endlosen vier Minuten fragt er: „Wie?“


Dieses in der Betonung hinten stark ansteigende „Wie?“ ist eine der hier allgemein üblichen Begrüßungsformeln und von „Wie geht es?“ abgeleitet. Es ist aber, meiner Erfahrung nach, völlig unerheblich, was man darauf antwortet, denn dem Fragenden kommt es gar nicht darauf an, etwas über einen zu erfahren, sondern üblicherweise ist das nur der Auftakt zur Schilderung des eigenen Wohlbefindens. Man kann also völlig beruhigt irgendetwas antworten, der Fragende wird es überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen.
Ich sage dann oft: „Schlecht!“ oder auch mal gerne: „Lirum Larum Löffelstiel“. Man kann aber auch ohne weiteres sagen: „Leck mich am Arsch!“ oder „Deine Mutter ist eine Hure“, die Leute nehmen es nicht wahr, sondern nicken einfach nur, sind aber direkt nach dem ausgesprochenen „Wie?“ in ihrem Kopf dazu übergegangen, die nächsten Sätze zu sortieren. Meistens sagen sie: „Ich komm ja grad vom Arzt….“ Und dann folgt die ganze übliche Litanei, die auch schon mal 20 Minuten dauern kann. Das alles geht fast ohne Luft holen zu müssen und damit sie nicht ersticken, haben die Leute sich die Nachfrage „Und?“ bzw. „Und sonst?“ einfallen lassen.
Das soll dann heißen: „Und, wie geht es sonst?“, zielt aber genausowenig wie das „Wie?“ darauf ab, etwas zu erfahren, sondern ist lediglich ein rethorischer Kunstgriff, um einmal kurz durchatmen zu können. Dann plappern sie weiter…

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Bei Siggi ist das anders, wenn Siggi „Wie?“ sagt, dann reicht es vollkommen, wenn ich das Kinn etwas vorschiebe und leicht grunze. Daraufhin nickt er zustimmend und sagt: „Bei mir auch.“
Da Siggi nie Geld in der Tasche hat, bestelle ich ihm auch einen Kaffee und dann sitzen wir da und tun das, was Männer gerne machen, wenn sie unter sich sind, wir schweigen.
Siggi hat mal eine Lehre als Buchbinder gemacht, ist aber dann arbeitslos geworden, war jahrelang von irgendeiner Krankheit befallen, die man nicht sieht und dann nahtlos in Frührente gegangen. Manche hier im Dorf sagen, er sei ein Taugenichts, aber ich weiß es besser: Siggi ist ein Lebenskünstler. Er hat sich zeit seines Lebens niemals um irgendetwas Sorgen gemacht, steht jeden Morgen fröhlich auf und genießt den Tag, komme da was wolle. Mit ganz wenigen Worten vermag er die größten Fragen der Menschheit zu beantworten und gilt als Erfinder der „So sind Leute“-Philosophie. Gleich was die Menschen um ihn herum auch anstellen, Siggi schüttelt bloß weise den Kopf und sagt: „So sind Leute!“

Geldsorgen hat Siggi auch nicht. Entweder er findet jemanden, der ihn einlädt, so wie ich heute mit dem Kaffee oder er verdient sich mal eben was. Heute ist es wieder so weit, Siggi braucht Geld. „Ich geh‘ mal eben was verdienen“, sagt er und ich nicke nur, bin aber ziemlich gespannt, was er sich heute wieder einfallen läßt.

„Ich leih‘ mir den mal eben aus“, ruft er dem Wirt des Kaffeehauses zu, nimmt sich den Feuerlöscher von der Wand und macht sich auf den Weg.
Dieser ist nicht besonders weit, denn direkt gegenüber stehen einige Reihenhäuser, schöne neu errichtete Reihenhäuser mit lauter neu zugezogenen Leuten.

Mit dem Feuerlöscher unter dem Arm klingelt Siggi am ersten Haus und ich sehe, wie er von einer jungen Frau eingelassen wird. Etwa fünf Minuten später kommt er wieder heraus, hat immer noch seinen Feuerlöscher dabei, winkt mir aber mit einem 20-Euro-Schein, der dann in seiner Hosentasche verschwindet. Danach klingelt er am zweiten Haus und der Vorgang wiederholt sich bei diesem Haus und bei den zehn anderen in der Reihe auch.
Eine gute Stunde später kommt er zurück, hängt den Feuerlöscher wieder im Kaffeehaus auf und setzt sich zu mir.

Langsam zieht er die eingenommenen Geldscheine aus seinen Hosentaschen, glättet sie sorgfältig und zählt sie: „240 Euro!“

„Ja und was hast du jetzt mit dem Feuerlöscher gemacht?“, erkundige ich mich.

„Ich sage immer, ich sei der Feuerlöscherrevisor und müsse den Feuerlöscher einmal jährlich austauschen. Dann hänge ich den mitgebrachten auf, nehme den dort hängenden mit, kassiere 20 Euro und gehe zum nächsten Haus. Das ist alles.“

Ich sage ja, Siggi ist ein Fuchs!


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Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 23. April 2007 | Revision: 26. November 2012

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