Ich esse liebend gerne Nudeln eines bekannten italienischen Herstellers, auch wenn sie vor einigen Jahren von einer Badischen Tennisikone mit grottenschlechtem Timbre und gänzlich frei von jeglichem schauspielerischen Talent in TV-Werbespots angepriesen wurden und ich ihr beträchtliches Vermögen mit meinen Einkäufen wohl noch etwas erhöht habe.
Eine ehemalige Kollegin von mir mochte diese Pastas nicht, weil sie für ihren Geschmack nach dem Kochen noch zu hart sind. Dass die Angaben der Kochzeit auf der Verpackung eher eine Pi mal Daumen Empfehlung darstellen und jeder für sich selbst durch Probieren feststellen sollte, wann er die Pasta für al dente hält, kam ihr nicht in den Sinn. Vielleicht hätte sie sich ihres Verstandes bedienen sollen…
2001 erschien der Roman The Life of Pi des Franko-Kanadiers Yann Martel, dem Ang Lee, der US-amerikanisch-taiwanesische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent, mit einem wunderbaren Film 2010 ein Denkmal setzte. Wer ihn noch nicht gesehen hat, sollte dies nachholen und die faszinierende, bildgewaltige Parabel um die Angst und deren Bewältigung auf sich wirken lassen. Ich beabsichtige an dieser Stelle natürlich nicht, das gesamte Sujet nachzuerzählen. Aber ich erlaube mir, über die Intensionen aus dem Anfang des Films zu reflektieren.
Als Teenager wendet sich der Hauptdarsteller in unbekümmerter Experimentierfreude neben dem Hinduismus seiner Eltern, zuerst dem Christentum, dann dem Islam und schließlich dem Judentum zu, wobei er jeweils für kurze Zeit ein beseelter Anhänger der neuen Religionen ist. Schließlich gibt es, frei nach seiner naiven (?) Überzeugung aus dem Glauben seiner Eltern, geschätzte 330 Millionen Götter, und da wird man ja zumindest mal schauen dürfen.
Es sei denn, man ist kein intelligenter, weltoffener und friedliebender Mensch wie die Filmfigur, sondern ein blutrünstiger Psychopath namens Ibrahim Awad Ibrahim al-Badri, seines Zeichens Chef-Ideologe und selbsternannter Kalif des Islamischen Staates in Personalunion und einer der widerlichsten Kriegsverbrecher unserer Tage. Dann lässt man seinen Mitmenschen nämlich kein Jota an spiritueller Freiheit, sondern fordert in brutalstmöglicher Auslegung des Islam, alle Ungläubigen zu enthaupten und postet die Exekutionen unter johlendem „Allahu Akbar“-Gebrüll auf YouTube.
Seinem christlichen Urahnen im Geiste, dem Italiener Lotario Dei Conti di Segni, alias Papst Innozenz III., war diese spektakuläre Form weltweiter medialer Verbreitung seiner Lehren zwar vergönnt, gleichwohl entfesselte er in der gleichen Intension, nämlich der erbarmungslosen Durchsetzung der „einzig wahren Religion“, einen Sturm aus Mord und Totschlag mit zehntausenden von Opfern und nannte diese Barbarei Heilige Inquisition.
Man könnte jetzt natürlich sagen, dass Innozenz III. immerhin seit 800 Jahren tot ist, und dass Ibrahim Awad Ibrahim al-Badri vermutlich ebenfalls nicht mehr lebt. Aber damit ist die Idiotie, der sich gegenseitig meuchelnden Eiferer noch lange nicht vom Tisch. Aktuell berichten die Medien von staatlich organisierten Vertreibungen und zahllosen Greueltaten, ja sogar von einem sich anbahnenden Völkermord in Myanmar an den Rohingyas, einer muslimischen Minderheit. Und dies durch Angehörige der Buddhistischen Mehrheit. Also von Anhängern einer Religion, die sich bisher durch ihre Sanftheit und ihren Respekt vor dem Leben, von allen monotheistischen Pendants wohltuend unterschied.
Dieses Schlachten im Namen Gottes, Allahs oder was auch immer, zieht sich wie ein roter Faden seit Tausenden von Jahren durch die Geschichte des Homo Sapiens, und ein Ende scheint nicht abzusehen. Mittlerweile haben Begriffe wie Boko Haram, Al-Quaida, Taliban und Al Schabab die Medienlandschaft fest im Griff. Allerdings sollte man sich bei der Bewertung dieser ganzen apokalyptischen Nachrichten zwingend seines Verstandes bedienen, um nicht in die gleichen unreflektierten Denkschemata zu verfallen, mit denen die Terrormilizen ihr blutiges Handwerk darstellen. Wie bereits die unchristlichen Kreuzfahrer oder die Horden der Osmanen wussten, kann man hinter der Fassade der göttlichen Mission nämlich ganz irdische Begehrlichkeiten wie die Gier nach Geld und Macht wunderbar verbergen und sich mit einer zünftigen Blutorgie an den Gegnern ordentlich die Portemonnaies vollstopfen.
