Die können nix dafür
Seit ich mich mit Politik befasse, rege ich mich über den nutzlosen bis hanebüchenen Output der Parlamente auf.
Zu Anfang war die Sache für mich noch einfach: alles, was links und später auch grün war, war gut – unbesehen.
Ich hatte einen Che-Guevara-Sticker auf der Jacke, Willy war unser Mann, alle anderen waren die Gegner.
Dann kamen 16 Jahre Mehltau, und ich konnte alle fleißig antrainierten Reflexe gegen das christlich-liberale Lager mit Hochgenuss ausleben – bis zur umjubelten Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Schröder und Fischer.
Dann die brachiale Ernüchterung: ein „linker“ Koch und ein „grüner“ Kellner rollen den Wall-Street-Gangstern den roten Teppich aus, spucken der eigenen Anhängerschaft mit Harz IV sozial ins Gesicht und brechen im Kosovo einen Angriffskrieg vom Zaun.
Ich möchte mich hier jetzt nicht entschuldigen, aber aus heutiger Sicht denke ich, mein linker Fundamentalismus war eine Mischung aus der typischen hormonell induzierten Rebellion gegenüber dem Elternhaus und einem Mangel an ausgewogenem Input.
Ich mochte ja sogar den Helmut Schmidt.
Hätte ich damals schon gewusst, dass der elegante hanseatische Charismatiker von 1942 bis 1944 als Oberleutnant Referent im Reichsluftfahrtministerium in Berlin und in Bernau war, quasi jemand aus dem Nazi C-Level … also ich weiß nicht, ob ich mir das hätte in die Tasche lügen können.
Aber das mit dem Links und Rechts – davon habe ich mich komplett verabschiedet.
Ich bin zwar auch heute noch in Grundzügen derselben Meinung wie in Zeiten, in denen meine Haare noch länger waren und meine Taille schmaler. Aber das mit dem Links und Rechts – davon habe ich mich komplett verabschiedet.
Neuerdings habe ich mich auch von der Meinung verabschiedet, alle Gesetze und deren Folgen, mit denen sich weite Teile der Bevölkerung herumplagen müssen, wären von korrupten Damen und Herren der Parlamente mit Vorsatz beschlossen worden; sei es der desolate Zustand von Schulen, Universitäten, oder von Autobahnbrücken.
OK, das vermutlich auch. Aber das ist nur die halbe Miete. In Wahrheit können die nämlich nix dafür und sind strafrechtlich gesehen somit nicht schuldfähig.
Die, die es in den ministrablen Dunstkreis oder gar auf einen Chefsessel am Kabinettstisch schaffen, haben das Beste aus ihren überschaubaren Talenten herausgeholt. Sie haben den steinigen Weg von der Basis bis zu den Top-Listenplätzen durchwandert und sind nach jahrelanger Selbstkorruption und völliger Aufgabe ihrer Integrität endlich an den Fleischtöpfen angekommen. Dumm ist nur, dass sie dort mit ihrer naturgemäß profunden Ahnungslosigkeit immensen Schaden anrichten, den die ganze Nation dann ausbaden, sprich: bezahlen muss – bis auf die Bewohner der Elbchaussee.
Pardon, ich falle schon wieder in alte K-Reflexe zurück und schweife ab. Meine These war: „In Wahrheit können die nix dafür“, und diesen vermeintlichen Affront gegenüber meinen damaligen Mitstreitern aus linken Zeiten gilt es natürlich, zu begründen.
Ich habe in dem Buch „Kann mir jemand bitte das Wasser reichen“ des finnischen Autors Ari Turunen eine sehr erhellende Passage gefunden, die ich hier gerne zitieren möchte:
Der Psychologe Leon Festinger führte den Begriff der kognitive Dissonanz ein, der besagt, dass Menschen Informationen, die im Widerspruch zu ihrem Weltbild stehen, nicht ausnehmen“. Das ist es! Auf diese Erklärung habe ich mein halbes Leben gewartet. Es liegt nicht an den Personen an sich, sondern an deren Weltbild gepaart mit einer ausgeprägten kognitiven Dissonanz.
Das Buch können Sie hier kaufen.
Nehmen wir beispielsweise unser Gesundheitssystem, eines meiner Lieblingsthemen: es ist ein Fass ohne Boden, ein von willkürlichen Gesetzen und Verordnungen bis zur Sinnlosigkeit mutierter Moloch, der in einem 330 Milliarden € Karpfenteich für Ruhe und Ordnung sorgen soll, dabei aber die Hechte leider in Ruhe lassen muss. Zuständig für diesen Unsinn ist das Bundesministerministerium für Gesundheit, entsprechend der immensen Wichtigkeit dieses Ressorts, auf zwei vermutlich komplett autark arbeitende Dienstsitze in Berlin und Bonn verteilt.
Herman Gröhe, der immer abwesend bis überrascht dreinblickende Bürstenhaarschnitt, und mithin ein Paradebeispiel für kognitive Dissonanz.
Der aktuell amtierende Hausherr ist Herman Gröhe, jener immer etwas abwesend bis überrascht dreinblickende Bürstenhaarschnitt aus den Reihen der CDU und mithin ein Paradebeispiel für kognitive Dissonanz.
Seine vermeintliche Qualifikation für dieses hohe Amt erwarb Gröhe durch aufgesetzte Kampf-Rhetorik gegenüber dem politischen Gegner und durch hündische Unterwürfigkeit gegenüber dem Kanzleramt als – Nomen est Omen – Generalsekretär, eine aus den beiden Komponenten General und Sekret bestehende Bezeichnung für den ranghöchsten Speichellecker.
Dies wiederum ist eine Eigenschaft, die partout nichts mit christliche Nächstenliebe gemein hat, oder etwa mit Empathie, oder gar Respekt vor den Mitmenschen. Und somit kommt Hermann Gröhe auch nicht auf die Idee, dass unser Gesundheitssystem seiner genuinen Aufgabe nicht gerecht werden kann, weil es über jahrelange massive Lobbyarbeit zu einem ungezügelten Markt mit all seinen abartigen Gesetzmäßigkeiten verkommen ist. Für Herman Gröhe und sein Weltbild läuft jedoch alles geschmeidig. Oberste Prämisse christlicher Politik sind nun mal die ungestörten Gewinne sämtlicher Marktteilnehmer. Der ganze sozialromantische Kitsch mit Solidarität, gerechter Lastenverteilung und all dem bla bla haben mit Herman´ s Weltbild nichts zu tun.
Der Zusammenhang zwischen „einem starren Weltbild und solchen Informationen, die zu diesem Weltbild in Widerspruch stehen und deshalb nicht angenommen werden“, also die Diskrepanz zwischen notwendigem Tun und systemimmanenter Unfähigkeit, gepaart mit einer Prise Korruption und krimineller Energie, zieht sich seit Jahrzehnten wie ein roter Faden durch sämtliche Ministerien. Und schon löst sich mein Problem in Luft auf. Denn was haben Herman Gröhe, Andres Nahles, Alexander Dobrindt, Ursula von der Leyen, Thomas de Maizière etc. gemeinsam? Richtig: sie können weder etwas, noch können sie etwas dafür. Sie leiden allesamt an eben jener kognitiven Dissonanz.
Aber weshalb sitzen diese sie dann im Bundeskabinett, statt in der Klapse?
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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