Im 21. Jahrhundert legitimieren die aufgeklärten Nationen der westlichen Hemisphäre ihre weltumspannenden militärischen Aktivitäten um Macht und Ressourcen eher mit solch wohlklingenden PR-Vokabeln wie Demokratie, Menschen- und Frauenrechten, gerne auch in Verbindung mit Brunnen bohren und Mädchenschulen einrichten. Für die Bevölkerungen, die alle diese Kriege bezahlen müssen und noch goutieren sollen, auch gerne garniert mit Versatzstücken aus dem Fundus des Christentums.
Meiner Meinung ist es höchste Zeit, Politik ohne den ganzen spirituellen Überbau zu betreiben, und die Religionen zwar zu respektieren, aber die Implikationen aus den heiligen Schriften, aus denen Machtansprüche abgeleitet werden, meinetwegen als kulturelle Eigenart zu betrachten, aus dem Tagesgeschäft jedoch zu verbannen. So etwas nennt man Aufklärung, und das ist gar nicht so neu.
Ein Anhänger dieser Denkweise war der Mathematiker, Physiker und Astronom Pierre-Simon Marquis de Laplace. Er soll der Legende nach Kaiser Napoleon Bonaparte einmal seine Himmelsmechanik erklärt und auf dessen Frage, wo in diesem Weltbild Gott sei, geantwortet haben: „Diese Hypothese, Sire, benötige ich nicht.“ Starker Tobak, wenn man bedenkt, dass sich diese Unterhaltung irgendwo Ende des 18. Jahrhunderts abgespielt haben soll. Denn nach lediglich 100 Jahren der Aufklärung, deren Beginn ins 17. Jahrhundert taxiert wird, stellte eine solche Aussage bezüglich des Göttlichen in den Augen der Römisch Katholischen Kirche noch immer Häresie, wenn nicht gar Blasphemie dar.
In die Neuzeit übersetzt könnte man seine vermeintliche Dreistigkeit damit begründen, dass der Marquis de Laplace es ablehnte, die „Geschicke“ der Menschheit einer höheren Macht, oder gar jenen zu überlassen, die vorgeben, die Statthalter jener Macht zu sein, sondern überzeugt davon war war, dass man selbst solch wundersam anmutende Phänomene, wie die sei Äonen in immer gleichen Bahnen um die Sonne kreisenden Planeten, mit der Macht des Verstandes zu erklären vermag.
Laplaces Zeitgenosse, der preußische Philosoph Immanuel Kant, hat diese Form dialektischen Denkens in seiner wunderbaren These über die Aufklärung beschrieben, nämlich dass diese der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit ist; dass Unmündigkeit das Unvermögen ist, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen… das ist auch der Grund, weshalb Kants Werk auf dem Index Librorum Prohibitorum, auf gut Deutsch: in dem Verzeichnis des Vatikans aller von der Kurie verbotener Bücher stand, bis diese Borniertheit der geistlichen Macht im 20. Jahrhundert ad acta gelegt wurde. Unter Berücksichtigung der äusserst begrenzten personellen Ressourcen des Kirchenstaates und im Hinblick auf die Flut zehntausender jährlicher Neuerscheinungen, kann man getrost davon ausgehen, dass der Vatikan den Index Librorum Prohibitorum nicht aus göttlicher Eingebung eigestellt hat, oder gar durch die plötzliche Erkenntnis über die Sinnhaftigkeit der Aufklärung, sondern aus ganz profanen, nämlich pekuniären Gründen.
Ins 21. Jahrhundert übersetzt, bedeutet die These Kants nichts anderes, als dass eine aufgeklärte Nation seine Regierung unverzüglich aus dem Parlament jagen sollte, wenn diese ihre Entscheidungen und ihr Handeln damit begründen, es gäbe hierzu keine Alternative, oder sich gar über etwas Ominöses wie schicksalhafte, gottgewollte Ereignisse versucht, aus der Verantwortung zu stehlen. Nebenbei bemerkt finde ich es persönlich schon ziemlich daneben, wenn die Regierungsmitglieder ihren Amtseid mit der Formel „so wahr mir Gott helfe“ beenden und somit en passant gleich ein mögliches Ausstiegsszenario aus der Verantwortung mit einweben.
Wenn es um die Zubereitung von Spaghetti geht, kann man bezüglich der richtigen Kochzeit mit der Formel Pi mal Daumen ganz gut leben und muss sich nicht sklavisch an die Vorgaben des Herstellers halten. Wenn es um das Wohl der Bevölkerung und eine friedliche Zukunft des Planeten geht, sollte man ähnlich verfahren und sich gleichermaßen vor Dogmen hüten, seien sie nun religiöser oder ideologischer Natur. Ein aufgeklärter Verstand, Empathie und Respekt sind Pi mal Daumen schon mal ein guter Ansatz. Ansonsten gilt der Ausspruch des französischen Schriftstellers, Malers und Grafikers Francis-Marie Martinez Picabia: „Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“.
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